Als die Sonne nicht unterging. Sigrid-Maria Größing
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Aber die Zeiten änderten sich, Unruhen drohten im Land auszubrechen, sodass die Polos die Absicht äußerten, nach Hause zurückkehren zu wollen. Dies war leichter gesagt als bewilligt, denn Kublai Khan schätzte den Rat der Europäer. Schließlich gelang es ihnen mit List, indem sie vorgaben, eine heiratswillige Prinzessin nach Persien begleiten zu wollen, die Ausreisegenehmigung zu bekommen. Über den Seeweg gelangten sie bis zum persisehen Hafen Hormus, von dort wählten sie den Landweg. Das stellte sich aber als Fehler heraus, denn in Trabzon am Schwarzen Meer wurden sie ihrer gesamten Habe beraubt, vor allem der Verlust der fünfhundert Kilogramm reiner Seide schmerzte die Händler besonders. Nur die Edelsteine, die sie mit sich führten und in den Saum ihrer Mäntel eingenäht hatten, blieben ihnen erhalten und dienten ihnen in Venedig als Erkennungszeichen. Denn dort hatte man die abenteuerlichen Polos längst vergessen.
Der weitere Lebensweg Marco Polos ist in gewisser Weise dubios, denn angeblich hatte er das Kommando über die venezianische Flotte im Kampf gegen die Republik Genua erhalten. Etwas, das wenig glaubwürdig scheint, da er alles andere als ein Seefahrer war. In diesem Krieg kam er nach seinen Berichten in Gefangenschaft, wo er seine Abenteuer diktierte. Nach seiner Rückkehr nach Venedig heiratete er Donat Badoer, die Tochter eines befreundeten Kaufmannes, und wurde Vater von drei Töchtern. Zunächst war er – nicht nur weil er Spaghetti aus China in seine Heimat brachte – ein angesehener Mann. Als er aber begann, in seinen Erzählungen immer mehr vom ungeheuren Reichtum in China zu berichten, wurde er zum Spottobjekt, dessen Haus man »Corte del Million« nannte. Was er am Hofe des Kublai Khan wirklich erlebt hatte, bleibt bis heute ein Geheimnis, denn vieles, worüber er schrieb, entbehrt jeder Wirklichkeit. Als großer Abenteurer ist er dennoch in die Geschichte eingegangen.
Sie boten oft die perfekte Illusion
Beneidet und bespuckt, gepriesen und beschimpft, so zogen jahrhundertelang die Gaukler und Spielleute, Spaßmacher und Quacksalber von Ort zu Ort, um Neuigkeiten, Sensationen und Katastrophen dem Volke kundzutun.
Es war wahrlich kein leichtes Leben, das die Angehörigen des fahrenden Volkes führten, denn seit alters her galten sie als unehrenhaft und liederlich. Kein Mensch, der nur irgendetwas auf sich hielt, konnte sich vorstellen, mit den Gauklern mitzuziehen. Allzusehr hatte ihr Ruf, vor allem durch die Verurteilung durch die kirchlichen Behörden, gelitten. Man sah von christlicher Seite in den Spielleuten nicht das, was sie eigentlich waren – Unterhalter breiter Volksschichten –, sondern verderbte, unmoralische Subjekte. Daher waren die Strafen auch äußerst milde, wenn ein Angehöriger des satten Bürgertums einen Gaukler erschlug. Tat aber ein ehrenwerter Mann einem fahrenden Weib Gewalt an, so wurde diese Tat überhaupt nicht geahndet.
Trotz des schlechten Rufes, den die Spielleute besaßen, wurden sie in den meisten Landstrichen gerne gesehen. Kam mit ihnen und ihren Künsten doch Abwechslung in das eher eintönige Leben, vor allem auf dem Lande. Man überhörte geflissentlich die Mahnungen der Kirche, die Darbietungen der Gaukler nicht zu besuchen, denn aus ihnen spräche nur der Teufel, und bestaunte die Künste der Akrobaten, Seiltänzer, Feuerschlucker, Jongleure und Schauspieler. Ab und zu konnte es vorkommen, dass ein hoher Herr von den Kunststücken der Spielleute so begeistert war, dass er sie ins Schloss einlud, wo er ihnen neben ein paar Goldstücken auch seine abgetragenen Kleider oder da und dort ein gutes Pferd schenkte. Vielleicht zeigten sich die Gaukler dann beim Handlesen erkenntlich oder deuteten einen Traum besonders positiv für die Zukunft.
Einige Chroniken berichten über das Auftreten der Spielleute sogar bei Hofe, wie bei der Hochzeit eines Bruders des französischen Königs Ludwig IX. im Jahre 1237. Die staunende Hochzeitsgesellschaft konnte beobachten, wie ein Akrobat über ein doppelt gespanntes Seil mit seinem Pferd hoch über den Köpfen der Anwesenden ritt.
