Du darfst nicht sterben. Andrea Nagele
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Читать онлайн книгу Du darfst nicht sterben - Andrea Nagele страница 18
Die Vorfreude lässt mich strahlen. Ich tätige noch einen weiteren Anruf und kann es danach kaum erwarten, dass endlich Samstag wird. Den Freitag verbringe ich mit Arbeit und den notwendigen Einkäufen.
In der Nacht schlafe ich kaum, ich frage mich, ob mein Plan klug ist, ob mein Vorhaben scheitern könnte.
Bereits eine Stunde, bevor der Wecker klingelt, sitze ich geduscht, geschminkt und winterlich gekleidet am Küchentisch und warte. Als es endlich läutet, schrecke ich hoch und muss mich zwingen, die Tür nicht aufzureißen.
»Es wird allmählich Zeit, dass ich einen Schlüssel zu deiner Wohnung bekomme.« Mein eigenes Abbild steht vor mir und grinst mich erwartungsvoll an. »Normalerweise«, fährt Anne fort, »kann ich so spontan nicht disponieren. Aber diesmal bin ich erst für Montag wieder gebucht. Du hattest also Glück.«
Ich bitte meine Zwillingsschwester in die Küche und schenke Kaffee ein, so wie sie ihn mag, ungesüßt und ohne Milch.
»Frage jetzt nicht«, bitte ich sie, »und warte kurz in meinem Schlafzimmer, bis ich dich hole.«
Sie sieht mich erstaunt an, öffnet den Mund, fügt sich dann aber doch ohne ein weiteres Wort.
Keine zehn Minuten später befreie ich sie.
Anne marschiert erwartungsvoll in die Küche – und prallt zurück. »Du?«
Auch Paul, der inzwischen die Wohnung betreten hat, wirkt alles andere als begeistert. »Welch gelungener Reinfall«, kalauert er zornig. »Zwei auf einen Streich.«
Böse mustert er meine Schwester. Die fixiert stur die Spitzen ihrer Fellstiefel, dann sieht sie hoch.
Ihre Stimme klingt hart. »Ein Ausflug zu dritt? Das kann nicht dein Ernst sein, Lili.«
Nun, ich bin ja selbst davon ausgegangen, dass die beiden nicht begeistert sein werden, aber dass sie so heftig reagieren, hätte ich nicht gedacht, immerhin haben sie sich damals auf dem Berg ganz gut verstanden. Ich will erklären, dass es an der Zeit ist, das Eis zwischen ihnen zum Schmelzen zu bringen, doch ehe ich antworten kann, nimmt Paul meine Hand. Ich könnte ihn dafür umarmen.
Er schaut meine Schwester spöttisch an. »Warum nicht? Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist Lilis Idee vortrefflich. Findest du nicht auch? Was bringt es, Krieg zu führen, wenn man ihn nicht gewinnen kann?«
»Danke, Paul.« Ich küsse ihn und bewundere dabei seine blitzenden Augen.
Anne aber zieht die Luft scharf in ihre Lungen, und ich erwarte heftige Flüche.
Ich weiß genau, was sie antreibt. Das erste Mal ist es so, dass nicht sie, sondern ich das große Los ziehe, und das kann sie mir nur schwer verzeihen. Dennoch sieht sie mich auf eine Art an, die mich irritiert. Zorn kann ich in ihrem Gesicht erkennen, eine Form von unterdrückter Wut, die ich an ihr bisher nicht kannte, und noch etwas. Ist es Mitleid?
Endlich gibt sie sich einen Ruck. »Dir zuliebe, Lili, nur dir zuliebe fahre ich mit. Aber verschone mich in Zukunft mit solchen Überraschungen«, knurrt sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor und würdigt Paul dabei keines Blickes.
Kurz schließe ich die Augen vor Dankbarkeit und versichere mir, dass alles gut werden wird.
Wider Erwarten verbringen wir einen schönen Tag. Wir streifen durch den Wald, stapfen über verschneite Wiesen und beschließen schlussendlich, essen zu gehen.
