Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Inhalt
Es war Frühlingsanfang, aber der April kündigte sein baldiges Erscheinen schon mit Sturm und Regen an. Jana Haemlin schüttelte sich, als sie die Praxis von Dr. Norden betrat, und sie mußte auch gleich niesen.
»Entschuldigung, Wendy«, sagte sie.
»Wofür denn«, meinte Wendy lächelnd, »Husten und Schnupfen sind angesagt. Eigentlich geht es schon seit Weihnachten so.«
»Und jetzt steht Ostern vor der Tür.« Janas Stimme klang traurig. Schmal und blaß war die junge Frau, nicht mal der heftige Wind hatte ihre Wangen rosiger gefärbt.
»Brauchen Sie ein Rezept, Frau Haemlin, oder wollen Sie auf den Doktor warten?«
»Ich brauche ein Gesundheitsattest. Meinen Sie, daß Dr. Norden es mir ausstellt? Ich bin doch wieder gesund.«
»Wofür brauchen Sie es denn?«
»Ich will mich für eine Stellung als Kinderbetreuerin bewerben. Ich muß endlich wieder etwas tun, sonst fällt mir die Decke auf den Kopf.«
»Wollen Sie nicht in Ihren alten Job zurück?« fragte Wendy erstaunt. »Als Systematikerin würden Sie doch bedeutend mehr verdienen.«
»Es geht mir nicht ums Geld. Finanziell hat mich Rolf abgesichert. Ich möchte nicht in den Betrieb zurück, wo ich an ihn erinnert werde. Ich will nicht ständig bemitleidet werden. Außerdem möchte ich lieber mit Kindern zu tun haben als mit Maschinen.«
Wendy hatte auch ein tiefes Mitgefühl mit der jungen Frau, die vor knapp zwei Monaten ihren Mann bei einem Lawinenunglück verloren hatte. Nur achtzehn Monate waren sie verheiratet gewesen, und durch den Schock hatte Jana eine Fehlgeburt erlitten.
»Sie können gleich mit dem Chef sprechen«, sagte Wendy, »die Damen im Wartezimmer sind mit dem Erzählen sowieso noch nicht fertig.«
Gleich darauf begleitete Dr. Norden eine weißhaarige ältere Dame zur Tür. Ein flüchtiger Blick aus wachen grauen Augen streifte Jana, dann verabschiedete sich die Patientin freundlich von Wendy. Gleichzeitig begrüßte Dr. Norden nun Jana, die ihm ihr Anliegen vortrug.
»Welch seltsamer Zufall«, sagte er nachdenklich, »eben war Frau Liborius bei mir. Sie sucht eine Betreuerin für ihren vierjährigen Enkel, der seine Mutter vor zehn Monaten verloren hat. Eine solche Stellung könnte ich für Sie verantworten, weil ich die Verhältnisse kenne, aber sonst hätte ich Bedenken. Sie haben schon zuviel durchgemacht, Frau Haemlin, Sie dürften nicht schon wieder zwischen die Fronten geraten. Ich nehme an, daß die Beziehung zu Ihren Schwiegereltern sich nicht gebessert hat.«
»Im Gegenteil, jetzt haben sie einen Anwalt eingeschaltet, der prüfen soll, wieviel ihnen von Rolfs Sachen zusteht. Sie demütigen mich, wo sie nur können und tun gerade so, als sei ich schuld an dem Unglück. Ihnen wäre es freilich lieber, wenn ich tot wäre. Weil ich wegen der Schwangerschaft die Tour nicht mitmachen wollte, warfen sie mir auch vor, daß ich nicht bei meinem Mann war. So traurig es ist, aber jetzt bin ich fast dankbar, daß ich die Fehlgeburt hatte, sonst würden sie wohl auch noch um das Kind streiten.«
»Sie haben sich überhaupt nichts vorzuwerfen«, sagte Dr. Norden, »es ist schandbar, wie sich diese Leute benehmen.«
Das Ehepaar Haemlin war für seine Großspurigkeit bekannt. Sie hatten das Glück gehabt, große Grundstücke zu erben, mit deren Verkauf sie einen ungeheuren Gewinn erzielen konnten. Rolf hatte von seinen Eltern selbst gesagt, daß sie größenwahnsinnig geworden wären, denn alles was teuer war, mußten sie haben. Ein großartiges Haus und die kostspieligsten Autos. Natürlich wollte die stets mit auffallendem Schmuck behängte Frau Haemlin auch eine Schwiegertochter edlen Geblütes haben und nicht eine unscheinbare Angestellte, die eine geborene Bauer war. Nichts an Jana paßte ihr, von ihrem Vornamen angefangen, und daß Rolf sich Jana nicht hatte ausreden lassen, zahlten sie ihr nach Rolfs tragischem Tod erst recht heim.
