Der unschickliche Antrag. Andrea Camilleri
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Ganz offen und vollkommen aufrichtig gesagt, habe ich in diesen Schreiben nichts dergleichen entdecken können.
Der Ton des Briefes Seiner Exzellenz dagegen hat mich in Alarm versetzt, weil er, wie soll ich sagen?, eine Erregung seines Gemüthes erkennen läßt, welche dazu führt, nicht vorhandene Schatten zu beschwören.
Sie verstehen, daß in einem so heiklen politischen Augenblicke wie dem derzeitigen eine nicht perfekt ausgeglichene Autorität, die nicht Herr ihrer selbst und ihrer Handlungen ist, ein ernsthaftes Fiasko herbeiführen kann, ganz abgesehen von unvorhersehbaren Entwicklungen.
Ihnen obliegt indessen die Pflicht, mit mir darüber zu sprechen.
Vorsichtshalber habe ich an Ihre Privatanschrift geschrieben.
Besuchen Sie mich so bald wie möglich.
Mit dem Ausdruck höchster Werthschätzung,
Arrigo Monterchi
POLIZEIDIENSTSTELLE VON VIGÀTA
An den
Herrn Polizeipräsidenten
von
Montelusa
Vigàta, am 18. Oktober 1891
Betreff: Genuardi Filippo
GENUARDI FILIPPO (genannt Pippo) – Sohn des verschiedenen Giacomo Paolo und der ebenfalls verschiedenen Posacane Edelmira – geboren in Vigàta, am 3. September des Jahres 1860, und daselbst wohnhaft in der Wohnung der Mutter in der Via Cavour Nr. 20.
Lange Zeit ohne Beruf, auf Kosten der Mutter (einer Witwe) lebend, handelt er seit drei Jahren mit Holz.
Seit fünf Jahren ist er mit Gaetana (genannt Taninè) Schilirò verheiratet, einziger Tochter des Emanuele (genannt Don Nenè) Schilirò, Schwefelhändler, Eigenthümer der Mine Tagliacozzo in der Provinz von Caltanissetta und einer Schwefelveredelungsfabrik in Vigàta, Via Stazione Nuova.
Emanuele Schilirò gilt, zu Recht, als der vermögendste Mann von Vigàta. Witwer geworden, hat er vor nunmehr sechs Jahren wieder geheiratet, und zwar die dreißigjährige Calogera (genannt Lillina) Lo Re, Tochter eines Schwefelhändlers aus Fela. Die Ehe, die offensichtlich auf Grund eigennütziger Interessen zwischen dem alten Schilirò (zweiundsechzig Jahre alt) und der jungen Lo Re zustande gekommen ist, sorgte im Ort für abfällige Bemerkungen, die bald aber schon durch das untadelige Verhalten der jungen Gattin zum Schweigen gebracht wurden. Heftig war der Widerstand Emanuele Schiliròs gegen die Verlobung seiner einzigen Tochter mit einem abgebrannten Subjekt wie dem Genuardi; doch war alles vergebens, jener mußte sich der blinden Starrköpfigkeit seiner Tochter beugen, die sogar einen Selbstmord versuchte, indem sie sich ins Meer stürzte. Mit der Aussteuer seiner Gattin konnte Genuardi, der ein kostspieliges Leben zu führen begann, ein Holzlager eröffnen. Die Beziehungen zwischen dem Schilirò und seinem Schwiegersohne bewegen sich im Rahmen gebührlicher gegenseitiger Besuche. Doch muß hinzugefügt werden, daß Signora Genuardi, auf Grund der wechselhaften Geschäftserfolge ihres Gatten, ziemlich häufig gezwungen ist, bei ihrem Vater vorstellig zu werden.
Mit anderen Worten: Hätte der Genuardi nicht seinen Schwiegervater im Rücken, wäre er längst bankrott.
