Moderner Fundamentalismus. Stefan Breuer

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Moderner Fundamentalismus - Stefan Breuer

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Hinwendung zu symbolischen Ordnungen möglich ist. Zwar sind diese, wie Cassirer, Susanne K. Langer u.a. gezeigt haben, durchaus nicht einseitig auf Diskursivität festgelegt, da es neben dem verbalen auch einen nichtverbalen, ‚präsentativen‘ Symbolismus gibt (Langer 1984, 86 ff.); doch enthält der verbal-diskursive Modus ein Potential für die Intellektualisierung und Ethisierung des Religiösen, das die Herausbildung und Institutionalisierung sinnhafter Ordnungen mächtig gefördert hat. Wie die Religionsgeschichte lehrt, haben dadurch nicht nur einzelne Individuen ihr spezifisches Erlebnis zu stabilisieren vermocht. Vielmehr war es immer auch möglich, daß andere die Symbolisierung dieses Erlebnisses übernahmen und ihre Lebensführung danach ausrichteten. Der Erfolg der Weltreligionen dürfte darin begründet sein, daß sie genau die richtige Mischung von präsentativen, die Gefühls- und Erlebnissphäre ansprechenden Modi und diskursiven Elementen enthielten, die ein bestimmtes Weltbild kontextunabhängig machten und es so befähigten, gewaltige Massen von Gläubigen auf gemeinsame Ziele und entsprechende Formen des Gemeinschaftshandelns zu verpflichten.

      Für rein innerweltliche Handlungsfelder wie Moral, Kunst und Erotik gilt das nicht in gleicher Weise. Die nicht mehr religiös abgestützte (also auch nicht mehr begrenzte und homogenisierte) Moral tendiert nicht bloß zu einer Hypertrophie des diskursiven Symbolismus, die das bekannte Problem der Beendigung des Diskurses aufwirft. Sie neigt darüber hinaus dazu, sich in eine unübersehbare Vielzahl konkurrierender moralischer Positionen aufzulösen und den Streit zwischen diesen in gleichem Maße zu verschärfen, in dem sie absolute Geltung für die eine oder andere dieser Positionen beansprucht. Niklas Luhmann hat deshalb mit Recht vom ‚polemogenen‘ Charakter der Moral gesprochen und daraus abgeleitet, daß sie sich nicht als Teilsystem der Gesellschaft ausdifferenzieren läßt. Da sie indes eine spezifische soziale Funktion erfüllt und insofern auch nicht wegzudenken ist, scheint es ihr Schicksal zu sein, als eine Quelle der Irritation und der Störung zu wirken, ohne selbst etwas zur Behebung der von ihr angeprangerten Mängel beitragen zu können.

      Während Moral zwar polemogen, aber generalisierbar ist (Luhmann 1978, 90; ders. 1997, 1036 ff.), operiert die Kunst mit Geschmacksurteilen, die zwar kollektivierbar, aber nicht generalisierbar sind. Unter den Bedingungen sozialer Schließung durch religiöse oder politische Mächte ist es wohl möglich, eine bestimmte Geschmacksrichtung zum ‚Stil‘ zu erheben, doch gilt dies eher für Stadien, in denen die Kunst noch nicht ihre Eigengesetzlichkeit entfaltet hat. Sobald dies geschieht, pflegt das Geschmacksurteil rigoros subjektiviert und als inappellabel der Diskussion entzogen zu werden (Weber 1972, 555; Schwinn 1998, 282). Die Schroffheit, mit der die Kunst ihre Autonomie gegenüber religiösen, moralischen oder politischen Zumutungen behauptet, die meist mit den Mitteln des diskursiven Symbolismus vorgetragen werden, führt dabei zu einer so starken Akzentuierung des präsentativen Symbolismus, daß Unverständlichkeit die Folge sein kann. Verbandsbildungen im ästhetischen Feld sind damit nicht ausgeschlossen aus, wie die überreiche Geschichte der Dichterbünde und Malerschulen der Neuzeit lehrt; und es ist auch nicht ausgeschlossen, daß einzelne Künstler ganz bewußt nicht auf Exklusivität, sondern auf Massenwirksamkeit setzen, wie dies etwa für Richard Wagners Kunstwerk der Zukunft oder Hugo Balls Idee der „Gesamtkultur“ gilt. Der Wille zur Inklusion bleibt jedoch in der Regel ein Postulat, das in Widerspruch zu den verwendeten künstlerischen Mitteln und zum gleichzeitig praktizierten Geistesaristokratismus steht; die Verbandsbildung ein bloßer Virtuosenzusammenschluß, der nicht primär wertrational, sondern charismatisch motiviert und daher meist nur von kurzer Dauer ist. Wie auch wäre Dauer in einem Feld erreichbar, dessen Eigenart, wie seit Kierkegaard von allen bedeutenden Ästhetikern betont wird, im Momentanen, Plötzlichen, Vagen und Intensiven besteht (Bohrer 1998, 164, 180, 185)?

