Mansfield Park. Jane Austen
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Tom Bertram mußte aber unter allen Umständen gefallen. Er gehörte zu den jungen Leuten, die allgemein beliebt sind. Seine Liebenswürdigkeit war von der Art, die man häufiger liebenswürdig findet als manche Gabe höherer Prägung, denn er hatte eine unbefangene Art, war stets guter Dinge, besaß einen großen Bekanntenkreis und fand immer eine Menge zu erzählen; die Anwartschaft auf Mansfield Park und den Baronet-Titel machte ihn um nichts unsympathischer. Miss Crawford hatte bald das Gefühl, daß er der Richtige für sie sein könnte. Sie sah sich mit löblicher Besonnenheit um und stellte fest, daß so gut wie alles zu seinen Gunsten sprach: der Park, ein wirklicher Park von fünf Meilen im Umkreis, das geräumige, modern gebaute Haus, das dank seiner malerischen Lage einen Ehrenplatz in jeder Sammlung von Abbildungen englischer Landsitze verdient hätte und nur neu möbliert zu werden brauchte – sympathische Schwestern – eine unaufdringliche Mutter – und er selbst war ein angenehmer Mensch mit dem besonderen Vorzug, daß er sich gegenwärtig durch ein Versprechen seinem Vater gegenüber verpflichtet hatte, nicht hoch zu spielen, und daß er später einmal selbst Sir Thomas heißen würde. Ja, es war nichts gegen ihn einzuwenden. Sie würde wohl recht daran tun, ihn zu nehmen. Und dementsprechend begann sie sich ein wenig für das Pferd zu interessieren, das beim Rennen in B. für ihn laufen sollte.
Dieses Rennen sollte Tom bald nach dem Beginn ihrer Bekanntschaft hinwegrufen, und da es sich zeigte, daß seine Familie auf Grund seiner sonstigen Gepflogenheiten ihn nicht vor Ablauf vieler Wochen zurückerwartete, schien dies eine erwünschte Gelegenheit, die Stärke seiner Leidenschaft in diesem frühen Stadium auf die Probe zu stellen. Er seinerseits suchte sie beredt zur Teilnahme am Rennen zu bewegen, und es wurden alle möglichen Pläne geschmiedet, daß die ganze Gesellschaft mittun sollte – doch es blieb beim Reden.
Und Fanny? Was trieb sie, was dachte sie während dieser ganzen Zeit? Was hielt sie von den neuen Freunden? Es gab wohl wenige achtzehnjährige Mädchen, die seltener aufgefordert wurden, ihre Meinung zu äußern, als Fanny. Auf ihre stille Art und ohne viel beachtet zu werden, zollte auch sie Miss Crawfords Anmut ihre Bewunderung. Doch da sie Mr. Crawford noch immer häßlich fand, obwohl ihre Cousinen ihr mehr als einmal das Gegenteil bewiesen hatten, sprach sie niemals von ihm. Miss Crawford ihrerseits richtete ihre Aufmerksamkeit auch auf Fanny. «Jetzt beginne ich Sie alle richtig zu verstehen», sagte sie, als sie eines Tages mit den beiden jungen Herren im Garten spazierte, «bis auf Miss Price. Sagen Sie bitte, ist sie eingeführt oder nicht? Ich kenne mich nicht mehr aus. Sie war mit der ganzen Familie beim Dinner im Pfarrhaus, was dafür sprechen würde, daß sie eingeführt ist; andererseits tut sie so selten den Mund auf, daß ich es kaum annehmen kann.»
Edmund, an den diese Worte hauptsächlich gerichtet waren, erwiderte: «Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen – aber ich nehme es nicht auf mich, Ihre Frage zu beantworten. Meine Cousine ist ihrem Alter und ihrem Verstand nach ein erwachsenes Mädchen, aber eingeführt oder nicht eingeführt, das geht über meinen Horizont.»
«Und dabei ist im allgemeinen nichts leichter festzustellen. Der Unterschied im Auftreten, in der Kleidung, in der ganzen Erscheinung ist so groß. Bis jetzt hätte ich es nicht für möglich gehalten, daß man sich in diesem Punkt irren kann. Ein junges Mädchen, das noch nicht eingeführt ist, kleidet sich immer auf die gleiche Art – ein knappes, schmuckloses Hütchen zum Beispiel wirkt sehr züchtig – und spricht kein Wort. Sie lachen – aber ich versichere Ihnen, so ist es, und abgesehen davon, daß es manchmal zu weit getrieben wird, ist es ganz in der Ordnung. Junge Mädchen sollen still und bescheiden sein. Allenfalls könnte man einwenden, daß ihr Betragen, sobald sie in die Gesellschaft eingeführt sind, sich oft gar zu abrupt ändert. Es schlägt manchmal in der kürzesten Zeit von äußerster Zurückhaltung ins reine Gegenteil, in Dreistigkeit um. Das ist zweifellos ein Fehler des bestehenden Systems. Es macht keinen guten Eindruck, wenn ein achtzehn- oder neunzehnjähriges Mädchen plötzlich bei allem mitredet und über alles informiert ist, wenn man weiß, daß sie vor einem Jahr noch kaum imstande war, den Mund aufzutun. Sie, Mr. Bertram, dürften diese Verwandlung öfter beobachtet haben, nicht wahr?»