Genuardi hat sich, in der ersten Zeit seiner Ehe, ganz sicher keine ehebrecherischen Beziehungen von unterschiedlicher Dauer erspart. Unter anderem ist allgemein bekannt, daß der Genuardi noch in der Hochzeitsnacht, nachdem er ein paar Stunden mit seiner ihm frisch angetrauten Gattin verbracht hatte, sich in der Kutsche zum Hotel Gellia von Montelusa aufmachte und mit einer Varietétänzerin in fleischlicher Vereinigung bis zum Morgen beisammen war. Es bleibt jedoch anzumerken daß der Genuardi seit nunmehr mindestens zwei Jahren sich den Kopf zurechtgerückt hat und einen einwandfreien Lebenswandel führt, man weiß von keinen Frauen um ihn, er gibt sich keinen flüchtigen Vergnügungen mehr hin. Derlei Seitensprünge blieben seiner Gattin immer verborgen; diese hat, unter anderem, eine überaus gute Beziehung zur zweiten Gattin ihres Vaters, die sozusagen gleichaltrig ist. Der Genuardi hat auch die Freundschaft mit dem Buchhalter Rosario (genannt Sasà) La Ferlita gelockert, einem wirklich lasterhaften Menschen, der sich jeder Ausschweifung hingibt und das schwarze Schaf einer angesehenen Familie ist. Dessen Bruder Giacomo (genannt Zagaglino, wegen eines leichten Stotterfehlers) ist ein tüchtiger Beamter bei der Königlichen Präfektur von Montelusa.
Genuardis Schwiegervater, der den besseren Einsichten wohl nicht traute, hat in Genuardis Lager einen alten Vertrauensmann einstellen lassen, einen gewissen Calogero Jacono (genannt Caluzzè die Schrumpelfeige), der diesem über alles Bericht erstattet.
Nichts ist zu Lasten des Genuardi im Strafregister eingetragen. Mithin gilt er als nicht vorbestraft.
Hierdurch wird außerdem mitgeteilt, daß der Genuardi am 5. März diesen Jahres im Ortsbann Inficherna den Hirten Lococo Anselmo (genannt Sesè der Bleifuß, wegen seines langsamen Schrittes) angefahren, dessen linken Arm gebrochen und den Verlust zweier Ziegen aus der Herde verursacht hat. Der Lococo wurde jedoch überredet, keine Anzeige zu erstatten, da er ein hohes Schmerzensgeld erhielt, das ihm unverzüglich von Signor Emanuele Schilirò angeboten worden war.
Der Genuardi saß am Steuer eines motorisierten Vierrades der Marke Panard und Levassor, das er in Paris gekauft hat, und zwar für einen außerordentlich hohen Preis, weil es sich dabei praktisch um ein Unikat handelte. Ebenfalls in Paris, wohin er sich mit seiner Gattin angelegentlich der Weltausstellung von 1889 begab, hat er auch einen Phonographen Edison mit Wachsrolle gekauft, von dem Musik zu hören ist, wenn man ein beigefügtes Leitrohr ans Ohr führt.
Dieses alles führe ich nicht aus törichter Geschwätzigkeit auf, sondern um die oftmals eigenthümlichen Handlungen des Genuardi deutlich zu machen.
Politische Vorstellungen gibt es bei Genuardi keine. Er wählt entsprechend den Anweisungen seines Schwiegervaters, der ein Urgestein ist. In der Öffentlichkeit hat er seine Meinung noch nie geäußert.
Hochachtungsvoll
Der Leiter der Polizeidienststelle von Vigàta
(Antonio Spinoso)
Gesagtes eins
A | (Giacomo La Ferlita – Pippo) |
»Wozu haben Sie mich eigentlich hier runtergeschleppt, Signor La Ferlita?«
»Weil das hier das alte Archiv der Präfektur ist, hier runter kommt keine Sklavenseele. Und keiner kann uns sehen. Ich will mit Ihnen nämlich nichts zu schaffen haben. Vielleicht hat mein Bruder Sasà sich ja nicht deutlich genug ausgedrückt, Signor Genuardi?«
»Ihr Bruder hat sich absolut deutlich ausgedrückt. Sogar ein bißchen sehr deutlich.«
»Und wieso belästigen Sie mich dann in der Präfektur? Ich habe einen geachteten Namen, klar?«
»Kann man eigentlich mal erfahren, warum ihr euch alle in der Präfektur aufführt, als hätte euch der Hafer gestochen? Was hab ich getan? Hab ich vielleicht neben das Pinkelbecken gepißt, oder was?«
»Das fragen Sie mich? Sie wissen doch selber, was Sie