Faszination Jesus. Roland Werner
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Solche Berichte, auch aus der Amtszeit des Pilatus, muss es jedoch in Rom gegeben haben, und noch im Jahr 150 n. Chr. konnte Justin der Märtyrer in seiner Verteidigungsschrift für die Christen an den Kaiser Antoninus Pius auf die unter Pontius Pilatus angefertigten Akten verweisen, die von den Ereignissen bei der Kreuzigung Jesu berichteten.6
Ausführlichere Berichte als diese kurzen Hinweise, die an mehreren Stellen auftauchen, finden sich bei den römischen Geschichtsschreibern Sueton, Tacitus sowie bei Plinius dem Jüngeren. Wir wollen sie einzeln untersuchen und darstellen, was sie uns an Information über Jesus zu bieten haben.
Sueton
Der römische Schriftsteller Sueton verfasste um das Jahr 120 n. Chr. eine Biografie der zwölf ersten römischen Kaiser in lateinischer Sprache. In der Beschreibung des Lebens des Claudius heißt es: „Die Juden vertrieb er aus Rom, weil sie, von einem gewissen Chrestos aufgestachelt, fortwährend Unruhe stifteten.“7 Dies geschah im Jahr 49 n. Chr. Sueton hatte seine Information wahrscheinlich einem Polizeibericht entnommen, den er jedoch etwas missverstand. Er nahm wohl an, dass dieser Chrestos im Jahr 49 n. Chr. in Rom anwesend war. In Wirklichkeit handelte es sich aber um Auseinandersetzungen innerhalb der Judenschaft über die Frage, ob Jesus der Christus sei. Die Schreibung Chrestos für Christos ist aus dem sogenannten Itazismus im Griechischen zu erklären, also der Tendenz, manche Vokale und Doppelvokale nur noch als langes i zu sprechen. So lautet Athen heute auf Griechisch Athini. Diese Verwechslung von „Chrestos“ und „Christos“ ist also verständlich, da Christus ja ein griechisches Wort ist, das Sueton nur gehört hatte und dann auf Lateinisch wiedergeben wollte.
Aus dieser Notiz des Sueton wird deutlich, dass schon in den Vierzigerjahren, also weniger als zwanzig Jahre nach Kreuzigung und Auferstehung Jesu, innerhalb der jüdischen Bevölkerung Roms Christen waren. Und dass die Auseinandersetzungen um Christus zur Ausweisung aller Juden aus der Kaiserstadt führten. Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Rom gab es offensichtlich heftige Diskussionen darüber, ob Jesus der Christus ist oder nicht. Genau diese Frage trennt noch heute Juden und Christen!
Es ist bemerkenswert, dass dieselbe Vertreibung der Juden aus Rom auch in der Apostelgeschichte berichtet wird. Der Verfasser Lukas schreibt: „Danach zog Paulus fort aus Athen und kam nach Korinth. Dort begegnete er einem Juden namens Aquila, der aus der Gegend von Pontus stammte. Zusammen mit seiner Frau Priszilla war er kurz vorher aus Italien dorthin gekommen, weil Kaiser Klaudius angeordnet hatte, dass alle Juden die Stadt Rom verlassen mussten.“8 Das Ehepaar Aquila und Priszilla waren schon Christen, als sie aus Rom kamen. Hier sehen wir, wie die Berichte des römischen Historikers Sueton und des neutestamentlichen Historikers Lukas sich gegenseitig bestätigen. Wobei zu beachten ist, dass Lukas 50 bis 60 Jahre vor Sueton geschrieben hat, also viel näher am eigentlichen Geschehen war!
Eins jedenfalls wird aufgrund dieser Episode deutlich: Die Faszination von Jesus war schon wenige Jahre nach seinem Tod in der Hauptstadt des römischen Reiches zu spüren.
