Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus

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Schuld ist nur das Publikum - Georg Markus

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Hanswurst noch eine bäuerliche Volkstype, so wurde diese unter seinem Schüler und Nachfolger Gottfried Prehauser zutiefst wienerisch. Seit 1752 in Wien das Extemporieren staatlich verboten wurde – offensichtlich weil man der »frechen« Schauspieler überdrüssig war –, mußten Bühnentexte Wort für Wort niedergeschrieben und von der Zensur »abgenommen« werden. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurden das Theater in der Leopoldstadt, das Theater an der Wien und das Theater in der Josefstadt gegründet, an denen die Wiener Lokalposse entstehen konnte. Ferdinand Raimund und Johann Nestroy waren deren wichtigste Schöpfer und Interpreten. Im Mittelpunkt ihrer Stücke – typisch wienerisch: der Komiker.

      Apropos: In der Hierarchie des Theaters gibt es den Ersten und den Zweiten Helden, die Intriganten und jugendlichen Liebhaber, den Bösewicht, die Bonvivants, Offiziere und Aristokraten, die Mütter, Salondamen und Töchter, die Soubrette und die Naive . . ., die allesamt mit unterschiedlichem Status agieren. Vielfach unterschätzt wird aber der Komiker – manchmal gar despektierlich als Vertreter des »Charleytantismus« bezeichnet. Und das, obwohl gerade sein Geschäft, das Publikum zum Lachen zu bringen, zum schwierigsten gehört. »Hanswurst« Prehauser warf sich, als das Publikum am Kärntnertor einmal auf seine Scherze nicht reagierte, auf die Knie und flehte es inständig an: »Ich bitte Sie, um Himmels willen, lachen Sie über mich!« Von einem anderen Komiker, der nicht ankam, sind die Worte überliefert: »Herrschaften, lacht’s bitte. Es hat doch alles so viel gekostet!«

      Sind Schauspieler »nur« reproduzierende Künstler oder – wie die Dichter – nicht auch produzierende? Immerhin steht fest, daß der Mime die vom Dichter erfundenen Figuren in seiner Interpretation neu schafft. Wenn drei Schauspieler den Hamlet spielen, dann bringen sie drei grundverschiedene Hamlets auf die Bühne. Oder, wie der dichtende Physiker Georg Christoph Lichtenberg es formulierte: »Wer gut nachahmen kann, ahmt nicht nach!«

      In einem Streitgespräch versuchten Josef Kainz und der Schriftsteller Leo Feld (der uns diesen Dialog hinterlassen hat) dieser Frage nachzugehen.

      KAINZ: »Die Schauspielkunst ist die edelste Kunst, sie arbeitet mit dem edelsten Instrument, mit dem Menschen!«

      FELD: »Der Schauspieler ist an das Wort gebunden, daher ist seine Kunst eine unfreie Kunst.«

      KAINZ: »Der Dichter ist auch unfrei. Er ist an die Natur gebunden.«

      FELD: »Sie sind ungerecht! Glauben Sie wirklich, daß das Gehirn des Mephisto-Darstellers und das des Mephisto-Dichters gleichwertig sind?«

      KAINZ: (springt auf, rennt durchs Zimmer, schreit): »Das ist die interessanteste Frage, die jemals an mich gerichtet wurde. Nehmen Sie meinen Carlos. Der ist mein Persönlichstes, mein Eigenstes, die Rolle, in der ich mich ganz fühle. Also: wenn man eine Gestalt so erlebt und so lebendig macht, alle Äderchen und alle Fäserchen, alle Übergänge und alle Zusammenhänge – die der Dichter gar nicht angedeutet hat –, und wenn der Mensch dann so dasteht, so überzeugend, so zwingend, darf ich dann nicht sagen, daß sich mein Carlos neben den des Dichters stellen darf? Daß in ihm so viel schöpferische Kraft frei geworden ist wie in der Gestalt des Dichters?«

      Der Schriftsteller wagte nicht zu widersprechen. Nicht, weil Kainz ihn überzeugt hätte, sondern weil er »die schöne Emphase eines großen Künstlers nicht stören wollte«. Klar in der nie enden wollenden Auseinandersetzung zwischen Dichter und Schauspieler ist nur, wer von den beiden früher da war; das erkannte schon ein Zeitgenosse des im 18. Jahrhundert wirkenden großen Shakespeare-Interpreten David Garrick, als er diesen Zweizeiler verfaßte:

      Die Dichter sind der Mimen Väter,

      Shakespeare kam erst, Garrick später.

      Gerade in der Zeit, als David Garrick in dem von ihm geleiteten Londoner Drury Lane Theatre eine epochale Shakespeare-Renaissance einleitete, erhielt auch Wien ein Bühnenhaus, das bald zum bedeutendsten im deutschsprachigen Raum werden sollte: das 1776 von Kaiser Joseph II. gegründete Hof-Burgtheater.

