Elijah & seine Raben. Georg Sporschill
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Und so verbringen die Rabenjunggesellen viel Zeit mit Spielen. Freunde gewinnt man, indem man einander immer wieder gegenseitig den Nacken krault, mit zärtlichem Spitzschnabel. Die Chefs in der Gruppe haben ihre Freundschaften etabliert und pflegen sie. Zugleich haben sie ein scharfes Auge auf neue Allianzen – und solche sich anbahnenden Freundschaften werden oft gestört. Ein erboster Alpha-Rabe taucht auf und sorgt mit drohenden Gesten und, wenn nötig, auch mit unzärtlichem Spitzschnabel dafür, dass die unerwünschte Kraulerei ein Ende nimmt.
Was lernen wir von der Intelligenz der Raben? Zu den wichtigsten Gründen, warum Tiere Intelligenz entwickelt haben, gehören die Herausforderungen durch komplexe soziale Systeme. Und das gilt auch für uns Menschen. Wenn wir uns heute der außergewöhnlichen Intelligenz der Raben bewusst werden – dieser Vögel mit schlechtem Ruf, die in Rumänien als Schimpfwort für »Zigeuner« herhalten müssen –, hat das vielleicht etwas Ironisches. Denn gerade die Roma stellen häufig entwaffnende soziale Intelligenz unter Beweis, wie einige Anekdoten von Ruth Zenkert über ihren alten Freund Moise in diesem Buch zeigen (vgl. Seite 129 Bimail »Starke Worte«).
Elijah: der Prophet auf dem Feuerwagen
Unsere Raben müssten aus dem oberösterreichischen Almtal zweieinhalbtausend Kilometer nach Südosten fliegen und zweieinhalbtausend Jahre in die Vergangenheit, um zu entdecken, dass Menschen ihre soziale Intelligenz schon zu biblischen Zeiten gespürt haben. Im biblischen Israel hatte sich der Prophet Elijah bei seinem König Ahab unbeliebt gemacht, weil er eine Dürreperiode angekündigt hatte. Gott befahl dem Propheten, in ein entlegenes Tal im heutigen Jordanien zu fliehen: »Aus dem Bach sollst du trinken, und den Raben habe ich befohlen, dich dort zu ernähren.« (1 Könige 17) Gott selbst spricht mit den Raben, und sie bringen Elijah morgens und abends Brot und Fleisch. Nicht erst beim heiligen Franziskus von Assisi wird deutlich, dass spirituelle Menschen manchmal eine besondere Beziehung zu Tieren haben. Heute wird diese Verbindung von Spiritualität und Natur wichtiger denn je, wie Papst Franziskus mit seiner Enzyklika Laudato si’ unterstrichen hat.
Ohne die Raben hätte Elijah seine erste Flucht nicht überlebt. Als der Bach austrocknet, schickt Gott Elijah ins Ausland, zu den Sidoniern im heutigen Libanon. Zu einer armen Witwe und ihrem Sohn, die ums Überleben kämpfen. Die Frau möchte mit ihrem letzten bisschen Mehl und Öl ein Brot backen, um es mit ihrem Kind zu essen und dann zu sterben. Der fremde Gast jedoch wird zum Lebensretter. Öl und Mehl gehen nicht aus, solange er im Haus ist. Nicht nur die unliebsamen Raben, auch unerwartete Ausländer, »die uns den letzten Bissen wegessen wollen«, können zu Lebensrettern werden.
Diese ersten Episoden der Geschichte von Elijah zeigen, was typisch für die biblischen Propheten ist – und auch für Jesus. Sie geraten oft in Konflikt mit politischen Autoritäten, werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt und haben eine besondere Nähe zu Menschen in Lebensgefahr. Diese extremen sozialen Erfahrungen scheinen Elijah, der ohnehin ein kantiger Charakter ist, noch feuriger werden zu lassen. Feuer spielt von nun an eine zentrale Rolle in seinem Leben. Als er sich am Berg Karmel mit den Propheten des Gottes Baal anlegt, kommt göttliches Feuer vom Himmel, um Elijahs Opfer zu verzehren. Nachdem Elijah aber die Baalspropheten mit dem Schwert getötet hat und in die Wüste zum Gottesberg Horeb fliehen muss, befiehlt ihm Gott, sich an den Eingang seiner Höhle zu stellen. Da kommt ein »Sturm, der die Berge zerriss und Felsen zerbrach«, doch Gott ist nicht im Sturm. Da erbebt die Erde, doch Gott ist nicht im Erdbeben. Da kommt Feuer, doch Gott ist nicht im Feuer. Nun erklingt eine »Stimme verschwebenden Schweigens«, wie Martin Buber genial übersetzt hat; in diesem verschwebenden Schweigen ist Gott gegenwärtig (1 Könige 19). Diesmal muss der leidenschaftliche Elijah etwas über Sanftmut lernen.