Anne und ich unterhalten uns angeregt, und manchmal erzählt Paul eine Geschichte von seiner Arbeit. Das Gespräch miteinander vermeiden die beiden, nur einmal, als ich von der Toilette zurückkomme, habe ich den Eindruck, in einen wüsten Disput zu platzen. Kaum nehmen sie mich wahr, versiegen die Stimmen.
»Was ist denn los?« Verunsichert schaue ich von einem zum anderen.
Paul steht höflich auf und rückt meinen Stuhl zurecht. Sanft streift seine Hand über mein Haar. »Deine Schwester befürchtet, ich wäre nicht gut genug für dich.«
»Blödsinn«, fahre ich Anne an. »Paul ist das Beste, was mir je passiert ist. Finde dich damit ab.«
Wieder presst Anne die Lippen zusammen, wieder sehe ich in ihren Augen Wut lodern. Und Paul? Er küsst mich liebevoll auf die Wange.
Mit sichtlicher Anstrengung wendet meine Schwester sich ab. »Wir sollten los, bevor die Straßen zu eisig werden«, zischt sie.
Wie auf der Hinfahrt sitze ich im Auto vorne neben Paul. Auf dem Rücksitz hat Anne es sich gemütlich gemacht. Im Moment scheint sie zufrieden zu sein, denn sie plaudert angeregt mit mir, als hätte es die Spannungen vorhin überhaupt nicht gegeben. Auch Paul wirkt gelöst, er zwinkert mir mehr als einmal zu und drückt meine Hand.
Ohne erkennbare Pausen zwitschert meine Schwester vor sich hin, ich habe längst auf Durchzug gestellt. Meine Gedanken kreisen angenehm um die Ereignisse der letzten Wochen. Was für eine wundervolle Zeit, was für ein großes Glück, Paul getroffen zu haben. Glücklich schließe ich die Augen.
Als ich sie wieder aufschlage, hat sich die Stimmung im Wagen grundlegend geändert.
Vor mir glitzert die schneebedeckte Straße in der kalten Spätnachmittagssonne. An den Rändern hat sich der Schnee zu weißen Wällen getürmt, die uns von der Tiefe trennen.
Und Paul fährt für meinen Geschmack viel zu schnell.
»Kann man deine Schwester auch abstellen? Oder wenigstens die Lautstärke regeln?«
Sein Ton ist genervt, in seinen dunklen Augen blitzt Zorn.
Aber Anne, einmal in Fahrt gekommen, quasselt weiter. Es passt ihr ganz und gar nicht, gemaßregelt zu werden.
»Paul, nicht so schnell!«, schreit sie plötzlich und beugt sich zwischen den Sitzen nach vorne. »Du fährst uns noch in den Abgrund.«
»Immer mit der Ruhe, kleine Lady. Ich passe schon auf, dass nichts passiert. Seit Kurzem steht eine von euch unter meinem persönlichen Schutz.« Er lacht und blinzelt in meine Richtung, aber statt das Tempo zu drosseln, legt er noch einen Zahn zu.
Ich entschließe mich, den Mund zu halten, dabei hat Anne ja recht.
Als könnte er meine Gedanken lesen, wendet sich Paul mir zu und lächelt verwegen. »Wollen wir deiner Schwester ein kleines Zusatzprogramm bieten, damit sie tatsächlich etwas zum Meckern hat?« Sein Grinsen wird breiter, doch ich bemerke, dass es seine Augen nicht mehr erreicht. Wie Murmeln aus braunem Glas liegen sie in ihren Höhlen.
»Pass auf«, flüstere ich, »und schau auf die Straße.« Doch Paul sieht weiter zu mir.
Er reißt am Lenkrad. Kreischend drehen die Räder auf dem eisigen Schnee durch. Anne und ich schreien auf. Wieder verdreht Paul das Steuer, diesmal in die entgegengesetzte Richtung, und bringt den Wagen zum Schleudern. Entsetzt sehe ich die aufgeblendeten Lichter eines größeren Autos auf uns zukommen.
»Vorsicht!« Ich bedecke mein Gesicht mit den Händen, als könnte ich damit Schlimmeres verhindern. »Der rammt uns gleich frontal!«
Dann sind da nur noch das Quietschen von Reifen und Annes Schreie. Ein heftiger Ruck,