William Lovell. Ludwig Tieck

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William Lovell - Ludwig Tieck

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und beklemmt; ich mag lieber viele Stunden mit dem alten ehrlichen Willy zubringen, sein gutmütiges Geschwätz kömmt aus seinem Herzen, ich weiß, daß er nicht über mich spottet, daß er mich nicht studiert, um seine Menschenkenntnis zu vermehren. –

      Du wirst mir vielleicht wieder Bitterkeit und Übertreibung vorwerfen – mag's! aber ich wünsche nichts so sehnlich, als den Tag, an welchem ich Paris verlasse. Ich finde hier nichts von allem, was mich interessiert. – Die Stadt ist ein wüster, unregelmäßiger Steinhaufen, in ganz Paris hat man das Gefühl eines Gefängnisses, die Pracht des Hofes und der Vornehmen kontrastiert auf eine widrige Art mit der Armseligkeit der gemeineren Klassen; alles erinnert an Sklaverei und Unterdrückung. Die Gebäude sind mit kleinlichen Zieraten überladen, man stößt auf kein Kunstwerk, in welchem sich ein erhabener Geist abspiegelte, die Göttin der Laune und des lachenden Witzes hat alles Große zum Reizenden herabgewürdigt, und so sind aus den männlichen, kraftvollen Urbildern Roms und Griechenlands gezierte und unnatürliche Hermaphroditen geworden. Von dem großen Zwecke, von der erhabenen Bestimmung der Künste, von jenem Gefühle, aus welchem die Griechen ihren Homer und Phidias an die Halbgötter richten – davon ist auch hier die letzte Ahndung verlorengegangen; man lacht, man tanzt – und hat gelebt. – Ach, die goldenen Zeiten der Musen sind überhaupt auf ewig verschwunden! Als sich noch die Götter voll Milde auf die Erde herabließen, als die Schönheit und Furchtbarkeit noch in gleichgefälligen Gewändern auf den bunten Wiesen verschlungen tanzten, als die Horen noch mit goldenem Schlüssel Auroren ihre Bahn aufschlossen und segnende Gottheiten mit dem wohltätigen Füllhorne durch ihre lachende Schöpfung wandelten – ach damals war das Große und Schöne noch nicht zum Reizenden herabgewürdiget. Versinnlicht stand die erhabene Weisheit unter den fühlenden Menschenkindern, an mitfühlende Götterherzen gelangte das Gebet des Flehenden, Götter hielten Wacht an dem Lager des schlafenden Elenden, keine Wüste war unbewohnt, seine Götter landeten mit dem Verirrten an fremde Gestade, Sturmwinde und Quellen sprachen in verständlichen Tönen, in der schönen Natur stand der Mensch unbefangen da, wie ein geliebtes Kind im Kreise seiner zärtlichen Familie – aber itzt, o Eduard, schon oft hab ich es gewünscht und ich sag es Dir ungescheut – ich bedaure es, daß man den entzückten Menschen so nahe an das schöne Gemälde geführt hat, daß die täuschenden Perspektiven verfliegen: wir lachen itzt über die, die sich einst von diesen grobaufgetragenen Farben, von diesen verwirrten Strichen und Schatten hintergehn ließen und Leben auf der toten Leinwand fanden – wir haben den Betrug mit einem dreisten Schritte enträtselt – aber was haben wir damit gewonnen? Die Gestalten sind verschwunden, aber unser Blick dringt doch nicht durch den Vorhang – und wenn er es könnte, würden wir mit diesen körperlichen Augen etwas wahrnehmen? Ist der Mensch nicht zur Täuschung mit seinen Sinnen geschaffen – wie ist es möglich, daß sie jemals aufhöre? – Ich liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich beweist, daß er nur in meinem Auge existiere – ist mein Auge nicht ein wirkliches Wesen und darum für mich auch die Erscheinung wirklich? – Ich hasse die Menschen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Dämmerung hineinleuchten und die lieblichen Schattenphantome verjagen, die so sicher unter der gewölbten Laube wohnten. In unserm Zeitalter ist eine Art von Tag geworden, aber die romantische Nacht- und Morgenbeleuchtung war schöner, als dieses graue Licht des wolkigen Himmels; den Durchbruch der Sonne und das reine Ätherblau müssen wir erst von der Zukunft erwarten. –

      Wie mich alles hier anekelt! – Man spricht und schwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein einzigmal zu sagen, was man denkt; man geht ins Konzert, ohne die Absicht zu haben, Musik zu hören; man umarmt und küßt sich, und wünscht diese Küsse vergiftet. Es ist eine Welt voller Schauspieler und wo man überdies noch die meisten Rollen armselig darstellen sieht, wo man die fremdartigen Maschinerien der Eitelkeit, Nachahmungssucht oder des Neides so deutlich durchblicken läßt, daß bei manchen keine Täuschung möglich ist. –