Diese Erfahrung verändert ihn jedoch nicht grundlegend. Gegen Ende seines Lebens schickt König Ahasja zweimal Hauptmänner mit je fünfzig Leuten Gefolge zum Propheten, der auf einem Berggipfel sitzt, um ihm zu befehlen, er solle herunterkommen. Doch Elijah lässt jeweils Feuer vom Himmel fallen, das die Leute auffrisst. Feuer erscheint nicht zufällig auch bei Elijahs letztem Weg. Nachdem er mit seinem engsten Schüler Elischa durch den Jordan gezogen ist, erscheint ein Feuerwagen mit Feuerpferden, und »Elijah fuhr im Wirbelsturm zum Himmel empor« (2 Könige 2).
Elijah ist einer jener brennenden Charaktere, an denen man Feuer fangen, an denen man sich aber auch verbrennen kann. Es ist kein Zufall, dass Georg Sporschill »Elijah im Feuerwagen« als »Programm für die Sozialarbeit« gewählt hat (vgl. Seite 119). Auch Pater Sporschill ist ein vulkanöser Typ. Für ihn müssen Chilis scharf sein und die Aufgabe challenging, von vornherein möglichst unbewältigbar. Wer fängt sonst ein Sozialprojekt mit Roma in Rumänien an? Explosionen sind vorhersehbar. Wer sich auf eine Zusammenarbeit mit einem solchen prophetischen Sozialarbeiter einlässt, muss sich auf heftige Auseinandersetzungen und starke Erfahrungen gefasst machen. Langweilig wird es mit ihm sicher nicht.
Als seine Stunde gekommen war:
weitergeben, was wirklich wichtig ist
Begleiten wir unsere Raben auf ihrem Rückflug aus dem biblischen Israel Richtung Almtal, könnte uns eine Zwischenrast an der Westküste der Türkei willkommen sein, am besten bei Ephesus. Österreichische Archäologen haben die Stadt, eine der prominentesten der römischen Antike, seit mehr als einem Jahrhundert erforscht und restauriert. In der Nähe versammelt Georg Sporschill regelmäßig ehemalige Straßenkinder, Freunde und Sponsoren seiner Projekte, um am Meer Erholung zu finden und in den Ruinen die alte Welt zu berühren. Paulus hatte Mitte des 1. Jahrhunderts die christliche Gemeinde von Ephesus gegründet. Laut der Apostelgeschichte provozierte die neue Bewegung den Zorn der Silberschmiede, die um das Geschäft ihres Devotionalienhandels fürchteten und eine Volksversammlung im Theater organisierten, bei der die Menge zwei Stunden lang schrie: »Groß ist die Artemis von Ephesus!« (Apostelgeschichte 19)
In Ephesus wurde aller Wahrscheinlichkeit nach gegen Ende des 1. Jahrhunderts das Johannesevangelium verfasst. Die Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas waren schon bekannt, doch die Gemeinde von Ephesus sah sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Hier hatte die griechische philosophische Tradition großen Einfluss, und der Konflikt mit Juden, die Jesus nicht als Messias anerkannten, spitzte sich zu. Der Autor des Johannesevangeliums baute daher ein Element in seine Jesus-Biografie ein, das in keinem der anderen Evangelien vorkommt und das zum inhaltlichen, theologischen Höhepunkt werden sollte: die Abschiedsreden, die Jesus vor seinem Prozess hält (Johannes 13–17). »Vor dem Paschafest, da Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen – liebend die Seinen, die in der Welt waren, liebte er sie zur Vollendung.« So die berühmte Einleitung zur Fußwaschung, die als symbolisches Programm die Abschiedsreden eröffnet. »Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen.«
Jesus fasst in den folgenden Reden seine wichtigsten Anliegen zusammen: »Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.« Er verwendet starke Bilder. »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben … Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.« Jesus verspricht seine Nähe auch in der Zukunft: »Wenn er aber kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.« Zuletzt spricht er ein mystisches Gebet. »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.«
In Ephesus liest Georg Sporschill besonders gern das Johannesevangelium. Da sitzt man in bunter Runde – Jugendliche aus den osteuropäischen