Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL. Sascha Feuchert
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Читать онлайн книгу Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL - Sascha Feuchert страница 6
Bald ein ganzes Jahr: Veit erhält aus Wien »eine Beorderung […], dass [er sich] binnen einer Woche in der Breitenseer Kaserne einzufinden hätte« (S. 356). Das macht ihm zwar einerseits Angst, andererseits weiß Veit, dass er »etwas tun« muss: »[I]ch musste etwas ändern, ich konnte mich selbst nicht mehr ausstehen.« (S. 357) Um sich mit einer Fahrerlaubnis auszustatten, sucht er erneut den Onkel auf, den er dabei antrifft, wie er die Mädchen, die Schwarzindien verlassen, ein letztes Mal kontrolliert. Fast nebenbei teilt ihm der Onkel mit, dass er eine Verhaftung vornehmen müsse. Veit bekommt aus ihm nicht heraus, wen er verhaften möchte, dennoch bemerkt er an seinem Onkel einen für ihn unüblichen »Tatendrang« (S. 361). Erst als Veit zu Hause ist, realisiert er, »dass sich der Onkel über [ihn] lustig gemacht hatte. Die Verhaftung galt dem Brasilianer.« (S. 361) Was dann geschieht, folgt für Veit einer »Traumlogik« (S. 362): »Ich nahm die Pistole vom Balken herunter, schluckte vorsorglich ein Pervitin« (S. 362). Er macht sich eilig auf den Weg nach Schwarzindien und verfolgt dort aus sicherer Entfernung, wie aus dem Gasthaus der Amtshelfer mit einer Verletzung herauskommt und vom Onkel zum Gemeindearzt geschickt wird (S. 363). Veit nutzt die sich ihm bietende Chance. Noch einmal verharrt er im Vorraum, bevor er sich sicher ist und das Schankzimmer betritt: »[I]ch musste einen Schnitt machen, ein sauberer Schnitt ist etwas, bei dem es kein Zurück gibt.« (S. 365) Der Onkel erfasst die Situation und will Veit überreden, wieder nach Hause zu gehen: »›Es ist schon genug Unheil angerichtet‹, sagte er. Und dieser Satz ließ alle Schäbigkeiten des Onkels aufleben, und ich hatte kein Mitleid mit ihm, wie er nie mit irgendwem Mitleid gehabt hatte. Und das Pervitin war bestimmt auch nicht ganz schuldlos, dass ich abdrückte.« (S. 365 f.) Der Schuss ist Veit tötet den Onkel …tödlich, der Onkel windet sich nur kurz und stirbt. Zusammen mit dem Brasilianer versteckt Veit die Leiche auf der anderen Straßenseite. Während der … und befreit Perttes Brasilianer zu einem neuen Versteck aufbricht, macht sich Veit auf den Weg nach Hause, weint wiederholt (S. 368) und verbringt eine unruhige Nacht. Als er am nächsten Morgen Margot begegnet, die bereits vom Tod des Onkels weiß, glaubt er »zu sehen, dass sie etwas ahnte, aber sie fragte nicht weiter nach, und ich gab keine weitere Auskunft, und es wurde nicht mehr darüber gesprochen« (S. 369).
Es sind vom Eichbaumeck: Erneut wechselt der Roman zur Perspektive der Mutter Margots, die ausführlich in Briefen von den Entwicklungen in Darmstadt berichtet. Zwar hat sie mittlerweile eine ganze Reihe von Briefen aus Mondsee erhalten, doch sind zumindest anfangs ihre Informationen noch veraltet (S. 371). Das Leben in der hessischen Stadt ist weiterhin vor allem von Tod, Zerstörung und Mangel gekennzeichnet, es spielen sich Tragödien in Darmstadt Tragödien ab, innerhalb und außerhalb der eigenen Familie (S. 373).
Für Margots Mutter ist vor allem das Alleinsein nur schwer zu ertragen, gerade auch kurz vor Weihnachten (S. 372). Immer wieder erhält sie zwar Besuch von ihrer Tochter Bettine und ihrem Ehemann, aber die Visiten sind nur kurz und oft auch wenig erquicklich. Sie hegt die Hoffnung, dass ihr Mann durch die Kriegserlebnisse »die Welt jetzt mit anderen Augen ansieht« (S. 375). Allerdings ist bei ihrem Gatten nur selten etwas von Demut zu spüren, wenn er auf Urlaub zu Hause ist, er macht ihr hauptsächlich Vorwürfe (S. 378).
Auf Margots Geständnis, dass sie ihren Ehemann nicht liebe, reagiert die Mutter zunächst mit einem Rat, den Margot, »wie [sie sie] kenne, nicht befolgen« wird: »Lass dich mit niemandem ein.« (S. 380) Aber sie hat auch Respekt für Margots Ehrlichkeit.