«Und ob! Aber das ist nicht fair von Ihnen, ich protestiere! Ich weiß, wo Sie hinauswollen. Sie wollen mich mit Miss Anderson aufziehen.»
«Ganz und gar nicht. Miss Anderson? Keine Ahnung, wen oder was Sie meinen. Ich tappe völlig im dunkeln. Aber ich werde Sie natürlich mit dem größten Vergnügen aufziehen, wenn Sie mir erklären, um was es sich handelt.»
«Oh, Sie spielen Ihre Rolle sehr gut, aber so leicht lasse ich mir nichts vormachen! Nein, bei Ihrer Beschreibung einer so jäh verwandelten jungen Dame haben Sie ganz bestimmt Miss Anderson im Auge gehabt! Sie haben sie gar zu präzise geschildert. Es war wirklich genau so. Die Andersons von Baker Street – wir haben noch kürzlich von ihnen gesprochen. Edmund, du hast mich öfter von Charles Anderson sprechen gehört. Die Umstände waren tatsächlich so, wie Miss Crawford sie schildert. Als Anderson mich vor zwei Jahren seiner Familie vorstellte, war seine Schwester noch nicht eingeführt, und ich konnte sie nicht dazu bringen, mit mir zu reden. Ich saß einmal eine ganze Stunde dort, während ich auf Anderson wartete. Außer mir war nur die junge Dame im Zimmer und noch ein oder zwei kleine Mädchen – die Gouvernante war krank oder davongelaufen, und die Mutter hatte irgendwelche Geschäftsbriefe zu erledigen und schaute nur immer auf einen Augenblick herein. Also gut – es war mir einfach nicht möglich, der jungen Dame ein Wort oder einen Blick zu entlocken. Sie preßte die Lippen zusammen und wandte sich mit steinerner Miene von mir ab. Ich sah sie erst nach einem Jahr wieder – da war sie eingeführt. Ich traf sie bei Mrs. Holford und erinnerte mich gar nicht mehr an sie. Sie aber kam geradewegs auf mich zu, begrüßte mich als einen alten Bekannten, brachte mich mit ihren Blicken ganz aus der Contenance und schwatzte und lachte, daß ich nicht wußte, wo ich bleiben sollte. Ich hatte das Gefühl, daß alle im Zimmer sich über mich lustig machten – und Miss Crawford, soviel ist klar, hat von dieser Geschichte gehört.»
«Nein, aber es ist eine sehr hübsche Geschichte, in der mehr Wahres steckt, als es Miss Anderson Ehre macht. Doch der Fehler ist allgemein verbreitet. Die Mütter haben es offenbar noch nicht ganz heraus, ihre Töchter richtig zu leiten. Ich weiß
nicht, woran es liegt. Ich maße mir nicht an, die Menschen zu belehren, aber ich sehe, daß sie es oft falsch machen.»
«Wer der Welt das Beispiel gibt, wie eine echte Dame sich zu benehmen hat», bemerkte Mr. Bertram galant, «trägt am meisten zu ihrer Belehrung bei.»
«Der Fehler liegt klar zutage», sagte der weniger artige Edmund. «Solche Mädchen sind einfach schlecht erzogen. Man hat ihnen von Anfang an nicht die richtigen Begriffe beigebracht. So oder so ist Eitelkeit ihr einziger Beweggrund. Ihr Benehmen, bevor sie in die Gesellschaft eingeführt sind, verrät ebensowenig echte Bescheidenheit wie nachher.»
«Ich weiß nicht», erwiderte Miss Crawford zögernd. «Nein, da kann ich Ihnen nicht rechtgeben. Diese falsche Bescheidenheit ist noch das Harmloseste an der ganzen Sache. Viel schlimmer ist es, wenn Mädchen, die nicht eingeführt sind, sich das gleiche Ansehen geben und die gleichen Freiheiten herausnehmen, wie wenn sie schon ein Recht darauf hätten. Das habe ich auch schon gesehen, und es ist einfach widerlich.»
«Ja, das ist wirklich etwas Lästiges», sagte Mr. Bertram. «Es führt einen irre, man weiß nicht, wie man daran ist. Das schmucklose Hütchen und die sittsame Miene, die Sie so richtig schildern (nichts könnte treffender sein), zeigen einem jungen Mann, was von ihm erwartet wird. Aber wo sie fehlen – letztes Jahr geriet ich