Kärntner Totenmesse. Roland Zingerle
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„Das heißt, er kommt als Täter nicht infrage?“
„Nein, das heißt es nicht.“ Sabine seufzte. „Doktor Grabner, der Polizeiarzt, der den Landesrat obduziert hat, meint, von der Absenkung der Körpertemperatur her könnte der Tod bis zu vierzig Minuten vor seinem Eintreffen am Tatort eingetreten sein.“
„Was, vierzig Minuten?“
„Näher kann er es nicht bestimmen. Es war warm, und der Landesrat hat einen Anzug getragen. Wenn er zum Todeszeitpunkt geschwitzt hat, erhöht das die Ausgangstemperatur ...“ Sabine ließ den Satz unvollendet.
„Wann ist der Polizeiarzt denn am Tatort eingetroffen?“
„Um 19.10 Uhr.“
„Das heißt, der Mord hat frühestens um 18.30 Uhr stattgefunden?“
„Ja, ungefähr.“
Heinz dachte nach. „Das ist ein langer Zeitraum“, sagte er schließlich.
„Viel zu lange“, bestätigte seine Schwester. „Wir versuchen herauszufinden, wer in dieser Zeit alles die Messe verlassen hat, aber das ist, realistisch gesehen, ein unmögliches Unterfangen, immerhin haben wir die Messe erst um 19.20 Uhr vollständig abgeriegelt.“
„Hast du mit diesem Teppan telefoniert?“
„Sein Telefon ist abgeschaltet. Aber seine Frau habe ich erreicht, und die hat gesagt, er schlafe noch seinen Rausch aus.“
„Interessant“, meinte Heinz erneut. „Was ist das eigentlich für einer? Du hast gesagt, er arbeitet für die Messe?“
„Nicht direkt, er ist bei der Grafikagentur angestellt, die ihre Geschäftsstelle auf der Messe hat. Die fertigen Werbematerialien, Aufschriften, Banner und so weiter an, die für die Messen gebraucht werden. Deshalb war er gestern Abend wohl auch auf dem Gelände unterwegs. Die vier Aussteller, die mit dem Landesrat geredet haben, haben ausgesagt, er habe einen Packen Schilder unter dem Arm gehabt.“
„Und Landesrat Moritsch“, fragte Heinz nun, „wann hat der die vier verlassen?“
„Bald nach diesem Eklat. Er hat gesagt, er müsse weiter.“
„Schade.“
Sabine sah ihn irritiert an. „Was meinst du?“
„Wenn er gesagt hätte: ‚Ich muss aufs Klo’, hätten wir den genauen Todeszeitpunkt gewusst.“
Heinz’ Schwester schüttelte den Kopf. „Nicht einmal dann. Von den vier hat kein einziger auf die Uhr geschaut, als der Landesrat gegangen ist.“
„Haben sie nicht gleich versucht, die Uhrzeit zu rekonstruieren?“
„Nein, weil zu dem Zeitpunkt, als die Nachricht vom Toten im Klo die Runde gemacht hat, noch niemand gewusst hat, wer der Tote eigentlich ist, und von Mord war sowieso nicht die Rede. Und danach ist alles drunter und drüber gegangen.“
„Immerhin“, meinte Heinz dumpf, „dieser Teppan scheint mir eine heiße Spur zu sein. Befragst du ihn heute noch?“
„Davon kannst du ausgehen. Ich habe mich seiner Frau schon angekündigt.“
Das Essen wurde serviert. Während Heinz seine Suppe löffelte, erzählte er Sabine von seinem bevorstehenden Termin in Landesrat Moritschs Büro. Sie reagierte zunächst verhalten, begrüßte sein Vorhaben dann aber doch. Dieser Besuch stehe bei ihr für den nächsten Morgen auf dem Plan, sagte sie, da könne es von Vorteil sein, wenn Heinz sie schon heute mit etwas Vorwissen versorge.
Donnerstag, 13.30 Uhr
Als Heinz nachhause kam und die Tür hinter sich schloss, atmete er einmal tief durch. Am liebsten hätte er jetzt sein Schlafzimmer abgedunkelt, das Nachtlicht eingeschaltet und sich unter der Bettdecke verkrochen, doch das ging nicht. Er musste alle Informationen aufschreiben, solange sie ihm in Erinnerung waren. Dann, so versprach er sich selbst, würde er ein wenig schlafen, ehe er zu dem Termin in der Landesregierung ging.
