Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui

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Der Grenadier und der stille Tod - Petra Reategui Historischer Kriminalroman

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Sie hat ihr Kind erschlagen, er würde ihn erschlagen. Tu’s doch!

      Am Brunnenhaus biegt der schöne Buntrock in die gegenüberliegende Gasse ein, die wie alle von der Hauptstraße abgehenden Querstraßen auf den weiten Platz der prächtigen Häuser mündet, wo das Hohe Haus aufragt und sich zu beiden Seiten die Wohnräume des Großen Herrn und dessen Diener anschließen. Er muss rennen, um den Mann nicht aus den Augen zu verlieren. Kommt an die Ecke, linst vorsichtig in die schmale Gasse. Es beginnt schon zu dämmern. Außer dem Buntrock ist niemand mehr unterwegs.

      Ein Holzprügel ragt aus dem Schnee heraus. Als er sich danach bückt, schwingt vor ihm ein Hoftor auf. Zwei Männer in grober Arbeitskleidung schieben einen mit Fässern beladenen Wagen heraus. Er muss sie vorbeifahren lassen. Als er wieder freie Sicht hat, ist weit und breit niemand mehr zu sehen. Das Grundstück neben dem Fässerwagenhaus ist eine Brache, eine öde, vermüllte Baulücke.

      Missmutig wirft er das Holz fort. Geht trotzdem weiter. Langsam. Prüft unauffällig aus den Augenwinkeln heraus die Hauseingänge. Wohnt der Mann jetzt irgendwo hier? In einem Fenster brennt Licht. Sein Zimmer? Er will die Torklinke herunterdrücken, um zu sehen, ob sie nachgibt. Da kommt ihm vom Platz der prächtigen Häuser eine in einen langen Umhang gehüllte Gestalt entgegen, und er zieht seine Hand zurück.

      Die Person, von der Statur her ein Mann, hinkt, nicht sehr, nur ein bisschen, vielleicht aus Angst, im Schnee auszurutschen. Als sie beide auf gleicher Höhe sind, mustert der Unbekannte ihn kurz, wendet aber sofort den Kopf ab.

      Er passiert ein Haus und noch eines, bevor er sich nach dem Hinkenden umdreht.

      Der hat die Einfahrt erreicht, aus der der Fasswagen herausgefahren ist, bleibt jetzt stehen und dreht sich ebenfalls um. Einen Atemzug lang fixieren sie sich gegenseitig. Aber die Entfernung ist groß, das Licht schummrig. Er kann nicht erkennen, wer die Person ist.

      Kurz vor dem weiten Platz schaut er sich ein zweites Mal um.

      Er hat es geahnt: Die hinkende Gestalt ist den Weg wieder zurückgelaufen, nur ein kurzes Stück, und hält jetzt vor dem unbebauten Grundstück neben dem Fasswagenhaus, zögert und verschwindet auf dem Gelände.

      6

      Sie waren schnell fertig. Zu Simons Erleichterung schien der Neue ein schweigsamer Zeitgenosse zu sein, nicht so ein neugieriger Bursche wie der letzte, der Wunder weiß was alles wissen wollte und ihm Löcher in den Bauch fragte. Von woher er sei, wie es sich lebe im markgräflichen Regiment, was er dabei verdiene, ob er schon mal im Schloss gewesen sei und es stimme, dass die Frau Markgräfin Bücher sammle und so schön male, wie es die Leute erzählten, ob der Bauplatz hier ihm gehöre und er bauen wolle, ob er ihn nicht mal auf einen seiner Streifzüge mitnehmen könne? Ein Plagegeist, dieser Bengel, er hatte sich krampfhaft überlegt, wie er ihn loswerden könnte. Vor ein paar Tagen erfuhr er dann, dass der Bursche seinen Brotherrn beklaut habe und mit dessen Geld stiften gegangen sei. Sehr gut. Damit hatte sich das Problem erledigt. Der Nachfolger würde hoffentlich nicht seine Nase in alles hineinstecken.

      Er reichte dem Neuen den Sack, den er wie immer schon vorbereitet hatte, und ohne sich für den Inhalt zu interessieren, verstaute dieser ihn unter seinem weiten Umhang.

      »Ich wollt, ich wär schon wieder zurück«, brummte der Mann, »bei so einer Kälte schickt man doch keinen Hund vor die Tür. Ob sie die Hinrichtung heute Morgen verschoben hätten, wenn sie gewusst hätten, dass es schneien wird?«

      Simon gab keine Antwort. Der Bote hatte wohl auch keine erwartet, er trat aus dem Schatten der Hausmauer und schaute in den schwarzen Himmel. Dann schweifte sein Blick über das Gelände, das rechts und links von niedrigen zweistöckigen Wohnhäuschen eingeschlossen war. Nach hinten begrenzte ein Lattenzaun das Areal.

