Befehle von oben. Franz Taut

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Befehle von oben - Franz Taut Zeitzeugen

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sich ein, indem wir einfach die Straße sperrten und alles, was nachdrängen wollte, aufhielten.

      Wo bleiben nur die Russenflieger?, fragte ich mich. Mit ein paar gut gezielten Reihenwürfen hätten sie aus allem, was sich auf der Rollbahn nach Osten bewegte, Hackepeter machen können.

      Heute weiß ich, was der Russe wollte. Er wollte möglichst alles im Sack haben. Vielleicht war es ihm darum zu tun, einer staunenden Welt zu zeigen, dass er noch längst nicht fertig war, wie Hitler seit dem Herbst 1941 in Aufrufen und Reden immer wieder verkündete.

      Im Schutz der dichten Nebeldecke, die lange Zeit über den weiten Steppen des Dongebietes lag, hatte die Rote Armee genügend Kräfte versammelt, um zum großen entscheidenden Schlag auszuholen. Mit umgekehrten Vorzeichen unternahm sie das Gleiche, was wir ihr im Mai 42 zugefügt hatten. Unsere Division schirmte damals bei Bjelgorod ab und fing den Stoß auf, der zur Umfassung der Stadt Charkow von Norden her führen sollte. Im Süden von Charkow, in dem ausgedehnten Frontvorsprung, den die Winteroffensive der russischen Südarmeen ausgebeult hatte, standen unter dem Oberbefehl des Marschalls Timoschenko Angriffsverbände in der Stärke von 250 000 Mann bereit. Damals stießen unsere Panzer aus dem Donezbecken nach Nordwesten vor, riegelten den Donez entlang ab und schufen damit die Voraussetzung für die Sondermeldung des OKW, die unter Fanfarengeschmetter die Vernichtung der Timoschenko-Armeen bekannt gab.

      Wenn ich an Stalingrad denke, fallen mir immer wieder Vaters Worte ein. Es war im Oktober 1925, wenige Wochen, bevor er an den Folgen seiner Verwundungen aus dem 1. Weltkrieg starb. Ich schob ihn wie täglich, wenn das Wetter es zuließ, auf dem Rollstuhl durch die Anlagen unserer Stadt.

      »Falls es mal dazu kommen sollte, dass du in den Krieg musst«, sagte er, »dann vergiss nie: auch der Gegner entwirft Pläne. Auch drüben auf der anderen Seite gibt es denkende Köpfe. Wer annimmt, dass drüben nur Idioten sitzen, hat schon verloren. Nur derjenige, der sich in die Lage des Feindes versetzen und mögliche Gegenzüge voraussehen kann, hat im Krieg eine Chance.«

      Im Mai 42 war es der Russe Timoschenko, der diese Grundregel des doppelamputierten Hauptmanns a. D. Lemke außer Acht ließ; sechs Monate später, im November, beging die deutsche Führung den gleichen Fehler. Die Folge war der russische Durchbruch an der nördlichen und südlichen Flanke. Doch was dann weiter geschah, war ein Akt der Selbstvernichtung.

      Damals, am Morgen jenes 20. November, als die Sonne wie ein Blutfleck hinter sturmgejagten grauen Wolkenschwaden sichtbar wurde, gab es in den Reihen der Kampftruppe sicherlich nur wenige, die an Tod und Untergang dachten. Der Rückzug nach Osten – wer kannte schon sein Ausmaß? – war eine von oben befohlene Bewegung, die ihren Sinn haben musste.

      So schien es auch noch, als wir den Don auf einer vom Eis umklammerten Pontonbrücke überschritten. Feldgendarmen regelten den Übergang. Mit vorgehaltenen Waffen stoppten sie die entstehende Panik ab, als weit tragende russische Geschütze zu feuern begannen. Und drüben am Ostufer saß ein Auffangstab, der die Spreu vom Weizen sonderte.

      Die Einheitsführer wurden aufgefordert, sich in der Baracke zu melden, in der der Auffangstab sich eingerichtet hatte.

      Wir standen in einer langen Schlange vor der Baracke, Offiziere aller Dienstgrade bis zum Major und Oberstleutnant, darunter einige Rumänen, aber auch Unteroffiziere, Feldwebel oder Wachtmeister und sogar einige Obergefreite sowie eine kleine Gruppe von OT-Führern, die alle älteren Jahrgängen angehörten. Das Merkwürdige und eigentlich Unerhörte war: niemand drängte sich vor. Geduldig wartete jeder, gleich welchen Ranges, bis er an der Reihe war.

      Ich hatte den Panzerunteroffizier herangewinkt, der als Letzter seiner zusammengeschossenen Kompanie sein eigener Einheitsführer war. Aber Unteroffizier Kurz wollte nichts davon wissen, selbstständig vor dem Auffangstab aufzutreten.