      Ich bin aus Langeweile einige Male ins Theater gegangen. Tragödien voller Epigrammen, ohne Handlung und Empfindung, Tiraden, die mir gerade so vorkommen, wie auf alten Gemälden Worte den Personen aus dem Munde gehn, um sich deutlich zu machen – diese hertragiert, auf eine Art, daß man oft in Versuchung kömmt, zu lachen; je mehr sich der Schauspieler von der Natur entfernt, je mehr wird er für einen großen Künstler gehalten, Könige und Königinnen, Helden und Liebhaber sind mir noch nie in einem so armseligen Lichte erschienen, als auf der Pariser Bühne – kein Herz wird gerührt, keine Empfindung angeschlagen, genug, man hört Reime klingeln, und der Vorhang sagt einem am Ende doch, daß nun das Stück geschlossen sei, und so hat man, ohne zu wissen wie, ein chef d'oeuvre des größten tragischen Genies gesehn. – Oh, Sophokles! und göttlicher Shakespeare! – Wenn man den Busen mit euren Empfindungen gefüllt, von eurem Geiste angeweht diese Marionettenschauspiele betrachtet!

      Und dann die frostigen, langweiligen Lustspiele! wo ein sogenannter witziger Einfall das ganze Parterre wie mit einem elektrischen Schlage trifft, wo nicht Menschen, sondern ausgehöhlte Bilder auftreten, in welche sich der Dichter mit seinem Witze verkriecht! – Ein schales, leeres Wortgeschwätz, alles ein Wesen, alles eine wiederkehrende, alltägliche Idee; doch ist für diese Possen das Schellengeklingel ihrer Reime etwas angemessener. –

      In der großen, weltberühmten Pariser Oper bin ich eingeschlafen. – Arme und Füße eines Giganten an den Körper eines Zwerges gesetzt, machen doch wirklich ein vortreffliches Ganzes aus! Musiker, Maler, Tänzer, Dichter arbeiten sich außer Atem, um ein armseliges Ungeheuer zustande zu bringen, das nicht einmal das Verdienst der Unterhaltung hat.

      Doch hinweg von diesen Kleinigkeiten! Seit ich Frankreich kennenlerne, fang ich an, mein Vaterland um so höher zu achten – dort wohnen Freundschaft und Liebe, dort schämen sich die Menschen nicht, ein Herz zu haben und ihre Gefühle zu bekennen – oh, Amalie! unaufhörlich denk ich an dich! – An diesen Namen knüpfen sich tausend süße und bittre, schwermütige und frohe Empfindungen: diese Hoffnung ist eine Sonne, die meine neblichten Tage vergoldet, in Amaliens Busen liegt der Schatz, der mich einst glücklich machen muß. –

      Ich habe indes schon manche schönere Gestalt gesehn, als Amalie ist, aber ich habe immer selbst in meinem Herzen darüber triumphiert, wie sie in meiner Phantasie über alle übrigen hinwegragt. Sie gehört nicht zu jenen Schönheiten, die das Auge augenblicklich fesseln und die Seele kalt und erstorben lassen. So ist die Nichte eines Grafen Melun hier, vielleicht das reizendste weibliche Geschöpf, das ich je gesehen habe, aber das Imponierende ihrer feurigen Lebhaftigkeit ist sehr von jener holdseligen Herrschaft verschieden, die aus Amaliens Augen über die Seele gebietet. – Alle Vergleichungen, die meine Gedanken vornehmen, dienen nur, sie mit neuen unwiderstehlichern Reizen als Siegerin in meine Arme zu führen. –

      Dein ewiger Freund.

      3

      Willy an seinen Bruder Thomas

      Paris.

      Da ich Dir nun einmal schreibe, so weiß ich doch wahrhaftig nicht, wo ich anfangen soll, so voll ist mir der Kopf von merkwürdigen Schreibereien, und ich möchte die Feder in beide Hände nehmen, um Dich nur recht viel erfahren zu lassen. – Daß der Herr William ein guter Mann ist, das wirst Du Dir wohl schon mit Deinem bißchen Verstande zusammenreimen können, aber daß er so gut mit mir umgeht, wie ein Vater mit seinem Kinde, das die Pocken hat, das wirst Du vielleicht nimmermehr glauben wollen.

      Hast Du wohl schon ein ordentliches Puppenspiel mit lebendigen Personen gesehn? Solche sind hier viele und man hat besondre Häuser dazu für die Leute gebaut, die es auch mit ansehn wollen. Man sollte nicht glauben, daß so viele Leute eine solche Neugier in sich hätten. Es ist immer sehr hell bei solchen Gelegenheiten, von den vielen Lichtern nämlich, Thomas, mußt Du verstehn, die ringsum in dem ganzen Hause brennen, denn sonst würden die Leute, die es gern sehn wollen,

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