Der kleine Fürst Staffel 5 – Adelsroman. Viola Maybach
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»Ich hoffe, Sie berichten mir«, erklärte Irina, während sie Clara hinausbegleitete.
Clara versprach das, verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung, setzte sich in ihren Wagen und fuhr davon.
Irina Mahler aber kehrte nachdenklich in ihre Wohnung zurück. Sie musste aufpassen, dass sie sich der jungen Frau nicht allzu sehr öffnete, weil sie sie gern hatte. Mit einem Seufzer betrachtete sie ihr Bild in dem schweren Spiegel, der über einem Rokokotischchen hing, wandte sich jedoch nach wenigen Sekunden ab und ging zum Fenster, wo sie lange auf die Straße hinuntersah, in Gedanken sehr weit weg.
*
»Wenn du mitfährst, komme ich auch mit«, beschloss Anna von Kant, die dreizehnjährige Cousine Christian von Sternbergs. »Ich finde Auktionen zwar stinklangweilig, aber die Sache mit dem Collier ist schon interessant.«
Christian und sie standen vor einem Portrait der Fürstin Josefine von Sternberg – es war im Jahre 1756 gemalt worden und zeigte die Fürstin mit eben dem Collier, das jetzt auf der Auktion des berühmten Auktionshauses Arndt & Semmeling versteigert werden sollte. Wieso es sich nicht mehr im Besitz der Familie Sternberg befand, hatte sich bislang nicht einwandfrei feststellen lassen.
»Ja, das finde ich auch«, erwiderte der kleine Fürst. »Außerdem ist das doch mal was Neues für uns, Anna.«
»Und Konny wird sich freuen, wenn er machen kann, was er will«, stellte sie fest. »Er hat ja schon gesagt, dass er nicht mitkommt.« Ihr Bruder Konrad empfand sich mit seinen sechzehn Jahren als erwachsen, was ihn eine Zeitlang veranlasst hatte, Dinge zu tun, die er für »erwachsen« hielt: Er hatte unter anderem zu viel Alkohol getrunken, die Schule geschwänzt und sich die falschen Freunde gesucht. Das schien vorbei zu sein, doch noch immer sorgten sich die Eltern, Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant, um ihn und fürchteten, dass er in seine früheren schlechten Gewohnheiten zurückfallen könnte.
»Na ja, er wird schon nichts anrichten«, meinte Christian und löste endlich seinen Blick von Josefine von Sternberg. Das nahm sein junger Boxer Togo zum Anlass, seine Bedürfnisse anzumelden. Er begann zu winseln und Christians Hand zu lecken, bis dieser sagte: »Schon gut, Togo, wir gehen ja noch ein bisschen raus. Kommst du mit, Anna?«
Seine Cousine warf einen Blick aus dem Fenster, sah den bewölkten Himmel, aus dem es den ganzen Tag über ständig getröpfelt hatte, und schüttelte den Kopf. »Nee, lieber nicht. Bis später, Chris.«
»Also dann, auf geht’s, Togo!«, sagte der kleine Fürst.
Togo jagte die breite Treppe hinunter und war natürlich zuerst unten vorm großen Eingangsportal. Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Schloss Sternberg, erschien. »Wollen Sie jetzt mit dem Hund nach draußen, Prinz Christian? Es wird mit Sicherheit gleich regnen.«
»Dann kommen wir schnell wieder, Herr Hagedorn, aber der arme Togo hatte heute überhaupt noch keinen Auslauf, und ich habe es ihm versprochen.«
»Wenn das so ist«, erwiderte der Butler lächelnd, »ein Versprechen muss man natürlich halten.« Er öffnete die Tür und entließ die beiden in den frischen Frühlingstag. Exakt fünf Minuten später ging ein wahrer Wolkenbruch nieder, der Prinz und sein Hund kehrten jedoch erst zurück, als der Regen wieder aufgehört hatte.
»Wir haben uns in einem der Pferdeställe untergestellt, Herr Hagedorn«, erklärte Christian. »Sie sehen, wir sind fast gar nicht nass geworden.« Er sah den vor Nässe zitternden Togo an und lächelte verlegen. »Na ja, ein bisschen vielleicht doch.«
»Ich übernehme Togo«, schlug Eberhard Hagedorn vor, »und Sie ziehen sich bitte um, Prinz Christian.«
Der kleine Fürst kam nicht einmal auf die Idee zu widersprechen. Herr Hagedorn war eine Autorität im Schloss – und ausnahmslos waren seine Vorschläge klug und wohl durchdacht. Es war also auch klug, ihnen zu folgen.