      Wieder anders stellt es sich bei der Erotik dar, deren sozialer Horizont, sieht man von der Orgie ab, explizit begrenzt ist. „Erotic love“, sagt Roslyn Wallach Bologh, „is exclusive, particularistic, and self-indulgent“ (1987, 243). Eine Aufladung dieser Beziehungsform zum Medium einer innerweltlichen Erlösung mit einer gewissen Breitenwirkung steht vor dem Problem, wie diese Eigenart der erotischen Liebe festgehalten und zugleich generalisiert werden kann – ein Dilemma, dem sich der erotische Fundamentalismus meist durch eine Betonung der Einheitskommunikation zu Lasten der Differenz zu entziehen versucht, was ihn nicht selten dazu führt, den psychogenetisch früheren Stadien einen höheren Stellenwert einzuräumen als den späteren, eng mit der Individuation verbundenen. Marcuse etwa begnügt sich nicht mit der Reaktivierung der prägenitalen Sexualität, die ja immer noch objektlibidinös ist, sondern proklamiert den Primat der ‚genitofugalen Libido‘ und des ‚primären Narzißmus‘, in deren Zeichen eine „Umwandlung der Sexualität in Eros“ erfolgen soll. Klages hat den Eros anstatt als Trieb als eine Art der ‚Bildwerdung‘ verstanden, deren nähere Beschreibung wenig Zweifel daran läßt, daß hier ebenfalls der primäre Narzißmus vorbildlich war. „So wenig gleicht er dem Zustand irgendeiner Bedürftigkeit, daß wir, was Drang in ihm, zu kennzeichnen haben als Drang des Überströmens, der strahlenden Ergießung, des maßlosen Sichverschenkens“ (Klages 1988, 55). Den Nachweis, daß sich daraus stabilisierbare Sozialformen ableiten lassen, ist Klages ebenso schuldig geblieben wie Marcuse.

      Diese Überlegungen zeigen: moderner Fundamentalismus auf der Basis von Moral, Kunst oder Erotik ist möglich, aber auch unwahrscheinlich. Die Kunst ist nach der Produzenten- wie nach der Konsumentenseite hochgradig individualisiert und bringt, wenn überhaupt, nur äußerst instabile soziale Verbände hervor. Die Erotik stiftet zwar massenhaft Beziehungen, aber immer nur face-to-face; und selbst diese Beziehungen bleiben, je stärker in ihnen der Akzent auf dem rein Erotischen liegt, labil und problematisch. Die Moral andererseits ist wohl in der Lage, solche Schranken zu überspringen, doch ist sie wegen ihrer starken Bindung an das soziale Konstrukt der Person – und nicht zuletzt auch wegen ihres ‚polemogenen‘ Charakters – gleichfalls nicht institutionalisierbar. Mehr als Bewegungen mit kurzem Verfallsdatum sind deshalb vom modernen Fundamentalismus nicht zu erwarten.

      V.

      Zur sozialen Verortung des modernen Fundamentalismus scheint der direkteste Weg über den Hinweis Max Webers zu führen, daß ein Zusammenhang zwischen dem Erlösungsbedürfnis und der Position des „Intellektuellen“ besteht. „Stets ist die Erlösung, die der Intellektuelle sucht, eine Erlösung von ‚innerer Not‘ und daher einerseits lebensfremderen, andererseits prinzipielleren und systematischer erfaßten Charakters, als die Erlösung von äußerer Not, welche den nicht privilegierten Schichten eignet. Der Intellektuelle sucht auf Wegen, deren Kasuistik ins Unendliche geht, seiner Lebensführung einen durchgehenden ‚Sinn‘ zu verleihen, also ‚Einheit‘ mit sich selbst, mit den Menschen, mit dem ‚Kosmos‘. Er ist es, der die Konzeption der ‚Welt‘ als eines ‚Sinn‘-Problems vollzieht“ (Weber 1976, 307 f.).

      Der Webersche Intellektuellenbegriff, der im übrigen auch die einschlägigen Forschungen Karl Mannheims bestimmt hat, ist indes zu weit, um aussagekräftig zu sein. Er umfaßt nicht nur die Träger des Erlösungswissens, sondern auch die des Bildungs- und, wenigstens teilweise, des Herrschafts- und Leistungswissens; er bezieht sich auf Gruppen, die in ständischer und kastenmäßiger Geschlossenheit leben oder nach außen hin offen sind; und er gilt unterschiedslos für Gruppen, die über das Monopol der Weltauslegung verfügen oder miteinander in Konkurrenz stehen (Sadri 1992). Die einzige Abgrenzung, die er zuläßt, verläuft gegenüber denjenigen, die sich durch keine innere Nötigung gedrängt sehen, „die Welt als einen sinnvollen Kosmos erfassen und zu ihr Stellung nehmen zu können“, was ebensowohl auf das traditionale Alltagshandeln wie auf das rationale Fachmenschentum zutrifft5.

      Will man den Begriff der Intellektuellen einengen, so empfiehlt es sich, nicht zu konkret anzusetzen. Es erscheint nicht sehr zweckmäßig, darunter jenen Teil der Intelligenz zu verstehen, der nicht kulturschöpferisch ist (Geiger 1987, 13), ist doch jede Sinnstiftung insofern kreativ, als sie einer nicht per se sinnhaft geordneten Welt etwas hinzufügt. Ebenso unangebracht ist die Einengung über die kritische Distanz gegenüber der Macht und die Anerkennung universalistischer Werte, wie sie etwa für Pierre Bourdieu und Jürgen Habermas typisch ist (Bourdieu 1992,

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