Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus

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Schuld ist nur das Publikum - Georg Markus

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Wiener Neustadt, seinem ersten Engagement, spielte Attila noch unter dem Pseudonym Felix Weingart, »um den guten Namen meines Vaters nicht mit dem Theater in Verbindung zu bringen«. Es folgten die Provinzstationen Bozen, Reichenberg, Brünn, Prag – wo er die Paula kennenlernte –, bis er endlich nach Wien und nach Berlin gelangte.

      Allein die beiden Rollen, an die er sich damals, mit neunzig, am liebsten erinnerte, zeigen die ungeheure Spannbreite dieses Schauspielers: »Das waren der Nathan und der Knieriem.« Und prompt schüttelte er, egal wie lange es schon her war, seit er die Worte zuletzt gesprochen hatte, den langen, schweren Satz aus Nestroys Lumpazivagabundus aus dem Ärmel, in dem vom Astralfeuer des Sonnenzirkels, der Parallaxe und den Fixsternquadranten die Rede ist, bis er zum berühmten Kometenlied führt: » . . . aber auch der minder Gebildete kann alle Tag’ Sachen genug bemerken, welche deutlich beweisen, daß die Welt nicht mehr lang steht. Kurzum, oben und unten sieht man, es geht auf den Untergang los.«

      Und in diesem Moment war er nicht neunzig und nicht achtzig, sondern der kraftstrotzende Knieriem, der er mehr als zwanzig Jahre vor unserem Treffen gewesen war.

      Ob seine Figuren von Shakespeare, Schiller, Ibsen oder Raimund waren – er hat ihnen immer Kraft und Leben verliehen. Dem Peer Gynt wie dem Tell, dem Petruchio oder dem Cornelius Melody in Fast ein Poet. »Als Gluthammer hätten Sie ihn sehen sollen«, sagte Paula Wessely, auf Attilas Rolle in Nestroys Der Zerrissene anspielend, »da hat er aus dem Stand aus Zorn einen Salto rückwärts über den Tisch gemacht.« Es war die unvergleichliche Körpersprache des »Naturburschen« Attila Hörbiger, die von Anfang an begeisterte.

      Dreingeredet, flüsterte mir Attila Hörbiger schnell, irgendwann zwischendurch zu – als dürfte sie’s nicht hören –, dreingeredet habe sie ihm nie. »Manchmal vielleicht doch«, war die hellhörige Paula Wessely wieder an der Reihe, »wenn man ihm Filmrollen angeboten hat, die nicht seiner Persönlichkeit entsprachen. Da hab’ ich gesagt: ›Mach das nicht, Attila!‹«

      »Und recht hat sie gehabt.«

      Aber damit nur ja kein Mißverständnis entstand, betonte nun sie wiederum: »Wir haben keine Rollen miteinander erarbeitet – aber im Gespräch zu Hause haben wir vieles gemeinsam überlegt.«

      Zu Hause. Er ist ja nicht nur Sohn-Bruder-Ehemann-Schauspieler, sondern auch Vater. Immerhin gibt’s die Töchter Elisabeth, Christiane, Maresa, die dem Namen ihrer Eltern alle Ehre machen. Was sicher keine Kleinigkeit ist. Von der Mutter haben sie natürlich alle viel geerbt, »aber dem Vater verdanke ich die durch nichts zu erschütternde Freude am Leben und die Freude am Spielen«, meint Christiane Hörbiger.

      Während Paul Karriere beim Film machte, wurde Attila Hörbiger in erster Linie zum gefeierten Theaterstar. Trotzdem bleiben zahlreiche Filme als Zeugnis einer unvergleichlichen Schauspielerpersönlichkeit erhalten. Deutlich ist darin zu sehen, wie dieser Attila Hörbiger mit jeder Rolle reifer, größer, bewegender wurde. Seinen letzten Auftritt hatte er mit fast achtundachtzig als Firs in Tschechows Kirschgarten am Burgtheater.

      Er führte mich damals, kurz vor seinem neunzigsten Geburtstag, noch durch den wunderschönen Garten und begleitete mich durch den Hof zum schweren Holztor des Grinzinger Hauses, und beim Abschied blinzelte er mir, fast wie ein Lausbub, listig zu: »Sie war immer ein bißl streng zu mir, die Paula.« Und jetzt ließ er, ganz bewußt, den Familiennamen weg, denn er meinte ja die Ehefrau. Und dann sagte er noch: »Aber das war gut für mich, denn dadurch hat sie in mir erst den Ehrgeiz geweckt, der mir gefehlt hat.«

      Und diesmal konnte sie gar nicht widersprechen. Weil sie ein paar Schritte vor uns ging.

      Ein Jahr später starb Attila Hörbiger. Und in der Stunde seines Todes war niemand mehr da, mit dem er ungarisch hätte sprechen können.

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