Nach dem Tod von Claudius (54 n. Chr.) kehrten die Juden, und mit ihnen die jüdischen Christen, wieder nach Rom zurück. Inzwischen war auch eine Reihe von Römern und Griechen Christen geworden, ja der christliche Glaube war sogar in den Kaiserpalast eingedrungen. Manche aus der Garde und einige Sklaven hatten den neuen Glauben angenommen. Als im Jahr 64 Rom niederbrannte und das Gerücht zu kursieren begann, dass Nero selbst das Feuer gelegt habe, suchte er einen Sündenbock, um den Verdacht von sich abzulenken. Deshalb ließ er die unbeliebte Gruppe der Christen beschuldigen. Viele von ihnen wurden gefangen genommen und wilden Tieren vorgeworfen oder als lebende Fackeln bei einem seiner Gartenfeste verbrannt. Sueton erwähnt dies in seinem „Leben Neros“: „Mit Todesstrafen wurde gegen Christen vorgegangen, eine Sekte, die sich einem neuen, gemeingefährlichen Aberglauben ergeben hatte.“9
Tacitus
Einen ausführlicheren Bericht darüber gibt jedoch der Geschichtsschreiber Tacitus. In seinen „Römischen Annalen“ berichtet er vom Brand Roms und Neros Versuch, die Schuld auf die Christen abzuwälzen. Sie sind „eine Sorte Menschen, verabscheut wegen ihrer Laster … Dieser Name stammt von Christus, der unter Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Dieser verderbliche Aberglaube war für den Augenblick unterdrückt worden, trat aber später wieder hervor und verbreitete sich nicht nur in Judäa, wo er aufgekommen war, sondern auch in Rom, wo alle Gräuel und Abscheulichkeiten der ganzen Welt zusammenströmen und geübt werden.“10 Diesen Bericht aus den Jahren zwischen 115 und 117 n. Chr. hat Tacitus wahrscheinlich aufgrund der Dokumente in den staatlichen Archiven in Rom verfasst. Tacitus hatte Zugang zu diesen Archiven, und wenn der Bericht des Pilatus noch vorlag, was sehr wahrscheinlich ist, so wird er ihn eingesehen haben.
Was er schreibt, ist bemerkenswert. Nicht nur gibt er eine genaue Angabe über die Hinrichtung von Jesus, die unter Pontius Pilatus in Judäa stattgefunden hat, sondern er gibt auch einen Hinweis darauf, dass nach dem Tod Jesu nicht alles vorbei war. Der „verderbliche Aberglaube“ ließ sich nur für einen Augenblick unterdrücken, dann aber verbreitete er sich mit großer Kraft und erreichte alle Teile der römischen Welt. Niemand kann Tacitus unterstellen, den Christen gegenüber freundlich gesinnt zu sein. Und dennoch stimmt seine Notiz mit dem überein, was wir aus dem Neuen Testament wissen. So ist Tacitus ein weiterer, unabhängiger Zeuge für die Tatsächlichkeit des Lebens und Sterbens Jesu. Und der Auswirkungen, die Jesus bis zu seinem Tag hatte: Viele Menschen, auch Römer, wurden Christen – Jünger von diesem Jesus Christus.
Plinius der Jüngere
In seinem Briefwechsel mit Kaiser Trajan in Rom gibt uns Plinius der Jüngere wichtige Informationen über die Christen seiner Zeit und damit auch über Jesus. Plinius war im Jahr 111 n. Chr. kaiserlicher Legat in Bithynien, also im Nordwesten der heutigen Türkei, geworden. In seiner Provinz gab es viele Christen. Nun hatte es eine Reihe von anonymen Anklagen gegeben, in denen Menschen des Christseins beschuldigt wurden. Plinius war unsicher, ob dies allein schon als hinrichtungswürdiges Verbrechen ausreichte oder ob tatsächliche Straftaten nachgewiesen werden mussten. Er berichtet, dass er die, die gestanden, Christen zu sein, zur Hinrichtung abgeführt habe, die aber, die dem Kaiserbild geopfert hatten, freigelassen habe, auch wenn sie vorher Christen gewesen waren. Er schreibt: „Die Sache scheint mir nämlich der Beratung zu bedürfen, vor allem wegen der großen Zahl der Angeklagten. Denn viele jeden Alters, jeden Standes, auch beiderlei Geschlechts sind jetzt und in Zukunft gefährdet. Nicht nur über die Städte, auch über Dörfer und das flache Land hat sich die Seuche dieses Aberglaubens verbreitet …“
Wessen wurden die Christen beschuldigt? Ein eigentliches Verbrechen konnte Plinius nicht finden, außer der Hartnäckigkeit, mit der viele bei ihrem Glauben blieben und sich weigerten, dem Kaiserbild zu opfern. Plinius schreibt: „Andere, die der Denunziant genannt hatte, gaben zunächst zu, Christen zu sein, widerriefen es dann aber; sie seien es zwar gewesen, hätten es dann aber aufgegeben, manche vor drei Jahren, manche vor noch längerer Zeit, hin und wieder sogar vor zwanzig Jahren. Auch diese alle bezeugten deinem Bilde und den Götterstatuen ihre Verehrung und fluchten Christus. Sie versicherten jedoch, ihre ganze Schuld oder ihr ganzer Irrtum habe darin bestanden, dass sie sich an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang zu versammeln pflegten, Christus als ihrem Gott einen Wechselgesang zu singen und sich durch Eid nicht etwa zu irgendwelchen Verbrechen zu verpflichten, sondern keinen Diebstahl,