Ohne Panzer Ohne Straßen. Franz Taut

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Ohne Panzer Ohne Straßen - Franz Taut Zeitzeugen

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durch die sich der Weg, über den die Fahrzeuge bald rollen sollten, als sandige Spur schlängelte, war in grelles Nachmittagslicht getaucht. Bienen summten, bunte Schmetterlinge gaukelten tänzerisch von Blume zu Blume.

      »Wer hätte das gedacht«, sagte unvermittelt jemand neben Hohberg.

      Es war Leutnant Heise, im Gegensatz zum Reservisten Hohberg aktiver Offizier. Er war sehr jung, Jahrgang 1919. Er war bei der HJ gewesen, aber er hatte, wie er offen zugab, nicht Hitlers »Mein Kampf« im Gepäck, sondern den »Kornett« von Rilke. Sein Vater war aktiver Oberst und stand als Kommandeur eines Infanterieregiments in Ostpreußen. Seine Frontbewährung hatte der junge Heise als Fähnrich im Westfeldzug erworben. Ganz zuletzt, vor Epinal, war er verwundet worden. Seit dem 1. September 1940 besaß er sein Leutnantspatent.

      »Das ist doch Wahnsinn«, begann er unvermittelt wieder, da Hohberg auf seine ersten Worte nicht geantwortet hatte.

      »Wieso?«, fragte Hohberg reserviert.

      »Wir haben mit der Sowjetunion einen Freundschaftspakt«, sagte Heise und fingerte nervös an einer Zigarette, als sei er sich nicht schlüssig, ob er sie anzünden sollte. »Bereitstellung – das bedeutet Angriff.«

      »Vielleicht ist es ja nur, um einem Angriff von der anderen Seite zuvorzukommen«, warf Hohberg ein, obgleich er von dieser Möglichkeit keineswegs überzeugt war. Erst vor wenigen Tagen war er mit dem Chef in die Nähe der Grenze gefahren. Nichts hatte auf der anderen Seite auf kriegerische Vorbereitungen hingedeutet: ein ausgeholzter Streifen im Wald, niedriger, von Himbeer- und Brombeerranken halb überwucherter Stacheldraht, tiefe Stille. Nicht einmal durchs Glas hatte man wahrnehmen können, ob die zwischen den Bäumen aufragenden verschalten Wachttürme besetzt waren.

      Heise lachte auf.

      »Ein Angriff von drüben? Das glauben Sie doch selbst nicht, Hohberg! Denken Sie doch nur an den Winterkrieg in Finnland! Die sind gar nicht imstande, Krieg mit uns zu riskieren. Ich bin recht gut informiert. Mein Vater war drüben. Zur Zeit von Seeckt war er Instrukteur an der Moskauer Frunse-Militärakademie. Später war er eine Zeitlang Gehilfe beim Militärattaché unserer Botschaft. Ich sage Ihnen, Hohberg, das wird kein Präventivkrieg, sondern ein unprovozierter Angriff von unserer Seite. Ich gestehe offen, mir ist reichlich mulmig zumute. Was wird daraus entstehen? Zunächst einmal für uns ein Zweifrontenkrieg. Wollte man das nicht vermeiden? Und vergegenwärtigen Sie sich doch nur den Ablauf der Geschichte! An Russland hat sich noch jeder fremde Eindringling die Zähne ausgebissen. Das Jahr 1812 hat doch am besten gezeigt, dass man wohl nach Russland hineinkommt, aber dann – je tiefer man vordringt, desto schwieriger wird es, bis sich eines Tages das Blatt wendet.«

      »Der Führer dürfte anderer Ansicht sein«, warf Hohberg ein.

      Leutnant Heise blickte ihn prüfend aus seinen großen, jungen Augen an, als wollte er ergründen, wie die Bemerkung gemeint war. Es war schon so: Vielen Gesprächen jener Zeit haftete etwas Gekünsteltes an. Nur in den allerseltensten Fällen wagte man zu sagen, was man wirklich dachte – nicht aus Furcht vor Denunziation, oder vielleicht doch, obwohl es undenkbar war, dass ein junger Mensch wie Heise einen Kameraden bespitzelte.

      »Ja, ja«, murmelte Hohberg schließlich, »Sie werden schon recht haben. Wir müssen vertrauen und uns das selbstständige Denken abgewöhnen – vor allem wohl dann, wenn es mal einen Rückschlag geben sollte. Bisher ist ja alles wie geschmiert gelaufen, nicht wahr?«

      Heise reichte Hohberg sein geöffnetes Zigarettenetui und gab ihm und sich Feuer. Schweigend gingen sie zum Sammelplatz zurück, wo die Vorbereitungen zum Abmarsch schon beinahe beendet waren.