*
Graf Leonid von Zydar spürte die Blicke, die verstohlen auf ihm ruhten, durchaus, doch er gab vor, nichts davon zu bemerken. Seit er St. Petersburg verlassen hatte und nach Deutschland übergesiedelt war, stieß er überall auf Neugierde, zugleich aber auch auf Ablehnung. Er galt als »undurchsichtig«, so hatte es erst kürzlich wieder in einer Zeitschrift gestanden. Diesen Ruf besaß er allein deshalb, weil er in der luxuriösen Villa, die er erworben hatte, ein zurückgezogenes Leben führte und nicht jedem Auskunft darüber gab, woher er kam und warum er ausgerechnet hier
im Sternberger Land zu leben wünschte.
Einer der wenigen Menschen, mit denen er sich angefreundet hatte, war Johannes von Thalbach. Der fünfzigjährige Bankier und er hatten zahlreiche gemeinsame Interessen – und vor allem gehörte Johannes nicht zu den Menschen, die ständig Fragen stellen. Sie konnten entspannt miteinander schweigen, während sie eine gute Flasche Wein tranken, und außerdem war Johannes häufig in Petersburg gewesen, er wusste also, was Leonid vermisste – und was er gern hinter sich gelassen hatte. Er war sofort bereit gewesen, Leonid zu dieser Auktion zu begleiten, und er war es jetzt auch, der ihm eine Hand auf den Arm legte und fragte: »Leo? Darf ich dir Sofia und Friedrich von Kant vorstellen? Sie leben auf Sternberg, und ich hörte soeben, dass ihr euch bisher nicht begegnet seid.«
Leonid drehte sich um und sah sich zwei forschenden Augenpaaren gegenüber. Sofia von Kant lächelte ihn an. »Wir freuen uns, Sie kennenzulernen, Graf von Zydar«, sagte sie freundlich.
Der Baron schloss sich seiner Frau an, und Leonid stellte erstaunt fest, dass er die beiden sympathisch fand. Sie blickten ihn offen an, sie schienen nicht einmal auf die Idee zu kommen, ihn sofort mit neugierigen Fragen zu bombardieren, und ihm fiel ferner auf, dass sein Freund Johannes offenbar auf gutem Fuß mit den Sternbergern stand. Nun schoben sich zwei Jugendliche in Leonids Blickfeld: ein etwa fünfzehnjähriger Junge mit schmalem, gut geschnittenem Gesicht und glatten, ziemlich langen dunklen Haaren und ein etwas jüngeres blondes, niedlich aussehendes Mädchen.
»Dies ist unser Neffe, Prinz Christian von Sternberg«, stellte Baron Friedrich vor, »und das ist Anna, unsere Tochter.«
»Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen«, erklärte Leonid. »Oder sollte ich besser ›Sie‹ sagen?«
»Nicht nötig«, erklärte Christian. »Nicht, Anna?«
Anna zögerte.
»Wenn Sie uns mit ›Sie‹ anreden, wirken wir erwachsener«, sagte sie. »Das fände ich gar nicht so schlecht – jedenfalls hier. Außer uns sind ja überhaupt keine Jugendlichen da.«
»Anna hat Recht«, fand Christian. »Also könnten Sie uns hier vielleicht siezen?« Großzügig setzte er nach kurzer Pause hinzu: »Woanders können Sie uns natürlich duzen.«
»Selbstverständlich.« Leonid hatte Spaß an den beiden, weil sie so offen sagten, was sie wollten. Überhaupt schien diese Familie – Christian gehörte mittlerweile offensichtlich dazu, natürlich wusste Leonid vom tödlichen Unfall seiner Eltern – eine erfreuliche Ausnahme unter all den eingebildeten und verwöhnten Adeligen zu bilden, die er bisher kennengelernt hatte. »Es wird mir ein Vergnügen sein«, setzte er hinzu.
»Haben Sie schon das Collier gesehen?«, fragte Anna.
Leonid wusste sofort, von welchem Collier sie sprach. »Das von Ihrer Urahnin, Christian?«,