Ans Herz gelegt. Clemens Sedmak
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Der heilige Thomas von Aquin hat die Dummheit als „Abstumpfung der Sinne“ beschrieben, als Eigenschaft von Menschen, die halbschlafend durchs Leben taumeln, nicht hören und zuhören, nicht sehen und beobachten, eher gelangweilt als inspiriert sind von dem, was ist. Da hat er nicht von Dir gesprochen.
Du warst immer ein aufgewecktes Kind. Und ein aufweckendes Kind, ein Kind, das nicht immer eingeschlafen ist, wenn wir als Eltern meinten, es wäre an der Zeit. Du weißt: Wir haben Deine ersten beiden Lebensjahre in Chicago verbracht, ich hatte damals ein Stipendium und kaum andere Verpflichtungen und war viel daheim und viel mit Dir unterwegs. Deine Mama und ich sind stundenlang mit dem Kinderwagen spazieren gegangen, durch die schönen Straßen von Hyde Park, Du hast selig geschlummert und abends haben sich Deine unerfahrenen Eltern, fernab von eigenen Eltern und kindeserfahrenen Menschen, gewundert, dass Du nicht eingeschlafen bist. Dein lautstarker Protest gegen die Zumutung, schon wieder einschlafen zu sollen, hat uns selbst vom Schlafen abgehalten oder auch in der Nacht aufgeweckt. Einmal bin ich in meiner Verzweiflung, weil Dich sanftes Schaukeln am ehesten schlafen ließ, mit unserem alten großen schiffsartigen Chevrolet um Mitternacht in die Stadt hineingefahren, und in der Tat, Du bist weggedämmert. Ich sehe noch die Lichter von Chicago vor mir und erinnere mich an die Dankbarkeit, im sicheren Auto zu sitzen, die Kulisse zu erleben – und ein schlafendes (!) Kind im Auto zu haben.
Natürlich hast Du als Baby das gemacht, was junge Eltern auf dem Weg zur Heiligkeit weiterbringen sollte (ja, das steht im Konzilsdokument Gaudium et Spes unter Nummer 48: „Die Kinder als lebendige Glieder der Familie tragen auf ihre Weise zur Heiligung der Eltern bei“). Du hast uns also „auf Deine Weise“ geholfen, bessere Menschen zu werden: Du hast uns den Schlaf geraubt; da waren Hunger, die Kämpfe mit der Verdauung, Unwohlsein wegen voller Windeln, das Gebrüll und das Weinen als einstmals einzige Antwort. So hast Du uns immer wieder aufgeweckt. Nacht für Nacht.
Das war ein Weg – unter anderem der Weg hin zur Dankbarkeit für ein schlafendes Kind. Als ich nach Deiner Geburt, Dich und Mama im Krankenhaus lassend, nach Hause gefahren bin, um ein paar Dinge zu holen und nach durchwachter Nacht ein wenig zu schlafen, bin ich voller Erwartung ins Krankenhaus zurückgekehrt und habe mich auf meine Tochter gefreut. Ich wollte sie in den Arm nehmen, ihr sagen „Wir werden gemeinsam die Welt entdecken“ und ich habe mich auf die großen, vertrauensvollen Augen gefreut, die mich abenteuerlustig anschauten; Du weißt: Ich war so enttäuscht, dass Du geschlafen hast, und wollte Dich – einmal, ein einziges Mal und nie wieder in Babyzeiten – aufwecken. Da hättest Du schon viel an Liebesfähigkeit gezeigt, Dich ohne Groll aufwecken zu lassen. Das ist nämlich nicht besonders lustig, aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Einen Menschen zu lieben heißt, sich von ihm aufwecken zu lassen.