      »Warum baut hier keiner?«, wunderte sich der Mann. »Das ist doch beste Lage. Feine Umgebung, noble Herrschaften, das Schloss in nächster Nähe. Oder ist hier ’ne Leiche verbuddelt, die um Mitternacht aufwacht und herumspukt?« Er keckerte provozierend. Als im Haus gegenüber ein Hund zu kläffen begann, senkte er die Stimme. »Man sollte zugreifen, bevor es zu spät ist. Noch ist der Boden in Carlsruhe billig. Aber die Preise werden anziehen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

      Halt doch deinen Rand, lag es Simon auf der Zunge. Aber er hielt sich zurück, ballte die Fäuste, um nicht ausfällig zu werden. Er hatte sich wohl getäuscht, der Neue war genauso ein Schwätzer wie der alte. Schade. Er würde auf der Hut sein müssen. Aber recht hatte der Kerl schon. Die Lage des Grundstücks war hervorragend, besser ging es gar nicht. Und der Markgraf gewährte Bauhilfen. Natürlich nur denen, die es ohnehin dicke hatten. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Er als kleiner Soldat konnte da nicht mithalten, egal wie günstig die Preise waren.

      Doch das würde sich ändern. Dreiundzwanzig war er jetzt. In fünf Jahren, hatte er sich vorgenommen, wollte er den Majorsrock tragen, mindestens – und darunter eine prall gefüllte Geldkatze.

      »Gehen wir!«, befahl er harsch und bahnte sich seinen Weg an Gestrüpp, Steinen und altem Gerümpel vorbei vor zur Lammgasse. Er horchte nach hinten, ob der andere ihm folgte, und nahm beruhigt die im Schnee knirschenden Schritte des Mannes wahr. Dass ihre Spuren sie verraten könnten, war ärgerlich, aber nicht zu ändern. Er hoffte, dass es in der Nacht wieder schneite, damit die Fußstapfen verwischten.

      Dann standen sie auf der Gasse. Links glaubte er, eine Bewegung wahrzunehmen. Der Schatten eines Menschen? Vielleicht narrte ihn aber auch der flackernde Schein einer Kerze, der von einer Mansardenluke auf die Straße fiel. Irgendwo wurde ein Fenster geschlossen, leise, als solle es niemand hören. Er blickte die Häuserfronten entlang. Nichts. Nur ein Krächzen. Ein später Vogel, oder hatte sich jemand geräuspert? Unwirsch zuckte er mit den Schultern, überall sah und hörte er schon Gespenster.

      Als sie sich an der Langen Straße trennten, schnauzte er den Boten schärfer an als nötig: »Gebt mir in Zukunft früher Bescheid, die Zeit war dieses Mal knapp bemessen.«

      Dem Patron musste doch klar sein, dass er Soldat war und Pflichten hatte und nicht über beliebig freie Zeit verfügte. Andererseits, der Mann zahlte ordentlich, mehr als ordentlich, das musste man ihm lassen.

      »Na, nix für ungut«, brummte er.

      Die Straße war glatt. Simon musste aufpassen, wo er hintrat. Er hatte keine Lust, zu stürzen und sich die Knochen zu brechen. Warum hatte hier noch keiner gestreut? Höchste Zeit auch, dass die Stadt die Straßen endlich pflastern ließ. An der Waldhorngasse hatten sie angefangen und wieder aufgehört, dann wieder weitergemacht und wieder aufgehört. Arbeiter! Das waren nicht die schnellsten Zeitgenossen, die der Herrgott erschaffen hatte. Aber die oberen Finanzverwalter waren auch nicht viel besser. Was nichts kostete, wurde sofort erledigt, alles andere, wenn der Mond blau war.

      Er querte den Marktplatz, der unter einer geschlossenen Schneedecke lag. Die dunkle Masse der Concordienkirche zeichnete sich gegen den Himmel ab. Hinter der kleinen Kreuzgassenkirche der Reformierten näherte sich der Nachtwächter, leuchtete ihm ins Gesicht und grüßte schweigend. Simon fiel das verdächtige Fenster wieder ein. Hatte eine Hausfrau oder eine Magd vor dem Schlafengehen noch frische Luft ins Zimmer gelassen und beim Schließen einfach nur Rücksicht auf die Nachbarschaft genommen? Oder waren er und der Bote beobachtet worden? Sollte er das Versteck wechseln? Schon wieder?

      Am Anfang hatte er vor der Stadt nahe dem Rintheimer Feld eine verfallene Scheune ausfindig gemacht, die für seine Zwecke bestens geeignet schien. Aber nach einiger Zeit wurden die Wächter am Durlacher Thor misstrauisch, frugen ihn aus, wenn er wieder mal die Stadt ohne Kompagnie verließ, und dann war unvermittelt eine Patrouille aufgetaucht. Er musste das Weite suchen. Das nächste Versteck lag bei

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