William Lovell. Ludwig Tieck
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Könnt ich ihn doch fast beneiden – ja, lächle nur über den Menschen und seine Schwäche! – ich fühle in manchen Stunden eine Art von unbegreiflicher Eifersucht. Er ist trunken im Glücke der ersten Liebe, dies Gefühl hat ihm Paradiese aufgeschlossen, und wahrlich, erst jetzt, beim Anblick so mannigfaltiger Schönheiten, weiß ich, wie schön Deine Schwester ist, von ihrem Geist, von ihrer Liebenswürdigkeit will ich nicht einmal sprechen, die ich hier nur zu sehr vermisse in dieser Überfülle von Witz und glänzend kalter Koketterie. – Dann tut es mir aber wieder weh, ihn oft so tief in Träumen verloren zu sehn – mir dünkt dann wieder, er segelt über einen Strom, der ihm eine göttliche Aussicht bietet, er fühlt sich selig, indem er sein Auge an der Schönheit der Landschaft weidet; aber das Fährgeld hinüber ist zu teuer, und er wird es gewiß selbst bemerken, wenn die Fahrt geendigt ist und er den Fuß ans Ufer setzt. –
Der alte Willy ist gegen ihn der seltsamste Kontrast, er ist mehr unser Freund, als Diener, und William hat ihn nur aus Vorliebe mitgenommen. Ein Wesen, so natürlich und ungekünstelt, als wenn es die mütterliche Natur nur so eben hätte in die Welt hineinlaufen lassen. Er gafft und staunt alles an, und teilt mir dann oft in langen Gesprächen seine Bemerkungen mit.
William will sich mit dem Eigensinne seiner Empfindung durchaus nicht in den schnell wandelbaren Charakter des Volks finden, auf den Gassen ist er betäubt, in Gesellschaft wird er zu Tode geschwatzt, im Trauerspiel ärgert er sich, im Lustspiel gähnt er, in der Oper hat er einigemal sogar geschlafen. Er ist unvorsichtig genug, seine Bemerkungen Franzosen mitzuteilen, und diese finden dann, daß er den Sonderling spielt, daß sein Geschmack noch nicht gebildet ist – mit einem Worte: daß er kein Franzose ist. Diese Disputen sind mir immer sehr langweilig, ein jeder hält die Gründe des andern für trivial und keiner versteht den andern ganz, und beide haben recht und beide unrecht. –
Unter der Menge von Bekanntschaften haben wir einige sehr interessante gemacht, einige habe ich von meiner vorigen Reise aufgefrischt. Es ist oft unendlich leichter, in einer ganz fremden Familie zu einer Art von Vertraulichkeit zu kommen, als in einem Zirkel, in welchem man ehemals sehr bekannt war, wenn die Zeit die Erinnerung daran und ihre Farben ausgebleicht hat. Alles ist verwittert, die neu aufgetragenen Farben wollen nicht stehn, nichts ist in einem gewissen notwendigen Gleichmaß: man fürchtet in jedem Augenblicke zu sehr den Vertrauten, oder den kalt gewordenen Fremden zu spielen, man hat die Fugen der Seele indes vergessen und greift auf dem Instrumente unaufhörlich falsch. Den alten Grafen Melun hab ich wieder aufgesucht, seine Nichte, die damals ein hübsches Kind war, ist ein sehr schönes Weib geworden, ihr Verstand hat sich nicht weniger ausgebildet. Sie hat im vorigen Jahre einen gewissen Grafen Blainville geheiratet, der seit einigen Monaten gestorben ist; sie hat als Witwe das Ansehn des liebenswürdigsten Mädchens, und sie würde noch gefährlicher sein, wenn sich die Kokette in ihr nicht bald verriete. Der alte Graf ist noch ganz der Mann, der er ehedem war, er gehört zu denen Leuten, die, wenn sie sich ändern sollen, notwendig verlieren müssen, das heißt: sie sind auf einen gewissen Punkt der Ausbildung gekommen, über den sie ihre ganze Lebenszeit hindurch nicht wegschreiten, sie sind mit ihrem Verstande und allen ihren Begriffen glücklich in den Hafen eingelaufen und wagen nun um alles keine zweite Fahrt. Sein Haus ist noch immer so angenehm, wie vormals, er versammelt gern witzige Köpfe, schöne Geister, Gelehrte und Politiker um sich her: aus mehreren Strahlen wird doch endlich ein Schein, und dadurch würde ihn mancher von unsern Doktoren auf ein ganzes Vierteljahr für einen sehr gescheiten Mann halten. Dort hab ich auch einen Italiener, Rosa, kennen lernen, dessen genauere Bekanntschaft ich suchen werde. Ich habe noch wenige so feine Gesichter gesehn, in welchem mir vorzüglich die sprechenden Lippen auffallen, die sich ebenso willig in das freundlichste Lächeln, wie in die Falten des bittersten Spotts legen – ich habe nur noch wenig mit ihm gesprochen, aber alles, was er sagte, hat mich zu ihm gezogen; ohne es zu wollen, hat er meine Aufmerksamkeit ganz auf sich geheftet. Er ist kein Enthusiast, aber auch kein kalter, verschlossener Mensch, er ist sehr empfindlich für das Schöne, ohne zum Deklamator zu werden. Es freut mich, daß er sich an William schließt, von solchen Menschen kann dieser viel lernen, wenn er erst den geheimen Haß abgelegt hat, den er gegen Wesen fühlt, die ihm überlegen sind.