Ich möchte diesen Gedanken festhalten; siebzehn Jahre später weckst Du Deine Eltern wieder auf; nicht durch Gebrüll und nicht wegen Hunger oder voller Windeln; sondern durch schlichtes Heimkommen zu nachtschlafender Stunde. Diese Stunde heißt nicht von ungefähr „nachtschlafen“; es ist eine Stunde, gedacht dafür, dass man sie mit Schlaf füllt, so wie man Salz in einen Salzstreuer füllt; und nicht so sehr, um das Salz von Geräusch und Bewegung in die Wunden der Ruhenden zu streuen.
Längst hat sich der Mechanismus der Natur, dass Kinder vor den Eltern schlafen und mehr Schlaf brauchen, verabschiedet; die erschöpften Eltern dämmern dahin, während die Kinder putzmunter sind.
Unterschiedliche Rhythmen schaffen Reibungsflächen. Natürlich bist Du rücksichtsvoll; und natürlich gehst Du auf Zehenspitzen; und natürlich ist es sozusagen Pech, dass Dein Zimmer und das Elternschlafzimmer in einem hellhörigen Haus aneinandergrenzen und wir recht unterschiedliche Arbeits- und Schlafrhythmen haben. Da sind Reibungsflächen unvermeidbar, gewissermaßen aus strukturellen Gründen. Und es ist nicht Deine Schuld, dass ich so schwer einschlafen kann, wenn der Schlaf unterbrochen wurde. Das liegt sozusagen in den Strukturen.
Das bringt mich auf den Gedanken von „Strukturen der Liebe“. In der christlichen Sozialethik ist viel von „Strukturen der Sünde“ die Rede, von Strukturen, die Ungerechtigkeit erzeugen und abwegiges Verhalten fördern und es einem Menschen schwer machen, redlich zu sein und redlich zu handeln. Wenn ein ganzes System korrupt ist, ist es schwer, sich der Dynamik zu entziehen. Analog ist es eine Sache von Liebe und Klugheit, Strukturen einzurichten, die es Menschen möglichst leicht machen, sich als liebevolle Menschen zu verhalten. Gute Abmachungen sind ein solches Beispiel.
Gute Abmachungen formen „Strukturen der Liebe“; es ist für einen Menschen, der liebevoll sein möchte, klug und vernünftig, das Leben so einzurichten, dass es möglichst leicht ist, ein liebevoller Mensch zu sein; das hat auch mit Ordnungen und Strukturen zu tun. Man kann ein Haus planen, in dem unterschiedliche Lebensrhythmen gut nebeneinander untergebracht werden können; das ist eine Frage der „Struktur der Liebe“; man kann aber auch Vereinbarungen treffen, die die Möglichkeit der Reibung herabsetzen; wir haben uns zum Beispiel ausgemacht, dass Du im Wohnzimmer schläfst, wenn Du später heimkommst; das ist eine Frage der „Struktur der Liebe“. Strukturen der Liebe wollen klug und kreativ geplant sein. Und das Schöne ist: Wir können miteinander reden, uns diese Strukturen der Liebe ausmachen, Abmachungen treffen.
Wir haben uns ausgemacht, dass wir gemeinsam nach Graz fahren, zu zweit, damit Du Dir die Stadt einmal anschauen kannst. Du wirst Dinge sehen, die ich nicht sehe; Dir werden Details auffallen, die mir nicht auffallen. Ich lasse mich gerne aufwecken von Dir. Du bist ja wunderbar begeisterungsfähig. Und weckst damit viele auf.
Und dabei bist Du auch noch taktvoll – denn manchmal braucht es viel Takt, wenn Du jemanden aufweckst. So wie damals, als Du mich aufgeweckt hast durch das Fragen; Du hast mich etwas zur Spanischhausübung gefragt, das ich nicht wusste; sehr taktvoll hast Du nicht weiter darauf beharrt, sozusagen selbstverständlich Grenzen schläfrigen Nichtwissens akzeptiert. Danke dafür.
Liebe Magdalena, ich bin gerne Vater, ich bin sehr gerne Dein Vater. Das wären sicher viele. Doch ich habe hier das große Los gezogen. Das macht mich sehr dankbar – und hellwach!
In Liebe, Papa
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