      Heise begab sich zu seinem Wagen, den er als B-Offizier mit einem Funker teilte, während Hohberg zu den Kanonieren ging, die ihr Gepäck auf die Zugmaschinen verluden, an die schon die sechs Tonnen schweren 15-cm-Haubitzen angekuppelt waren. Auf den drei Bankreihen hatten die acht Mann der Geschützbedienung, der Geschützführer und der Fahrer ihre Plätze. Im Ladekasten befand sich ein Satz der fast zentnerschweren, in Körben geschützten Granaten mit den dazugehörigen Kartuschen. Auf dem Kasten waren die als Unterlage für die Geschützräder bestimmten Rohrmatten verladen.

      »Ist es wahr, dass die Russen morgen früh angreifen, Herr Leutnant?«, fragte einer von der Bedienung des dritten Geschützes.

      Sie wussten demnach noch nichts.

      Mehrere Kanoniere kamen neugierig heran. Ihre Blicke waren gespannt auf Leutnant Hohberg gerichtet. Er hatte als Wachtmeister die Geschützstaffel geführt. Die Kanoniere schätzten ihn, weil sie ihn für gerecht und anständig hielten.

      »Wartet doch ab!«, sagte er ausweichend. »Der Chef wird schon bekannt geben, was los ist.«

      Er ging weiter zu den hinter den vier Geschützen aufgestellten Munitions-Lkws. Winkowski, einer der Fahrer, war gerade dabei, den Tank seines Wagens aufzufüllen.

      »Ist es auch kein Waffenöl?«, fragte Hohberg. Vor langer Zeit, damals, auf der Fahrt zur polnischen Grenze, hatte Winkowski versehentlich Waffenöl in den Tank geschüttet, was einen unliebsamen Aufenthalt und für den Fahrer zwei Strafwachen zur Folge gehabt hatte.

      »Diesmal nicht«, gab Winkowski grinsend zurück. »Inzwischen sind wir schlauer geworden, wenn auch vielleicht immer noch nicht schlau genug.«

      »Wie meinen Sie das?«, fragte Hohberg.

      »Ach, nur so, Herr Leutnant.«

      Als Hohberg außer Hörweite war, stieß Winkowski den Gefreiten Köhler, seinen Beifahrer, an.

      »Merkst du was? Lausige Zeiten stehen bevor. Wenn die Herren Offiziere sich beim Landser anbiedern, geht’s demnächst rund.«

      »Hast du was gegen Hohberg?«, fragte Köhler. »Mit dem sind wir doch immer gut klargekommen. Kann mir nicht denken, dass er jetzt als Leutnant anders wird.«

      Winkowski brummte etwas Unverständliches. Er war ein zuverlässiger Fahrer. Im Frankreichfeldzug hatte er sich mehrmals ausgezeichnet. Aber er legte auch ein gewisses Maß an Aufsässigkeit an den Tag, vielleicht weil er glaubte, bei der Ordensverteilung übergangen worden zu sein.

      Leutnant Hohberg war unterdessen mit Wachtmeister Binder zusammengetroffen, seinem bisherigen Zeltkameraden, der erst vor Kurzem zur Batterie gekommen war. Binder war nun zum Geschützstaffelführer aufgerückt.

      »Es geht also doch gegen Russland«, sagte er.

      »Ja, es sieht so aus«, erwiderte Hohberg reserviert und fragte sich, ob er es weiter beim bisherigen »Du« belassen sollte. Irgendwie peinlich war es schon, in eine andere Kategorie aufzusteigen. Aber es würde sich ergeben. In einem Feldzug verwischten sich ohnehin die Unterschiede. Und der Feldzug, der nun bevorstand, würde kein Spaziergang werden.

      »Batterie antreten!«

      Auf dem Appellplatz formierte sich die Batterie. Vor der Doppellinie der Mannschaft versammelten sich die Wachtmeister und Unteroffiziere. Vor ihnen, am rechten Flügel, stand Leutnant Hohberg und hob zum ersten Mal die Hand zur Feldmütze, als Leutnant Heise beim Herankommen des Chefs die Blickwendung befahl. Wann, fragte er sich, wird die Batterie das nächste Mal geschlossen zum Appell antreten?

      Hauptmann Kern hielt in der Linken ein bedrucktes Blatt. Sein kantiges Gesicht war von tiefem Ernst überschattet.

      »Ich verlese jetzt einen Aufruf des Führers«, rief er mit fremd klingender schneidender Stimme. Nach einer längeren Pause begann er: »Von ernsten Sorgen bedrückt,

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