      »Wer weiß, was uns da blüht?«, sagte er. »Wir bleiben vorerst bei Ihnen, Herr Leutnant. Oder wollen Sie uns nicht behalten?«

      Als ich endlich, reichlich durchgefroren, die Baracke betreten konnte, erblickte ich als beherrschende Gestalt einen ergrauten alten Oberst mit einem zerfurchten wettergebräunten Nussknackergesicht.

      Ich meldete mich und wiederholte den Befehl, den mir der Kradfahrer des Bataillons überbracht hatte. »Nichts da«, sagte der Oberst. »Derartige Befehle sind aufgehoben. Ich nehme an, dass Ihre Kompanie einsatzfähig ist. Munition, soweit sie fehlt, Futter für Ihre Pferde und Verpflegung können Sie hier empfangen. Ich bin Oberst Kern. Habe Sondervollmachten von der Armee. Sie unterstehen ab sofort mir, Leutnant Lemke. Ihre Kompanie stellt einen Melder zu mir ab und geht fürs erste hier am Ort in Quartiere, die Ihnen zugewiesen werden.«

      Steif drehte der alte Oberst sich um.

      »Feldwebel Zitzelberger – Quartiere für einen Offizier und zweiundneunzig Mann!«

      So viele waren es, die ich über den Don gebracht hatte, einschließlich der stillschweigend von uns vereinnahmten Panzerbesatzung Kurz.

      Bis zu diesem Zeitpunkt vollzog sich alles in mehr oder minder normalen Bahnen. Die Trosse und Nachschubeinheiten, die über den Don gekommen waren, wurden ohne Aufschub nach Südosten weitergeschleust. Die Kampftruppe dagegen blieb stehen, gleichgültig, welchem größeren Verband die jeweilige Einheit angehörte. Unumschränkte Befehlsgewalt hatte Oberst Kern.

      Wir gingen in die Quartiere, die Feldwebel Zitzelberger uns zuteilte. Es waren elende Katen wie die in dem Dorf, das wir preisgegeben hatten.

      In der Hütte, die für mich bestimmt war, saßen ein Artilleriehauptmann, ein Pionierleutnant, ein Assistenzarzt und ein Rittmeister von einer Divisionsaufklärungsabteilung beim Skat. Ich machte mich mit den Vieren bekannt. Der Rittmeister, ein Graf Lerchenau, der ein zerschrammtes Ritterkreuz am geöffneten Kragen seiner Feldbluse trug, reichte mir einen Feldbecher mit Kognak als Willkommensschluck.

      »Hennessy aus einer besseren Gegend«, sagte er. »Trinken Sie ihn mit Bedacht, Herr Kamerad. Demnächst, wenn es so weitergeht, wird es für uns nur noch Wodka geben. Oder kalte Füße.«

      »Unken Sie schon wieder, Graf«, warf der Artillerist ein. »Sie wissen doch, dass drüben am anderen Ufer ein Brückenkopf gehalten werden soll.«

      »Soll«, meinte der Rittmeister, nahm den geleerten Becher an sich und füllte ihn noch einmal für sich selbst. »Wenn es nach dem, was sein soll, ginge, hätten wir vergangenes Jahr im Dezember Moskau eingenommen. Und wie steht’s mit Baku, meine Herren, und mit Tiflis? Noch nichts davon gehört, dass die beiden Städte in unserer Hand wären. Der Run zum Kaukasus scheint mir die gleiche Pleite zu sein wie der zur Wolga. Da war doch heuer von vornherein ein ellenlanger Wurm drin. Kaum Gefangene, kaum Beute. Und jetzt sitzen wir in der Tinte, wollte sagen im Kessel.«

      »Hat keinen Zweck, mit Ihnen zu streiten, Graf«, sagte der Hauptmann mit einer ärgerlichen Handbewegung. »Der Führer wird schon wissen, was er tut. Ganz reibungslos und ohne Pannen läuft es nie. Wenn es wirklich zutreffen sollte, dass der Russe sich anschickt, bei Kalatsch dichtzumachen, hat das noch lange nichts zu bedeuten. Sie vergessen, hier steht eine Armee, die durch den Zuzug aus dem Donbogen immer mehr verstärkt wird. Für mich zeichnet sich da ein genialer Plan ab. Zwei, drei Tage noch, dann gehen wir ran. Sie werden schon sehen!«

      »Ihr Wort in Gottes Gehörgang«, erwiderte Rittmeister Graf Lerchenau, diesmal ohne Spur von Anzüglichkeit. »Schön wär’s, wenn’s so käme. Aber darf ich fragen, Herr Spengler, womit Sie zum Beispiel angreifen wollen? Haben Sie uns nicht berichtet, dass Ihre Batterie noch aus zwanzig Mann besteht, dass Ihre Geschütze teils gesprengt, teils von Russenpanzern erledigt worden sind?«

      »Ach, zum Teufel«, versetzte Hauptmann Spengler, der Artillerist,

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