Die Niederschrift gestaltete sich als schier unmöglich, weil er es nicht schaffte, Ordnung in seinen Kopf zu bekommen. Wann immer er an einem Thema dran war, lenkten ihn zig andere Details ab. So beschloss er, einfach alles zu notieren, was ihm in den Sinn kam, und dieses Durcheinander zu einem späteren Zeitpunkt zu ordnen. Doch auch das wollte ihm nicht gelingen, weil bei jedem Gedankenfetzen Fragen auf ihn einstürmten, die ihn so sehr beschäftigten, dass er schnell nicht mehr wusste, was ihr Ausgangspunkt gewesen war.
Irgendwann stellte er fest, dass er dasaß und an die Wand starrte. Wie lange, das konnte er nicht sagen, mindestens jedoch zehn Minuten, weil sich der Bildschirm seines Laptops deaktiviert hatte – und das tat er nach dieser Zeitspanne.
Heinz war verzweifelt. Dieses Phänomen war ihm nicht neu, ebenso wie jenes, dass er Informationen, Erlebnisse, ja teilweise sogar die Erinnerung an mehrere Stunden aus dem Gedächtnis verlor. Dabei war es nicht so, dass er sich mit dem richtigen Auslöser wieder daran erinnerte, sondern das Erlebte war schlicht und ergreifend gelöscht. Das war ihm das erste Mal aufgefallen, als er Bilder auf seinem Handy entdeckte, die er etwa zwanzig Minuten davor fotografiert haben musste, sich aber nicht daran erinnerte, dies getan zu haben. Die Vorstellung, dass es auf diese Weise Teile seines Lebens gab, von denen er nichts mehr wusste, war ihm unheimlich, ebenso wie das Unwissen darüber, wie oft ihm das passierte.
Er schüttelte den Kopf und bewegte die Maus, um den Bildschirm zu reaktivieren. Er musste etwas tun, musste sich ablenken und vor allem: Er musste diesen Fall lösen, egal, wie qualvoll das auch für ihn war.
Als Erstes gab er Landesrat Moritschs Namen in die Suchmaschine ein. Als er über den offiziellen Eintrag des Landes Kärnten stolperte, erinnerte er sich daran, dass er ja noch nachsehen wollte, wo genau sich das Büro des Ermordeten befand, damit er es später problemlos finden würde. Er klickte also den Treffer an und stutzte. Als Büroleiterin war hier eine Mag.a Waltraud Mühlwirth eingetragen. Konnte das stimmen? Er erinnerte sich, dass ihm der Rechtsanwalt ihren Namen gesagt hatte, glaubte aber nicht, dass es dieser gewesen war. Er stand auf und holte die Visitenkarte, auf deren Rückseite er den Namen notiert hatte und staunte nicht schlecht, als er hier nur die Notiz 17 h fand. Er schüttelte den Kopf, dann zuckte er mit den Schultern. Das mochte schon alles so stimmen, momentan vertraute er allem mehr als seinem Gedächtnis.
Mit einem Notizblock bewaffnet setzte er sich wieder an den Laptop und schrieb alle für den Termin relevanten Daten auf. Er riss den Zettel ab und steckte ihn in seine Brieftasche, hier würde er ihn finden. Dann wandte er sich den anderen Suchmaschinen-Treffern zu.
In der nun folgenden Stunde klickte sich Heinz mehr müßig als interessiert durch allerlei Pressemeldungen. Der Landesrat bei der Eröffnung der Ausstellung sowieso, der Landesrat beim Ball der Vereinigung sowieso, überall gab es Bilder über den feschen, jungen Kerl, es hatte den Anschein, als wäre er ein beliebter Mann. Einzig das Profil auf einer Social-Media-Plattform wurde von wütenden Kritikern gestürmt, die in teilweise erschreckend niveauloser Untergriffigkeit über den Politiker herzogen. Dabei ging es entweder um seine politischen Entscheidungen, oder darum, dass er sich entwaffnend arrogant benommen hätte, als der jeweilige Kritiker oder die jeweilige Kritikerin ihn persönlich bei irgendeinem Anlass angetroffen hatte.