Über die Grenze. Майя Лунде

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Über die Grenze - Майя Лунде

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still.

      »Wo sind sie?«, fragte er plötzlich.

      »Wer – sie?«, fragte Papa.

      »Ich glaube, Sie wissen, von wem die Rede ist. Die jüdischen Kinder, die Sie verstecken.«

      »Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen.«

      Ja, natürlich hatte er das nicht. Alles war ein Missverständnis. Ganz klar. Es gab doch wohl keine Kinder, die bei uns versteckt wurden! Bald würden die Polizisten ihrer Wege fahren, und wir konnten ins Bett gehen und weiterschlafen. Oder vielleicht konnten wir zusammen in der Küche Kakao trinken. Das wäre gemütlich. Und morgen würde alles wieder so sein wie immer.

      Aber da war dieser Schrank. Und das Reden im Keller … Ich wusste ja, dass mit unserem Haus und mit Mama und Papa zurzeit irgendetwas nicht ganz stimmte.

      Plötzlich war es, als würde der Polizeichef hören, was ich dachte, denn er hob den Kopf und starrte mich und Otto an. Dann stieg er ein paar Treppenstufen hoch. Er zog die Lippen auseinander, als versuchte er zu lächeln.

      »Kinder … Ihr wisst doch, dass man nicht lügen darf?«

      »Halten Sie die Kinder da raus!«, rief Papa von unten.

      Aber der Polizeichef fuhr fort, uns anzustarren.

      »Habt ihr in letzter Zeit hier im Haus irgendwelche merkwürdigen Geräusche gehört oder etwas Seltsames gesehen?«

      Otto kniff mich fest in den Arm. Das hieß wohl, ich sollte nichts sagen. Und das hatte ich schon lange begriffen.

      »Nein, wir haben in letzter Zeit KEINE merkwürdigen Geräusche gehört oder etwas Seltsames im Haus gesehen«, erwiderte ich mit einer Stimme, von der ich hoffte, dass sie sehr sicher klang. Und dann schüttelte ich energisch den Kopf, um noch sicherer zu wirken.

      Es hätte gutgehen können, aber ich konnte nichts für meinen Blick. Den hatte ich nicht im Griff. Ich konnte es nicht lassen, zur Kellertür hinzusehen. Denn ich wusste ja, dass dort unten jemand war. Der Polizeichef starrte mich an. Dann drehte er sich um und folgte meinem Blick.

      »Dreht noch eine Runde im Keller«, sagte er zu seinen Leuten.

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       Handschellen

      Sie liefen hinunter in den Keller. Ich hielt die Luft an, und ich glaube, Otto auch. Mama griff wieder nach Papas Hand.

      Zunächst war es völlig still. Dann hörte man das Geräusch eines Möbelstücks, das über den Boden geschoben wurde. Holz scharrte auf Holz. Und dann rief eine Stimme: »Öffnen!«

      Sie machten da unten ziemlich viel Lärm – hämmerten und schlugen gegen die Tür hinter dem Schrank.

      Plötzlich gab es einen lauten Krach. Das musste die Tür gewesen sein, die nachgegeben hatte.

      »Macht das Licht an«, rief jemand.

      Wieder wurde es ganz still. Vielleicht fanden sie nichts?

      Dann polterten die Polizisten wieder die Treppe hoch. Sie schüttelten den Kopf: »Sie sind hier gewesen, aber jetzt sind sie weg.«

      Mama warf Papa einen schnellen Blick zu, als würde sie irgendetwas nicht ganz verstehen. Aber sie lächelte fast unmerklich.

      Der eine Polizist hielt eine Puppe in der Hand. Sie gehörte weder mir noch Otto. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen.

      Er warf die Puppe in eine Ecke.

      »Also, Doktor Wilhelmsen – wo haben Sie sie versteckt?«, fragte der Polizeichef. »Sie kommen besser weg, wenn Sie die Wahrheit sagen.«

      »Wie gesagt – ich weiß nichts.«

      »Aber wir sehen doch, dass sie jemanden versteckt haben.« Der Polizeichef überlegte einen kurzen Moment, bevor er fortfuhr: »Dann müssen Sie eben mitkommen.« Mama schluchzte auf.

      »Aber was ist mit Gerda und Otto?«

      »Daran hätten Sie ein bisschen früher denken sollen – statt an fremde Kinder.«

      »Sie können uns nicht einfach mitnehmen! Sie haben keinerlei Beweise!«, rief Papa. Ich hatte ihn noch nie zuvor so gesehen. Ach, doch, ein Mal. Als ich ausgerissen war, in den Wald, und erst abends nach Hause gekommen war. Da war er so gewesen – richtig wütend und gleichzeitig voller Angst.

      »Das liegt nicht in meiner Verantwortung«, sagte der Polizeichef. »Das entscheiden nicht wir.«

      »Ach, dann steckt Dypvik also dahinter?«, fragte Papa. Seine Stimme war scharf.

      Der Polizeichef zuckte ein bisschen zusammen und verlor irgendwie den Schwung.

      »Fühlt es sich gut an, dem Feind zu helfen?«, fuhr Papa fort.

      »Ich tue nur meine Pflicht«, sagte der Polizeichef leise. »Die NS hat einen Hinweis bekommen – Dypvik hat mich gebeten, dem Hinweis nachzugehen. Ich kann mich nicht verweigern, das wissen Sie.«

      Dann wandte er sich an zwei der Polizisten.

      »Bringt sie ins Auto. Und gebt Dypvik Bescheid. Er will das Haus bestimmt selbst kontrollieren.«

      Und dann geschah das, was ich nie vergessen werde – auch nicht, wenn ich hundertzwanzig Jahre alt werde.

      Zwei Polizisten nahmen Mama und Papa fest am Arm, legten ihnen Handschellen an und schoben sie aus der Tür. Papa schaffte es gerade noch, sich zu mir umzudrehen.

      »Geht nirgendwohin. Wartet auf Klara. Sie kommt wie immer morgen früh«, sagte er mit seiner feinen, guten Papastimme.

      »Aber … Wohin fahrt ihr?« Ich wollte hinter ihnen hergehen, aber der Polizeichef stellte sich mir in den Weg.

      »Wir nehmen sie nur mit hinunter zum Bahnhof. Von dort werden sie vielleicht in ein paar Tagen ins Konzentrationslager nach Grini gebracht«, sagte er leise und sah dabei aus wie ein verlegener Hund.

      »Nach Grini!« Endlich gab Otto einen Ton von sich.

      Der Polizeichef nickte und verschwand hinter Mama und Papa. Sie wurden über den Hofplatz geführt und dann in ein großes Auto geschubst.

      Otto legte einen Arm um mich. Zusammen standen wir in der Tür.

      Die Motoren starteten.

      Aber ich konnte nicht länger still stehen. Ich schüttelte Ottos Arm ab und lief hinterher.

      »STOPP!«, brüllte ich.

      Ich würde sie aufhalten – und wenn ich mich auf den Weg legen müsste und überfahren würde.

      Aber es war zu spät. Das Auto mit Mama und Papa entfernte sich immer schneller.

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