      Der »kleine Mann« freilich kam dort nie hin, er sah nichts anderes als Schmierenkomödianten – Schauspieler, die von einem Dorf zum anderen zogen, in Schuppen und Wirtshäusern auftraten, ehe sie sich, so genügend Talent vorhanden, in die viel angesehenere »Provinz« oder gar in ein städtisches Theater hochspielten. Die soziale Stellung des »fahrenden Volkes« (das eigentlich ein »gehendes« war) beleuchtet eine Episode um Emanuel Schikaneder, der in seinen jungen Jahren bei einer Wanderbühne war:

      In der Nähe von Krain bat der spätere Librettist der Zauberflöte nach stundenlangem Fußmarsch, schwitzend und zum Umfallen erschöpft, auf dem Feld arbeitende Bauern um einen Krug Wasser, den man ihm und seinen Kollegen auch reichte. Als kurz danach heftig einsetzender Hagelschlag das Getreide vernichtete, glaubten die Bauern, das Gewitter sei die Strafe Gottes dafür, daß sie »den Komödianten« geholfen hatten. Sie liefen ihnen nach, griffen sie mit ihren Sensen und Heugabeln an, wobei mehrere Mitglieder der Truppe verletzt wurden.

      So tief unten im gesellschaftlichen Leben standen die Schauspieler, daß man sich vor einem Kontakt mit ihnen fürchten mußte!

      Der berühmteste aller Schmierenkomödianten hat nie gelebt – und doch gab es ihn tausendfach: »Wissen Sie denn überhaupt, was ’ne Schmiere ist?« fragt der sächsische Theaterprinzipal Emanuel Striese in dem Schwank Der Raub der Sabinerinnen. »Ja, ich gebe zu, wir ziehen von eenem Ort zum anderen und meine Schauspieler kriegen fast keene Gage, aber dafür leisten sie mehr als manche Hofschauspieler! Mein erster Heldendarsteller, der früher Schneider war, der macht Ihnen aus ’nem Bettlerkleid ’ne römische Toga, daß Sie keen’ Unterschied merken. Meine Frau kocht für das ganze Ensemble. Magenschmerzen kuriert unser Beleuchter, der früher Apotheker war . . . Und wie anhänglich mir die Leute sind. Meine jugendliche Naive, die bereits achtzehn Jahre bei mir engagiert ist, die legt Ihnen noch heute ’n Gretchen hin, daß der Faust ihr ’n Kind machen muß, ob er will oder nicht. Und der Gute ist auch keen Jüngling mehr, das können Sie mir glauben. Sehen Sie, das wird an eener Schmiere geleistet!«

      Immerhin haben Josef Kainz, Werner Krauß, Emil Jannings und Hans Moser auf dieser untersten Stufe des Theaterbetriebs begonnen.

      War einst am Theater, auch auf den großen Bühnen, vieles dem Zufall überlassen, so stieg in unseren Tagen der Regisseur aufs Podest, um jeden Schritt, jeden Ton, jede Träne, jedes Lächeln präziser denn je zu kalkulieren. Zum Vergleich: Dauerten die Proben im vorigen Jahrhundert, in der Ära des Burgtheaterdirektors Heinrich Laube, sechs bis acht Tage, so probiert man heute bis zu drei Monaten, ehe man sich an die Premiere heranwagt. Es war Max Reinhardt, der diese Revolution am Theater einleitete.

      Was Reinhardt für die deutschsprachige Bühne, das ist Stanislawski für Rußlands Theaterkunst. Der Schauspieler Konstantin Stanislawski (1863 bis 1938) gründete das Moskauer Künstlertheater, dessen Ensemble er als autoritärer Regisseur führte. Er inszenierte Tschechow, Gorki und Turgenjew, wobei es ihm darum ging, daß seine Schauspieler so wirklichkeitsgetreu wie nur irgend möglich »in der Rolle leben«.

      Eine Episode macht seine Arbeitsweise deutlich: eine Schauspielschülerin soll Erwartung, Ungeduld, Spannung zeigen. Sie beginnt heftig zu spielen, läuft aufgeregt herum, mimt Verzweiflung, gibt sich große Mühe – und es wird nichts.

      Stanislawski schüttelt den Kopf: »Moment mal, ich gebe Ihnen eine andere Aufgabe.« Er nimmt sein Notizbuch aus der Tasche, blättert, sucht. Die junge Schauspielerin steht – wartend – daneben.

      »Großartig«, sagt Stanislawski, »jetzt waren Sie gut.«

      »Aber ich habe doch gar nichts gemacht.«

      »Eben darum. Jetzt haben Sie wirklich gewartet. Halten Sie diesen Ausdruck bitte fest.«

      Film

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