Moderner Fundamentalismus. Stefan Breuer
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Der Autor
Stefan Breuer, geb. 1948, seit 1984/85 Professor für Politikwissenschaft im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hamburg, anschließend Professor für Soziologie, zunächst an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP), ab 2005 der Universität Hamburg. Seit 2014 emeritiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. Max Weber, die politische Rechte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die (prä)historischen Ursprünge von Herrschaft und Staatlichkeit. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Stefan Breuer
Moderner
Fundamentalismus
© E-book-Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2020
© 2002 Philo Verlagsgesellschaft mbH, Berlin /Wien
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagfoto: Alfred Eisenstaedt, A dealer in antiques offers
weather vanes for sale in Vermont, 1940
Covergestaltung: nach Entwürfen von MetaDesign
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
eISBN 978-3-86393-556-6
Auch als gedrucktes Buch erhältlich, ISBN 978-3-86393-095-0
Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im
Internet unter www.europaeische-verlagsanstalt.de
Inhalt
Einleitung: Moderner Fundamentalismus
I.Moralischer Fundamentalismus
2.Worstward Ho! Schopenhauer oder die Inversion des moralischen Fundamentalismus
II.Ästhetischer Fundamentalismus
1.Vom ästhetischen Idealismus zum ästhetischen Fundamentalismus
2.Richard Wagners musikalische Soteriologie
3.Träume vom PLASTISCHEN GOTT: Stefan George
Exkurs: George-Kreis und Gnosis
4.Goethe oder Hölderlin? Varianten des ästhetischen Fundamentalismus
III. Erotischer Fundamentalismus
2.Fremderlösung und Autoerotismus: Ludwig Klages
3.Erotische Selbsterlösung: Otto Gross, Herbert Marcuse
IV. Arnold Böcklin und der moderne Fundamentalismus
V.Nietzsches Transformation des Fundamentalismus
I.
Fundamentalismus ist eines jener Worte, die zur rechten Zeit sich einstellen, wo Begriffe fehlen. Schon in den siebziger Jahren diente es nicht nur zur Kennzeichnung radikaler Strömungen im Islam, sondern auch zur Unterscheidung des intransigenten Flügels der Grünen von den Pragmatikern. Inzwischen hat sich sein Bedeutungsgehalt so sehr erweitert, daß er die unterschiedlichsten Positionen abdeckt. Mit ihm belegt man die Gegner der Abtreibung ebenso wie deren feministische Befürworterinnen, die Kritiker der Marktwirtschaft ebenso wie die Wachstumsideologen und Verfechter der Superindustrialisierung, den romantischen und völkischen Antimodernismus ebenso wie den ‚Fundamentalismus der Moderne‘1. Inhalte, so scheint es, sind sekundär; Fundamentalismus ist nur noch ein anderes Wort für Haltungen, die man früher mit Ausdrücken wie radikal, extrem oder absolut bezeichnete. Und dies gilt nicht nur für die Alltagssprache, sondern auch für den elaborierten Code der Wissenschaft. In der Soziologie Talcott Parsons’ beispielsweise steht Fundamentalismus für Wertabsolutismus, eine Art Unfähigkeit, die für den Umgang mit modernen, hochkomplexen und pluralistischen Wertordnungen erforderliche Flexibilität aufzubringen. Fundamentalismus, so Parsons, sei ein „Prototyp deflationären Druckes auf das Commitment-System“, ein Versuch, „das Angebot weiten Freiheitsraumes auf Dinge zu beschränken, die – nach strengest möglicher Anforderung –‚solide‘ sind, wie das Gold in monetären Systemen oder die Sicherheitskraft überlegener Gewalt in politischen Systemen“2.
Gegenüber diesem Sprachgebrauch ist zunächst an die Einsicht eines anderen Soziologen zu erinnern, daß die Tendenz zur Verabsolutierung von Werten zur ‚religiösen Form‘ als solcher gehört. In seinen verschiedenen Beiträgen zur Soziologie der Religion unterscheidet Georg Simmel zwischen der Religion als ausdifferenziertem sozialen Gebilde mit je eigenen Inhalten und Institutionen und der Religiosität als kategorialer Bewußtseinsform, die prinzipiell jeden Inhalt aufzunehmen vermag. Religiosität – „ein an sich gegenstandsloser Zustand oder Rhythmus der Innerlichkeit“ (Simmel, GSG 10, 69) – bestimme sich durch die Tendenz, Gefühle und Impulse, die schon das soziale Leben entwickelt, zur Einheit zusammenzuschließen und ins Absolute zu steigern (ebd., 54); nicht notwendig und ausschließlich ins Transzendente hinein, aber doch so weit, daß eine gewisse Hierarchie der Werte und damit eine Ordnung entsteht. „Wo die Ideale und Forderungen der Religion nicht nur mit Trieben niederer Art, sondern auch mit Normen und Werten geistigen und sittlichen Wesens in Widerspruch geraten, da ist der Ausweg aus solchen Verschiebungen und Verwirrungen oft nur so gefunden worden, daß jene ersteren Ansprüche ihre relative Rolle immer weiter und bis zu einer absoluten steigerten; erst indem die Religion den entscheidenden Grundton für das Leben gab, gewannen dessen einzelne Elemente wieder das rechte Verhältnis zueinander oder zum Ganzen“ (ebd., 41).
Nimmt man Simmels Einsicht ernst, daß es in der Eigenart des religiösen Lebens liegt, „sich in der Form des Absoluten zu objektivieren“