Dr. Norden wußte, wie sehr Jana unter diesen Kränkungen litt, denn sie und Rolf waren glücklich gewesen und hatten sich durch nichts beeinflussen lassen. Aber jetzt war sie allein und anstatt um ihren Sohn zu trauern, wie Jana um ihn trauerte, überschütteten sie sie mit Beschimpfungen und Beleidigungen.
»Wäre es Ihnen recht, wenn ich ein Gespräch mit Frau Liborius vermittele?« fragte Dr. Norden.
»Vielleicht kennt sie die Haemlins und wird gleich gegen mich aufgehetzt«, sagte Jana stockend.
»Mit solchen Leuten gibt sich Frau Liborius bestimmt nicht ab«, sagte Dr. Norden. »Sie können ganz beruhigt sein. Sie ist eine sehr feinfühlige, gebildete Dame.«
»Aber ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen, wenn ich die Erwartungen nicht erfülle.«
»Ich denke, daß ich Sie schon recht gut kenne und Sie mich auch, Frau Haemlin.«
»Vielleicht sollte ich doch wieder meinen Mädchennamen annehmen, um nicht mit den Haemlins in Zusammenhang gebracht zu werden«, sagte Jana leise, »aber es käme mir dann so vor, als würde ich mich von Rolf scheiden lassen. Ich habe ihn geliebt, und er hat immer zu mir gehalten, obgleich seine Eltern alles versucht haben, uns zu trennen. Hätte sie doch nur mehr Kinder.«
Es war Freitag, und sie verblieben so, daß Dr. Norden Anfang der nächsten Woche mit Frau Liborius sprechen wollte, falls sich Jana nicht anders entschied, wenn sie ein paar Mal darüber geschlafen hatte.
Es war ja so, daß sie keine finanziellen Sorgen hatte. Sie konnte eine halbe Million aus Rolfs Lebensversicherung erwarten. Sie hatte auch ein ganz ansehnliches Sparkonto, außerdem eine sehr schöne Vierzimmerwohnung, die ihr gehörte und für die sie monatlich nur noch achthundert Euro abzahlen mußte.
Die Haemlins hatten zwar geltend machen wollen, daß die Wohnung von ihrem Geld bezahlt worden sei, aber dafür konnten sie keine Beweise erbringen und Jana wie auch Rolf sehr gut verdient hatten. Ja, auch das war diesen Leuten ein Dorn im Auge, daß Jana nicht nur eine sehr gute Schul- und Ausbildung gehabt hatte, sondern auch im Beruf erfolgreich war. Zu gern hätten sie ihr auch diesbezüglich alles Schlechte nachgesagt.
Dr. Norden sprach auch mit seiner Frau Fee am Abend darüber, was das für Menschen waren, die in dieser traurigen Situation nichts anderes wußten, als Jana das Leben schwer zu machen.
»Typische Parvenüs«, meinte Fee sarkastisch, »und sie haben bloß das Glück gehabt, daß heutzutage diese irrsinnigen Preise für Bauland gezahlt werden. Wieviel Profit sie da herausschlagen, haben sie gleich begriffen. Ich bin froh,