TAG DER ABRECHNUNG (Shadow Warriors 2). Stephen England
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»Hat es sich wirklich so zugetragen?«, hakte Ellsworth nach, dem die Skepsis ins Gesicht geschrieben stand. Harry hörte die Warnglocken läuten – aus den Resultaten der Maschine ließen sich Emotionen ableiten. Seine Emotionen. Kontrolle. »Ich werde Ihnen sagen, was ich denke, Mr. Nichols. Ich denke, es geschah vorsätzlich. Ich denke, Sie wollten ihn töten.«
Harry riss den Kopf nach oben und funkelte den Bürokraten finster an. »Ich wollte es? Ich wollte es?«, fauchte er, seine Stimme kaum mehr als ein Zischen. »Er war mein Freund.«
Doch als die Worte seinen Mund verließen, erkannte er seinen Fehler. Eine hübsch ausgelegte Falle, wie ihm beinahe losgelöst von jeglichen Emotionen klarwurde – oder dem völligen Fehlen derselben. Ellsworth war klüger, als er aussah.
»Das ist richtig«, erwiderte Ellsworth. »Er war Ihr Freund, nicht wahr? Und Ihr Rekrut, wenn mich mein Erinnerungsvermögen nicht täuscht. Sie haben ihn zur Agency gebracht, für ihn gebürgt. Ist das korrekt?«
»Ja.«
»Sagen Sie, Nichols, gibt es vielleicht noch einen anderen Grund, warum Sie ihn umbringen wollten?«
06:18 Uhr
Lays Residenz
Fairfax, Virginia
Das Geräusch eines startenden SUV-Motors drang im selben Moment in David Lays Ohren, als er gerade seine Krawatte fertig gebunden hatte. Zweifellos hatte Ramirez seine Suche nach Sprengstoffen beendet. Das war Teil der Morgenroutine, zusammen mit der stetig wechselnden Route zur Arbeit.
Lay verzog das Gesicht und richtete seinen Kragen. Wahrscheinlich war das Ganze nur Paranoia. Kein CIA-Direktor war je Ziel eines Attentats gewesen. Niemand hatte sich je auch nur die Mühe gemacht. Aber trotz allem hatte er auch nicht vor, der Erste zu werden. Und angesichts der vielen Feinde, die er sich in den letzten Monaten gemacht hatte …
Sein Blick fiel auf eine gerahmte Fotografie auf seinem Nachttisch. Das Gesicht einer jungen Frau Ende zwanzig lächelte ihn mit azurblauen Augen an. Sie hatte das Lächeln ihrer Mutter.
Seine Tochter Carol wieder in seinem Leben zu wissen – nach über zwanzig Jahren der Trennung – war für ihn ein größerer Segen als er verdiente. Seine Frau hatte ihn nur wenige Wochen nach Carols viertem Geburtstag verlassen, weil sie seiner langen Abwesenheit und der einsamen Nächte überdrüssig geworden war. Er konnte es ihr nicht verübeln.
Damals, gegen Ende des Kalten Krieges, war er ein aufstrebender junger CIA-Stabsoffizier gewesen. Jung und ungestüm. Patriotisch. Oder vielleicht auch nur übereifrig. Er wusste es immer noch nicht genau. Alles, was er wusste, war, dass er dafür seine Familie in Trümmern zurückgelassen hatte.
Selbst seine Tochter trug nicht mehr seinen Nachnamen, auch nicht nach ihrer kürzlichen Versöhnung. Und seine Frau war tot, vom Brustkrebs aus dem Leben gerissen. Es gab Zeiten, in denen Vergebung in unerreichbarer Ferne lag.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Ramirez‘ Stimme. »Ich denke, wir sollten aufbrechen, Sir. Der Verkehr heute Morgen scheint interessant zu werden …«
06:27 Uhr
Einsatzzentrale des National Clandestine Service (NCS)
Langley, Virginia
Manchmal war der frustrierendste Teil an einem Verrat, dass man das Warum dahinter nie erfuhr. Oder es keinen Sinn ergab. Carol Chambers strich sich ihre blonden Haare aus den Augen und klickte sich noch einmal durch die geöffneten Fenster auf dem Monitor an ihrem Arbeitsplatz. Nichts.
