Moderner Fundamentalismus. Stefan Breuer

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Moderner Fundamentalismus - Stefan Breuer

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er ordnet doch im 9. Kapitel des Ersten Buches seines Gesellschaftsvertrags „das Recht, welches jeder einzelne auf sein besonderes Grundstück besitzt, dem Recht, das dem Gemeinwesen auf alle zusteht“, so nachhaltig unter, daß Babeuf und seine Anhänger sich darauf beziehen können. Nur unter schlechten Regierungen, heißt es in einer Fußnote, sei die Gleichheit scheinbar und trügerisch (CS 27/367), was im Umkehrschluß bedeutet, daß sie unter guten Regierungen wirklich sei – eine Konsequenz, die nirgends entschiedener formuliert wird als in dem von Sylvain Maréchal verfaßten und 1796 vom Geheimen Direktorium der Verschwörer als Charta angenommenen Manifest der Gleichen: „Wir streben von nun an danach, gleich zu leben und zu sterben, wie wir gleich geboren sind: Wir wollen die wirkliche Gleichheit oder den Tod: das ist es, was wir brauchen“ (zit.n. Markov 1982, Bd. II, 680).

      Oder den Tod? Die nähere Ausgestaltung zeigt, daß das System der wirklichen Gleichheit den Tod nur um den Preis einer umfassenden Mortifikation des gesellschaftlichen Lebens zu bannen vermag. Die Verbindungen nach außen werden gekappt bzw. auf einige wenige, vollständig vom Staat kontrollierte ports of trade eingeschränkt; aller Privathandel mit dem Ausland ist, wie im pharaonischen Ägypten, bei Strafe verboten. Auch nach innen funktioniert das System wie ein riesiger Oikos, der dem Bedarfsdeckungsprinzip gehorcht. Mittels Aufhebung der Testierfreiheit sollen nach und nach alle Güter, die sich noch in Privatbesitz befinden, der nationalen Gütergemeinschaft anheimfallen; diese unterhält ihre Mitglieder „auf die gleiche anständige, wenn auch bescheidene Weise“ und kann dafür über ihre Arbeitskraft verfügen. Die Arbeitenden werden in zunftähnlichen Korporationen zusammengefaßt, ihre Produkte in zentrale Speicher abgeführt und redistribuiert. Die Konkurrenz ist ausgeschaltet, Geld wird nicht mehr hergestellt, alle private wirtschaftliche Tätigkeit erlischt. Der Schwerpunkt der gesellschaftlichen Produktion liegt auf dem Agrarsektor. Handwerk und Manufaktur sind zweitrangig. Die großen Städte, Zentren des Lasters und der Korruption, sollen verschwinden und durch kleine, überschaubare ländliche Gemeinden ersetzt werden, in denen zwar die Arbeit noch familial organisiert ist, die Konsumtion aber kollektiv erfolgt, wie in Klöstern und Colleges. Geleitet und kontrolliert wird das Ganze durch eine allmächtige Zentralverwaltung. Wer ihren Anordnungen zuwiderhandelt oder „durch mangelhaftes staatsbürgerliches Verhalten, Faulheit, Luxus und Liederlichkeit ein schlechtes Beispiel gibt“, hat mit Zwangsarbeit oder lebenslänglicher Sklaverei zu rechnen13.

      Wenn dies Kommunismus ist, was zu bestreiten kein Anlaß besteht, so handelt es sich um einen solchen eigener Art, einen fundamentalistischen Kommunismus, der sich vom späteren „wissenschaftlichen“ Kommunismus durch seine Fixierung auf die Vergangenheit und seine Orientierung an der vertu sociale, an der pratique majestueuse de la fraternité humaine unterscheidet (Babeuf 1988a, 261). Es geht nicht darum, den status quo weiterzuentwickeln, sondern darum, den status quo ante zurückzugewinnen. Es geht um Wiedergutmachung, um Annullierung des Diebstahls, den die Reichen an den Armen begangen haben, um die Wiederinkraftsetzung des droit primitif (Babeuf 1988a, 271), das im Naturzustand gegolten hat. „Die Ordnung soll wiederhergestellt und alles an Ort und Stelle gerückt werden“, heißt es im Manifest der Gleichen, das die Verbrechen und das Unglück der Gegenwart als Störung eines ursprünglichen Gleichgewichts deutet (Markov 1982, Bd. II, 682 f.). „Man will das Schicksal an Ketten legen, ‚enchainer le sort‘, so steht es im Manifest des Plébéiens. Der Gesellschaftszustand soll auf ein Niveau gebracht werden, das von jedermann, auch von den ‚plus ineptes marchands‘, kontrolliert werden kann. Es darf nichts mehr passieren, was über ganz elementare, handgreifliche Kategorien hinausgeht. Während die bürgerliche Zivilisation die Institutionen entwickelt, die geeignet sind, ganz neue, bisher nie gekannte Dimensionen zu eröffnen, zielt man hier auf einen Zustand ab, der idealiter in alle Zukunft unverändert bleibt. Der Fortschritt, von dem die Aufklärung träumte, ist hier ein leeres Wort. Man will Brot und die Sicherheit, daß man es auch in Zukunft haben wird“ (Jonas 1965, 333). Das ist vereinfachter Rousseau, aber Rousseau ist es allemal.

      7Vgl. Starobinski 1988, 107; Emile, 329/628. Rousseaus Schriften werden im folgenden nach den deutschen Übersetzungen zitiert. Zur Überprüfung gebe ich an zweiter Stelle jedoch auch die Seitenzahlen des französischen Originals in der Pleiade-Ausgabe an. Folgende Abkürzungen werden verwendet: Du Contract Social (CS); Discours sur l‘inégalité (DI); Discours sur l‘économie politique (EP).

      8Friedrich der Große, zit.n. Niehues-Pröbsting 1993, 540.

      9An Herrn von Franquières, 15.1.1769, zit.n.Starobinski 1988, 117 f.

      10Girsberger 1973, 146; zu Babeuf und Morelly vgl. auch Didier 1994, 31.

      11Marx, MEW 23, 390, 358 f.; MEW 26.1, 280; Oetzel 1978, 167 ff.

      12Zit.n.Dommanget 1970, 230. Pierre-Sylvain Maréchal (1750-1803) ist 1796 eines der sieben Mitglieder des ‚Geheim-Direktoriums für das öffentliche Wohl‘, der konspirativen Zentrale der ‚Gleichen‘ (Dommanget 1950). Das von ihm entworfene Manifest der Gleichen, in dem Maréchal die im Text zitierte Formulierung wiederholt, ist aufgrund von Meinungsverschiedenheiten im Komitee nicht veröffentlicht worden. Die Differenzen bezogen sich allem Anschein nach jedoch weniger auf die Forderung nach Abschaffung der Künste, als auf die antietatistischen Aspekte des Manifests, die den Diktatur-Absichten der übrigen Verschwörer entgegenstanden (Bergmann 1965, 285 ff.). In seiner Verteidigungsrede bezeichnet Babeuf die inkriminierte Forderung als eine Nachahmung der Grundsätze Rousseaus, ohne von ihnen abzurücken (Babeuf 1988b, 73).

      13Die Grundprinzipien dieser Ordnung in knapper Form bei Babeuf 1988a, 278 f.; ausführlicher in Buonarottis „Entwurf eines ökonomischen Dekrets“, in: Höppner/Seidel-Höppner 1975, 101 ff. Gute zusammenfassende Darstellungen bieten Jonas 1965; Thamer 1973, 224 ff.

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