Die unvollendete Geliebte. Elisabeth-Joe Harriet
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Der Bau dieser Kaltwasserheilanstalt kostete die gewaltige Summe von 120 000 Gulden (ein Gulden entspricht ca. 14 Euro; Anm.) und umfasste neben dem Hauptgebäude Rudolfsbad noch die umgebaute Rudolfsvilla und die links oberhalb gelegene, neu errichtete Molkenvilla, sodass dem Kurbetrieb insgesamt 102 Zimmer zur Verfügung standen. Im angeschlossenen Park gab es einen Teich, eine Kegelbahn und diverse Turngeräte. Es wurde auf strenge Diät mit gesunden Lebensmitteln geachtet, die Kur konnte bei allen Leiden angewendet werden. Von 1866 bis 1871 besuchten fast tausend Gäste aus aller Herren Länder die Kuranstalt.
Als Anfang der 1870er-Jahre das Patent zur Rollgerstenerzeugung ablief und die Mühle dadurch nicht mehr rentabel war, begann der langsame Zerfall des Imperiums der Brüder Waissnix. 1877 wurden große Teile des Unternehmens verkauft und der Rest zwischen den Brüdern aufgeteilt. Michael erhielt die Kaltwasserheilanstalt, zu deren Gästen ab 1900 auch Arthur Schnitzler zählte. Hier lernte er seine spätere Frau, die Schauspielerin Olga Gussmann, kennen und kehrte oftmals mit ihr und seinen Kindern wieder. Der Sohn von Michael Waissnix, der das Kurhaus nicht mehr selbst führte und verpachtete, musste zusehen, wie es langsam zugrunde ging. Heute ist von diesem Gebäude nichts mehr übrig, da es 1945 von russischen Soldaten devastiert worden war und abgerissen werden musste.
Alois Waissnix behielt den Thalhof samt Landwirtschaft und hatte damit den einfacher zu bewirtschaftenden Teil erhalten, wohl war er auch kaufmännisch talentierter als sein älterer Bruder. Der Thalhof war zu einem florierenden Luxushotel geworden, in dem alles, was Rang und Namen hatte, verkehrte. Der Kaiserliche Rat Alois Waissnix, »der alte Waissnix mit dem weißen Kaiserbart und dem bäurisch-spöttischen Zug um die Lippen«, wie Arthur Schnitzler ihn beschrieb, und der – ebenfalls laut Schnitzler – wie ein General aussehende Ludwig Schneider wurden zu Arrangeuren einer Ehe, die zum Vorteil beider Familien, aber zum Unglück der Ehepartner werden sollte.
Wo und wie es zur ersten Begegnung zwischen Olga Schneider und Alois Waissnix’ Sohn Karl kam, ist unbekannt. Da der Thalhof zum Kundenstock des Ludwig Schneider gehörte, kannten die beiden Väter einander schon länger. Es ist anzunehmen, dass Alois und Karl Waissnix zuweilen im Restaurant am Südbahnhof waren, Ludwig Schneider, begleitet von Olga, mit Sicherheit öfters am Thalhof. Nach außen hin fungierten die Waissnix-Männer gerne als die Wirte und Hoteliers, die wahre Leitung des Hotelbetriebes und der Küche aber oblag den Ehefrauen. Die Waissnix’sche Heiratspolitik war immer bestrebt gewesen, sich tüchtige, arbeitsame Frauen und gute Köchinnen ins Haus zu holen. Da der Thalhof längst kein Wanderer-Gasthaus, sondern eine Nobelsommerfrische der besseren Gesellschaft und des Adels geworden war, dachte man zum ersten Mal daran, über den Reichenauer Topfrand hinaus nach Wien zu blicken. Die beiden Väter erkannten, dass die wohlerzogene Olga, die eine exzellente Köchin war und etwas vom Gastgewerbe verstand, sehr gut als Frau für Alois’ Sohn Karl geeignet war. So wurde eine Ehe zum Vorteil beider Familien arrangiert: Ludwig Schneider hatte seine älteste Tochter mit einem wichtigen Geschäftspartner unter die Haube gebracht und Alois Waissnix erhielt vom reichen Brautvater eine hohe Mitgift. Karl, dem Alois das Hotel samt Landwirtschaft schon vor der Hochzeit übergeben hatte, konnte das Geld für die weiteren Ausbauten am Thalhof gut gebrauchen.
Der 29-jährige Karl war vom ersten Moment an bis über beide Ohren in die mondäne, hübsche und elf Jahre jüngere Frau verliebt. Olga hingegen mochte den nüchternen, rustikalen, wenn auch gut aussehenden Mann von Anfang an nicht, wusste aber, dass sie sich dem Willen des Vaters widerspruchslos zu beugen hatte. Einer Frau der damaligen Zeit war, wie Olga so treffend schreibt, »die Ehe als einzige Laufbahn vorgeschrieben!«
Diese so unterschiedlichen Menschen heirateten am 20. Februar 1881 in der Elisabethkirche auf der Wieden in Wien, der Heimatpfarre der Braut. Das anschließende Hochzeitsdiner richtete Ludwig Schneider in seinem Südbahnhof-Restaurant aus. Olga trug ab diesem Tag den Namen Waissnix und ihr Mann Karl musste sich an einen neuen Vornamen gewöhnen, den ihm seine Frau verpasste. In der Wiener Gesellschaft war es damals sehr modern, den Vornamen, vorzugsweise abgekürzt, ins Englische zu übertragen. So wurde aus Karl »Charles« Waissnix. Dann hieß es für Olga ihr geliebtes Wien und das Elternhaus zu verlassen und sich in einer neuen Umgebung und mit neuen Pflichten vertraut zu machen.
