Mörder-Quoten. Leo Lukas

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Mörder-Quoten - Leo Lukas

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nicht so mit mir!“ Der Betrunkene bäumte sich auf. „Ich war einmal wer, es ist noch gar nicht so lange her, da hättet ihr alle, ihr alle hier auf diesem gottverlassenen Flecken Erde, was heißt, Beton“, er schwenkte den Arm so heftig, dass er, vom Schwung übermannt, um die eigene Achse rotierte und beinahe das Gleichgewicht verlor, „darum gebettelt hättet ihr, jawoll, dass ich euch ein Sujet entwerfe, ein Logo, einen Claim oder eine ganze Corporate Identity. Weißt du, wer dem Kanzler seine schlauen Wahlkampfsprüche geliefert hat, mitsamt der beschissenen Leni-Riefenstahl-Ästhetik, weißt du, wer das war?“

      „Du nicht, Ferdl. Du warst schon fünf Jahre vor Corona am Sand. Geh heim weinen, ich sag’s nicht noch einmal.“

      Ferdinand, der sein Pulver verschossen hatte, zeigte Einsicht und schlurfte davon. Im Vorbeigehen trat er nach einer Pappschachtel am Boden, verfehlte aber.

      „Traurig“, sagte ich.

      „Wer hoch steigt, kann tief fallen. Der Ferdl war mal ziemlich weit oben, weißt du. Aber er hatte die falschen“, Machmut machte mit den Fingern Anführungszeichen, „Freunde.“

      „Und du?“, fragte ich.

      „Ich habe einen Bachelor in Soziologie. Aber immerhin diesen Job, und ich rede mir ein, ich kann nebenbei Sozialstudien betreiben.“

      „Führst du Aufzeichnungen?“

      Er feixte, tippte sich an die Schläfe. „Da. Zu mehr komme ich nicht.“

      Ich unterdrückte ein Gähnen. Nach der kurzen Nacht und dem ereignisreichen Tag forderte die Müdigkeit ihren Tribut. „Der Pekarek, vom Wettbüro?“

      „Hat sich ebenfalls mit den falschen Leuten eingelassen. Wahrscheinlich ist ihm alles zu viel geworden, ich kann’s ihm nicht verübeln. Dann hat er den Gashahn aufgedreht und sich eine Zigarette angezündet und es überstanden.“

      „Warum so fatalistisch? Du heißt Machmut. Mach Mut!“

      „Sehr lustig. Ich mache sauber, in ein paar Stunden, wenn ich den Würstelstand zusperre.“ Er wischte mit einem grauen Fetzen, der ebenfalls schon bessere Tage gesehen hatte, über die Budel. Was wohl anzeigen sollte, dass er das Gespräch als beendet betrachtete. „Willst du noch was?“

      „Manner Schnitten. Die vom Ferdl zahle ich mit.“

      „Sind schon auf Haus boniert. Aber eines seiner Biere könntest du übernehmen.“

      So geschah es.

       FREITAG

       „Auf der Simmeringer Had’

      Hat’s an Schneider verwaht,

      Mit der Nadel samt dem Öhr,

      Samt dem Zwirn und der Scher‘.

       Auf der Simmeringer Had’

      Hat’s an Schneider verwaht.

      Es g’schieht ihm schon recht,

       Warum sticht er so schlecht.“

      (Wiener Spottlied, ca. 1854)

      Minestrone

      *

      Gebackenes Kabeljaufilet mit Erdäpfel-Vogerl- bzw. -Mayonnaisesalat

      o d e r

      Sellerie-Cordon Bleu mit Kirschtomaten und Sauce Tartare

      *

      Creme Caramel (flambiert)

       6

      Es regnete. Im weitläufigen, L-förmigen Innenraum des Café Winterholzner waren dennoch mehrere Tische frei.

      Da ich auf keinen Fall unpünktlich sein wollte, war ich zu früh dran. Ich setzte mich in eine Nische und überflog die Speisekarte. Alles hausgemacht, stand in appetitlich verschnörkelter Schrift auf jeder Seite, und frisch zubereitet aus regionalen, überwiegend gentechnikfreien, biologisch angebauten, fair geernteten Zutaten. Fehlten bloß noch Fotos von glücklichen Schweinderln. Die Preise rangierten im oberen Bereich. Als die Kellnerin kam, klappte ich die Karte zusammen und sagte: „Fürs Erste nur einen Verlängerten schwarz bitte, ohne alles.“

      „Nicht einmal Zucker oder Süßstoff?“

      „Nicht mal den uralten Keks, der immer dazugelegt wird“, scherzte ich.

      „Bei uns gibt es ein Stück Cantuccini.“

      „Was ist das?“

      „Ein Mandelgebäck. Freilich würde ich für das Ablaufdatum auch nicht unbedingt die Hand ins Feuer legen.“

      Sie sah jung und fit aus. Erst auf den zweiten Blick und aus der Nähe verrieten die Fältchen in den Augen- und Mundwinkeln, dass sie wohl schon auf die 40 zuging. Der Hüftschwung, mit dem sie zurück zur Theke schwebte, war sehr beachtenswert.

      Nachdem sie wiedergekommen war und den Kaffee vor mir abgestellt hatte – „Ohne alles“, sagte sie dabei verschmitzt –, versuchte ich die Kellnerin in ein Gespräch zu verwickeln. „Sagen Sie, ist eigentlich die Kegelbahn noch in Betrieb?“

      „Im Keller? Der gehört nicht zu meinem Rayon. Da müssen Sie den Chef fragen.“ Sie nickte in Richtung eines fülligen, gemütlich wirkenden Mannes Mitte 50. Er trug einen Trachtenanzug und plauderte, ein Proseccoglas in der Hand, angeregt an einem Stehtisch. „Oder doch besser gleich die Chefin.“

      Der Unterton signalisierte, dass damit auch die wahren Machtverhältnisse umrissen waren. Die steinalte Dame, die hinter der antiken, also nicht viel jüngeren Registrierkassa thronte, überwachte das Geschehen zu beiden Seiten der Theke mit Argusaugen.

      „Führt sie ein sehr strenges Regiment?“, raunte ich vertraulich der Kellnerin zu.

      „Der Drache Smaug ist ein Kuscheltier dagegen“, gab sie ebenso leise zurück. Dabei beugte sie sich herab und kam mir so nahe, dass ich einen Hauch von Parfüm erhaschte. Unter anderen Umständen hätte ich sie nach ihrem Namen gefragt, rein aus Höflichkeit, und spätestens beim Zahlen, ob sie an diesem Abend schon etwas vorhatte. Aber mir hockte der Bravo im Nacken.

      Außerdem wurden wir unterbrochen.

      „Na sowas“, ertönte eine hohe Tenorstimme. „Wenn das mal nicht der Pezinator ist! So ein Glück aber auch, dass wir uns hier treffen, und zwar für dich.“

      Die kugelrunde Gestalt, die an meinen Tisch getreten war, kannte ich nur zu gut. Der „Gelddruck-Kurtl“ war ein liebenswerter Wirrkopf. Zwei-, dreimal pro Woche entdeckte er eine andere „tausendprozentige“ Chance, schlagartig zu sagenhaftem Reichtum zu kommen. Beharrlich durchstreifte Kurtl die Lokale der Stadt auf der Suche nach Investoren. Noch jeder Geheimtipp hatte sich als Rohrkrepierer entpuppt, weshalb auch nie jemand einstieg. Höchstens borgte man ihm kleine Beträge – natürlich auf Nimmerwiedersehen

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