So hatte sie sich auch immer bezüglich ihres Vaters gefühlt. Vielleicht war die Suche nach dem Warum der Grund gewesen, weshalb sie sich der Agency angeschlossen hatte.
Etwas anderes konnte es nicht gewesen sein. Abgesehen von ihrem Abschluss am Massachusetts Institute of Technology war sie schlicht und ergreifend nur eine Hackerin, und auch wenn die CIA zumindest auf halblegalem Wege ihre Talente benötigen konnte, kannte sie doch einige Firmen, die sie deutlich besser bezahlt hätten.
»Immer noch keine Spur von dem Geld?«
Carol Chambers sah von ihrem Arbeitsplatz in der Einsatzzentrale auf. »Immer noch nichts, Ron. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Teheran ihm auch nur einen Cent bezahlt hat.«
Ron Carter nickte, mit einem ernsten Blick in seinem dunklen Gesicht. Der Afroamerikaner leitete die Abteilung Field Support and Analysis des NCS und war einer der besten Fotoanalytiker, die Langley je gesehen hatte.
»Dann haben wir es wohl mit einem Mann wahren Glaubens zu tun.«
»Kaum zu glauben, dass wir dachten, er wäre einer von uns.« Carol stieß ein langgezogenes Seufzen aus. Hamid Zakiris Geschichte war wahrscheinlich das größte geheimdienstliche Fiasko seit Bestehen der CIA.
Geborgen im Irak, oder zumindest hatte er sie das glauben lassen, war er als Folge der Operation Desert Storm als Kind in die USA gekommen. Nachdem er mit neunzehn Jahren in die US-Army eingetreten war, arbeitete er sich bis zu den Special Forces hoch, den legendären Green Berets.
Zakiri war in Afghanistan mit dem Bronze Star für Tapferkeit und dem Purple Heart für eine Beinverletzung in Tikrit im Irak ausgezeichnet worden. Und dort war er der CIA aufgefallen.
Sechs Jahre in der Armee, beinahe zehn Jahre im Clandestine Service. Sie hatten ihm vertraut. Selbst jetzt, mehr als zwei Monate nach seinem Verrat, war es immer noch schwer zu glauben, dass er ein iranischer Schläferagent gewesen war.
Die Akten die Operation betreffend waren versiegelt worden. Nur diejenigen, die ein Teil der Operation gewesen waren, kannten die ganze Wahrheit. Jene, die er betrogen hatte.
Die Welt hatte am Rande eines Krieges gestanden. Ein biologischer Anschlag auf die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, vom Regime des iranischen Präsidenten Mahmoud F’Azel Shirazi orchestriert und von Mitgliedern der Hisbollah ausgeführt. Ein geschickt eingefädelter Plan, Israel in den Angriff hineinzuziehen und seine Zerstörung zu bewirken.
Die CIA hatte ein Einsatzteam in Stellung gebracht, um die Freisetzung der Pestbakterien zu stoppen, aber sie hatten nicht geahnt, dass ihnen jemand aus den eigenen Reihen in den Rücken fallen würde.
Am Ende konnte der Angriff vereitelt werden, aber zu einem furchtbaren Preis. Ein weiterer Stern an der Wand, für den gefallenen Offizier Davood Sarami. Getötet von einem muslimischen Glaubensbruder.
Carter ergriff wieder das Wort. »Widmen wir uns erst einmal einer anderen Aufgabe«, sagte er und legte ihr einen USB-Stick auf den Tisch. »Sergei Ivanovich Korsakov.«
»Ehemals Speznas, richtig?«, erkundigte sich Carol und ordnete ihre Gedanken. »Scheint mir schon einmal auf unserem Radar aufgetaucht zu sein.«
»Hundert Punkte. Ist er auch. Nach seiner Entlassung aus der russischen Armee in 2000 mauserte er sich zu einer Art Söldner mit engen Verbindungen zur russischen Mafia und einem halben Dutzend anderer ähnlich dubioser Organisationen in ganz Osteuropa. Seit dem Attentat auf den Finanzminister der Ukraine vor drei Jahren, mit dem er in Verbindung gebracht wird, war er verschwunden.«
»Bis