Die Sache ging sehr rasch: Das Kapitel versammelt mehrere Briefe, die Kurt Ritler an seinen besten Freund Ferdl schickt – er ist ihm nun zum engsten Vertrauten geworden. Die ersten Briefzeilen offenbaren auch, dass Kurt noch nichts von Nannis Tod weiß und weiterhin auf einen guten Ausgang hofft (S. 385). Doch dann wird zu Gewissheit, was auch Kurt seit Längerem ahnt: Nanni ist tot. Von der Nachricht selbst ist er »nicht wirklich überrascht. Die Überraschung liegt eher in der Wucht der Gefühle.« (S. 388)
Das alles muss Kurt verkraften, während sich auch sein Leben massiv verändert: Er wird zum Militär nach Hainburg (S. 384) eingezogen und muss zunächst in der Kaserne massiven Drill über sich ergehen lassen (S. 387). Zu den Hauptaufgaben während der Ausbildung gehört, dass Kurts Einheit »auf einem Hügel ein Lager für Arbeitsverpflichtete, die demnächst von Ungarn zum Schanzen kommen« (S. 389), errichtet. Auch das Leben in der Kaserne ist für die jungen Männer alles andere als leicht, schnell schon kommt es zu Wutausbrüchen (S. 391) oder der großzügig an sie ausgegebene Schnaps führt zu allerlei »Weltschmerz« (S. 392). Kurt berichtet auch beiläufig von einer Begegnung, die ihn wieder in den Besitz seiner Briefe an Nanni bringt: Ein Soldat, der »aus Mondsee gekommen« (S. 393) und in dem unschwer Veit Kolbe zu erkennen ist, habe ihm diese übergeben.
Aus der Übung und dem Drill in der Kaserne wird bald auch blutiger Ernst: Kurts Einheit wird nach Schlesien verlegt (S. 394), wo sie zunächst mit »Nichtstun, Bunkerbau, Essen und Schlafen« (S. 395) beschäftigt ist, doch dann immer näher Kurt im entsetzlichen Krieg an die Front verlegt wird. »Wir liegen in dem Dorf, in dem sich der Hauptverbandplatz befindet. Zu Fuß, auf Karren und Autos kommen die Verwundeten an. Das geht Tag und Nacht. Ein Bild des Grauens. Diese Bilder werde ich nie vergessen.« (S. 398)
Deutsche Einheiten auf dem Rückzug: Das Kapitel gibt Oskar Meyers Tagebuch wieder, das er offenbar anstelle oder neben der Briefkommunikation mit seiner Cousine Jeannette führt (S. 412). Er berichtet, wie die Lage in Budapest immer entsetzlicher wird (S. 399 f.): Juden werden auf offener Straße zusammen- und totgeschlagen, erschossen – und Oskar beobachtet, dass die Misshandlungen umso wahrscheinlicher und brutaler sind, je mehr Publikum herumsteht (S. 406). Die Täter beobachtet Oskar genau: »Ich glaube, einem Mörder gehört die Gegenwart wie sonst niemandem, ich glaube, deshalb wird es immer Mörder geben.« (S. 407)
Oskar macht sich massive Vorwürfe, Wally und Georg nicht genug beschützt zu haben, auch weil er einmalige Gelegenheiten zur Flucht ausgelassen hat (S. 401). Das Halstuch, das er einst Wally in Budapest kaufte, ist nun das einzig verbliebene Erinnerungsstück, das für Oskar zum Symbol wird und das er immer wieder erwähnt (S. 411 f., 417 f.). Ein Zimmergenosse zerstört Oskars letzte Hoffnungen auf eine Rückkehr von Wally und Georg brutal: »[D]ie beiden seien im Gas, im Ofen, jedenfalls überall sonst, nur nicht am Leben.« (S. 404) Obgleich viele andere ihm abraten, entschließt sich der verzweifelte Oskar, der nun den Namen Andor Bakos angenommen hat (S. 408, 418), sich freiwillig zu einem Oskar als Zwangsarbeiter Arbeitstransport zu melden. Zunächst mit dem Viehwaggon und dann auf einem brutalen Fußmarsch, dem viele Menschen zum Opfer fallen, werden die Freiwilligen nach Westen getrieben. In der Nacht vor der Ankunft in der Nähe von Hainburg (S. 417), wo die Männer zum Schanzen eingesetzt werden sollen, hat Oskar noch einen Traum, in dem ihm Wally erscheint. Wieder entschuldigt sich Oskar bei ihr für sein Versagen, nicht an ihrer Seite gewesen zu sein, als sie verhaftet wurde. Doch Wally »glitt ein Lächeln über [das] Gesicht, begleitet von einem Nicken, und es war, als hätte sie [ihm] die Erlaubnis gegeben, [sich] nicht mehr schuldig zu fühlen« (S. 417).
So tauche ich wieder in den Winter ein: Für Veit beginnt nach dem Mord an dem Onkel eine neue Neue Zeitrechnung Zeitrechnung: »[I]ch fühlte mich in Mondsee nicht mehr wohl, ich hatte das Gefühl, das Blut des Onkels riechen zu können, wann immer ich mich umdrehte.« (S. 420) Wenngleich der Mord eine Zäsur ist, so scheint Veit die prinzipielle Notwendigkeit der Tat dennoch immer klarer zu sein (S. 423). Die Behörden tappen bei der Aufklärung im Dunklen, für sie deutet alles auf den Brasilianer als Täter hin (S. 420 f.).
Veit stellt fest, wie sehr sich sein eigenes Leben verändert hat. Die Grundausbildung scheint ihm jedenfalls »hundert oder hundertzwanzig Jahre[ ]« (S. 425) zurückzuliegen, genauso wie ein positives und ungetrübtes Verhältnis zu den Eltern (S. 426). Die erneute Begegnung mit diesen