Gewohnt hatte die Familie Waissnix immer in der Mühle in Reichenau, wo nun traditionsgemäß auch Olga mit ihrem Mann einzog. Sie fühlte sich dort nicht wohl. Michael und Alois Waissnix lebten hier mit ihren Familien nach altem konservativ-ländlichem Muster zusammen, auf das die mondäne, großstädtische Welt Olgas prallte. Der bedrückenden Enge und Nähe in der Mühle wollte die junge Frau schnellstmöglich entkommen und erreichte bei ihrem Gatten, dass er das nicht mehr benötigte Kaiserappartement im ersten Stock des Thalhofs zu einer Wohnung für die junge Familie umbauen ließ, die von Olga im Wiener Salon-Stil eingerichtet wurde.
Bald nach der Hochzeit wurde Olga das erste Mal schwanger, Sohn Karl kam am 11. November 1881 zur Welt. Sohn Ludwig folgte am 19. Jänner 1883 und am 13. Dezember 1885 schließlich der dritte Sohn, Rudolf. Was die Erziehung ihrer Kinder betrifft, verhielt sich Olga diametral zu den Gepflogenheiten der Familie Waissnix, wo die Eltern sich neben der Gastwirtschaft auch um die Kinder gekümmert hatten. Nach deren Begriffen handelte sie als Mutter, die die Erziehung der Kinder hauptsächlich Kindermädchen, Gouvernanten und später Internaten überließ, unverständlich. Ihr Verhältnis zu den Kindern entsprach jedoch ganz den Gepflogenheiten des großbürgerlichen Lebens der Wiener Gesellschaft, wo Frauen vielen gesellschaftlichen und sozialen Verpflichtungen nachzukommen hatten und auf Personal für die Kinder angewiesen waren. Es gehörte zum guten Ton, die Erziehung anderen zu überantworten. Schnitzler vermerkte in seinem Tagebuch, dass er »die Kinder draußen nie gesehen«. Man darf nicht vergessen, dass Olga, im Gegensatz zu den meisten anderen Ehefrauen, berufstätig war und von frühmorgens bis spätnachts im Hotel arbeitete. Erst im Herbst und Winter, wenn die Saison vorüber war, nahm sie sich vermehrt Zeit für ihre Söhne.
Während der Hochsaison von Ostern bis Ende Oktober musste sich Olga neben der Führung des Betriebes persönlich um die Gäste kümmern. Es galt, mit ihnen zu parlieren, sich Zerstreuungen für sie auszudenken, als Hausfrau Hof zu halten und Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren. Viele der Hotelbesucher kannte Olga bereits aus Wien. Ihren noblen Gästen war Olga ähnlicher als der bodenständigen Familie, in die sie eingeheiratet hatte. Plötzlich fand Charles, den das Wiener Salonleben und die Menschen mit ihren feinen Manieren enervierten, diese auch in seiner Wohnung im Thalhof vor, wohin Olga sie zum Tee oder zu Kartenspielen geladen hatte. Sein häuslicher Friede und Rückzug waren gestört und er bereute sehr schnell, die Mühle und seine Familie verlassen zu haben.
Werbeschaltung des Thalhofs
Die Anwesenheit der charmanten Olga Waissnix zog immer mehr neue Gäste an den Thalhof. Durch den großen Zubau, der mit Olgas Mitgift finanziert werden konnte, war das Hotel so groß geworden, dass es für Olga und Charles, der nebenbei auch noch die Landwirtschaft zu führen hatte, alleine nicht mehr zu bewältigen war. Charles holte zur Unterstützung den tüchtigen Franz Rettinger an den Thalhof, der mehrere Funktionen zu übernehmen hatte: »Von Herrn Rettinger (…) wäre nun ein Wort zu sagen. Das war der Buchhalter, Geschäftsführer, Vizedirektor des Thalhofs; ein kleiner, dicker, beweglicher Mann in den Dreißigern, meist städtisch gekleidet oder mit einem grünen Jagdrock angetan, aber jederzeit ohne Kragen und Halsbinde. Er hatte eine spaßige, geschwinde Art zu reden, war das Faktotum, der Vertraute und mehr oder weniger auch der Spion des Gatten, was ihn nicht hinderte oder vielleicht erst recht dazu veranlaßte, mit Frau Olga auf freundschaftlichem Fuß zu stehen, die ihm keineswegs traute, aber eine gewisse Sympathie für ihn hegte. Er war der Unentbehrliche des Hauses, in dessen Kanzlei alle Fäden zusammenliefen, geschäftliche und private; er erledigte die Korrespondenz, wies die Zimmer an,