Im Allgemeinen führten die Spielleute ein eher ärmliches Leben, denn ihre Einnahmen waren gering, sodass sie oftmals am Hungertuche nagten. Vielleicht war dies auch der Grund, warum sich ihr Programm an der Schwelle zur Neuzeit änderte, denn hatte man bis jetzt vor allem akrobatische Kunststücke dargeboten, so ging man dazu über, den direkten Kontakt mit dem Volk zu suchen. Berufsringer und -fechter forderten die Bauernburschen des Dorfes zum Zweikampf heraus, wobei der Siegerlohn von vornherein feststand. Man zog mit dressierten wilden, furchterregenden Tieren übers Land, die den Schaulustigen den Schauer über den Rücken laufen ließen. Später baute man Schießstände auf, von denen aus die Dorfbewohner auf hölzerne Türkenköpfe schießen konnten, während sich die lebendigen Türken zum Sturm auf Mitteleuropa rüsteten.
Wie die Gaukler des 15. Jahrhunderts aussahen, wissen wir von Spielkarten, die ein gewisser Meister, von dem nur die Initialen E.S. bekannt sind, gemalt hat: Man sieht auf den Karten schlanke, durchtrainierte Körper in enganliegenden Kostümen, die Bälle werfen, Steine stoßen, mit Spießen kämpfen oder komische Tänze aufführen.
Die Gaukler und Spielleute hatten keinen festen Wohnsitz, wie Nomaden zogen sie von Ort zu Ort. Nur selten kam es vor, dass sie in der Gunst eines angesehenen Mannes so gestiegen waren, dass man sie unter das Gesinde aufnahm. Ob sie allerdings von den alteingesessenen Knechten und Mägden mit Respekt behandelt wurden, darüber schweigen die Chronisten, vor allem, da die Weiber der Gaukler als Gesellen des Teufels angesehen wurden, die von allen Sakramenten ausgeschlossen waren.
Zu den Spielleuten und Gauklern gesellten sich im Laufe der Zeit Quacksalber, Bader, Schauspieler und Musiker, die meist mehrere Instrumente spielen konnten. Sie wurden als Überbringer von neuesten Nachrichten aus allen Teilen des Reiches immer wichtiger, denn sie erzählten in ihren Moritaten von Verbrechen und Naturkatastrophen genauso wie von politischen Ereignissen und Unfällen. Es war kein Wunder, dass große Menschenmengen herbeiströmten, wenn sie ihre Tafeln aufstellten, auf denen die Moritaten auch bildlich dargestellt waren. Die Bänkelsänger übernahmen schon bald die Funktion einer Zeitung, die durch ihre Berichte sogar Einfluss auf die politischen Ereignisse nehmen konnten. Als man dies in den Städten erkannt hatte, wurden die »Zeitungssinger«, die ersten Reporter, verboten. Man drohte jedem an, sofort in Eisen gelegt zu werden, sollte man seiner habhaft werden.
Mit Interesse jedoch wurden diejenigen Gaukler empfangen, die sensationelle chemische und physikalische Experimente dem staunenden Publikum darboten, neueste Maschinen und zukunftsweisende Erfindungen vorführten. Daneben zeigten sie tausend interessante Kleinigkeiten, die das tägliche Leben erleichtern konnten. Ihnen lauschte man fasziniert, genauso wie man beinahe andächtig den fahrenden Ärzten zuhörte, zu denen die Bader und Quacksalber, die Pillendreher und Zahnbrecher, die Starstecher und Chirurgen zählten. Sie konnten es sich leisten, mit großem Gefolge unterwegs zu sein. Mit klingendem Spiel zogen sie in die Orte ein, Harlekine sprangen der bunt gemischten Truppe voran, um auf das Kommen der ärztlichen Truppe aufmerksam zu machen. Meist wurden die Heilkundigen von der Bevölkerung sehnlichst erwartet, denn in einer Zeit, in der ein eitriger Zahn zum Tode führen konnte, waren die Bader oft die letzte Rettung. Natürlich nagten die »Mediziner« nicht am Hungertuch, denn so mancher zahlte für die schmerzhafte Behandlung aus Dankbarkeit einen guten Batzen Geld. Einigen renommierten Ärzten war es damals schon möglich, mit großem Pomp übers Land zu ziehen, wie dies in der Memminger Chronik aus dem Jahre 1724 berichtet wird:
Am 2. Juli kam ein berühmter Arzt an, namens Joh. Chr. Hübner mit fünf Kutschen, darunter zwei sehr prächtig, hatte bei sich 50 Personen, darunter Frauen und Kinder, eine Zwergin, zwei Heiducken, zwei