Wir sind mit einem jungen, aufbrausenden, sonderbaren Deutschen bekannt geworden, dem sich William ganz und gar hingibt; er heißt Balder und ist auch nur seit kurzem in Paris. Zwei harmonierendere Töne können nicht so leicht ineinanderschmelzen, als diese beiden Seelen: beide sind Enthusiasten, beide poetisch gestimmt, beide begegnen sich mit gleicher Liebe. – Ich mag noch itzt nichts davon merken lassen, daß eine solche Freundschaft, von zweien so ganz gleichgestimmten Wesen geschlossen, sich selbst bald aufzehren muß: es ist ein schnelles aufloderndes Feuer, das aber keine Hitze hat und ohne Dauer ist, denn wo man nicht fremde Fehler und fremde Vorzüge entdeckt, kann man nicht verehren und nicht lieben. – Aber William würde mir doch davon nichts glauben und darum schweig ich lieber, und wenn er selbst mit der Zeit diese Erfahrung macht, so bietet er gewiß seinem eigenen Gefühle Trotz, um sich diese unvermutete Erscheinung abzuleugnen.
Lebe wohl und antworte mir bald.
2
William Lovell an Eduard Burton
Paris.
Paris, liebster Freund, mißfällt mir höchlich; ich denke oft an Dich und an das einsame Bondly zurück, wenn ich mich hier in den glänzenden Zirkeln herumtreibe; dort war meine Seele in einer steten lieblichen Schwingung, hier bin ich verlassen in Felsenmauern eingekerkert, ein wüster Müßiggang ist mein Geschäft, vom Geschwätze betäubt, von keiner Seele verstanden. Doch nein, ich will mich nicht an dem Schicksal versündigen, ich habe hier einen Menschen gefunden, wie ihn mein Herz bedarf, ich habe auch hier einen Freund, der mich für so viele verlorne Stunden entschädigt. Ich habe die Bekanntschaft eines jungen Deutschen gemacht, er heißt Balder, ein Jüngling, dessen Seele fast allen Forderungen entspricht, die meine übertreibende Empfindung an einen Freund macht; er ist sanft und gefühlvoll, sein Herz wird leicht von der Schönheit und Erhabenheit erwärmt, fast allenthalben treffen sich unsre verwandten Geister in einem Mittelpunkte, ohne daß doch unsrer Natur jene Nuancen mangeln, die, wie man behauptet, in der Freundschaft und Liebe unentbehrlich sind, um beide dauerhaft zu machen. Ich habe nicht, wie er, diesen tiefen Hang zur düstern Schwärmerei, diese Kindlichkeit, mit der er sich an jeden Charakter schmiegt, den er liebt; ich bin kälter und zurückgezogener, meine Phantasie ist mehr in süßen, lieblichen Träumen zu Hause, er ist mit der Unterwelt und ihren Schrecknissen vertrauter. Alles macht auf ihn einen tiefen bleibenden Eindruck, sobald er nur eine schwermütige Seite auffinden kann, die Freude kann ihn nur aus der Ferne beleuchten, wie ein sanfter untergehender Abendschimmer. Sein Äußeres hat daher beim ersten Anblicke etwas Zurückscheuchendes, aber kaum kam ich ihm einen Schritt entgegen, als er sogleich die ganze zwischenstehende Wand niederwarf, die so oft auch die innigsten Freunde noch in manchen Stunden trennt. – Mortimer ist mir um so fremder, er kann kein empfindendes Herz haben, er lacht beständig, oder lächelt in seiner Kälte über meinen Enthusiasmus, auch Balder scheint ihm nicht zu gefallen. Ich zweifle nicht an seinem Edelmute, er spricht, so scheint es mir, oft mit vielem Verstande, er ist älter als ich und kennt die Welt mehr – aber ich zweifle, daß er den holden Einklang jener zarten Gefühle versteht, die sich nur den feinern Seelen offenbaren. – Zuweilen quält er mich wirklich, wenn ich eben unter goldenen Träumen der Zukunft und Vergangenheit wandle, von Deinem Bilde, und der holdseligen Gestalt Amaliens angelächelt; mit ihm zugleich