Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui
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Und es war ja auch lustig gewesen mit ihr. Eine Zeit lang wenigstens, bis sie ihm diesen Bams unterjubelte. Zuerst den einen, der Gott sei Dank sofort starb, und dann gleich darauf den zweiten. Da hörte für ihn der Spaß aber auf. Die wollte ihn nur krallen. Von wem auch immer dieses Balg war, von ihm nicht. Das konnte gar nicht sein. Denn wenn sein Bruder auch ein Blödian war, eines hatte der ihm beigebracht: Wie man aufpassen musste bei den Weibern. Kurz vor dem entscheidenden Schuss sozusagen geordnet den Rückzug antreten. Und dieses Manöver beherrschte er perfekt.
Natürlich hatte er Mitleid mit ihr gehabt, er war ja kein Unmensch, und in einer schwachen Stunde hatte er Catharina tatsächlich das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Es wurde ihm jetzt noch blümerant, wenn er nur daran dachte. Das hatte wohl am alten Würbs seinem Branntwein gelegen. Wie hatte er sich nur so breitschlagen lassen können! Heiraten! Aber Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, sein Vorgesetzter hatte ihn vor dem Schlimmsten bewahrt, nachdem er von dem Malheur erfuhr. »Was glaubt Er denn, wer Er ist?«, hatte der Major ihn zusammengestaucht, dass ihm Hören und Sehen verging. »Glaubt Er denn, unser durchlauchtigster Fürst macht bei Ihm eine Ausnahme? Nein und noch mal nein! Der markgräflich-badische Soldat setzt seine Manneskraft in der Schlacht ein. Ausschließlich in der Schlacht. Dass Er sich das gefälligst hinter die Ohren schreibt, und wenn es Ihn noch so sehr sonst wo juckt, hat Er verstanden?«
Es juckte ihn ständig, jeden Tag, aber er schwieg, stand stramm, ließ die Tirade über sich ergehen, Major von Sandberg war sein Retter. So hatte er sich also überwunden und schweren Herzens zehn Batzen von seinem mageren Sold abgezwackt, damit die doofe Kuh ihren dicken Bauch aus der Welt schaffte. Und was hatte die gemacht? Nichts, rein gar nichts. Weitergejammert und sich wahrscheinlich bei einem dieser welschen Händler, diesen raffinierten Bauchladenkrämern, ein Seidentüchlein gekauft. Selbst schuld, dass sie nimmer lebt.
»Hört endlich auf, ihr tratscht wie die Marktweiber«, schimpfte er mit schwerer Zunge, »ich hab gedacht, wir wollten spielen«, und er feuerte das Kartenblatt, das Johanna gebracht hatte, über den Tisch. Schwungvoll fächerte sich der Stapel auf.
»Apropos Markt.« Heinrich Abele musterte ihn abschätzend. »Die Katze kann das Mausen nicht lassen, gell? Da hab ich dich doch neulich auf dem Markt schon wieder mit so ’nem Madämchen schöntun sehen.«
Simon fuhr hoch, krachend fiel sein Stuhl um. Was spionierte dieser neunmalkluge Professor hinter ihm her? Nur weil der arrogante Pinsel Bücher las, hielt er sich für was Besseres. Einen Augenblick schwankte Simon, musste sich an der Tischplatte festhalten. Dann stürzte er sich auf den Herausforderer.
»Du Sauhund …«
Seine Faust traf Abeles Nase. Er zog den Degen, fühlte sich aber sofort bei den Armen gepackt. Doch er riss sich los und drosch umso erbitterter auf den Lackaff ein, Stühle kippten, Johanna kam gelaufen, kreischte, zeterte, bis der Wirt endlich einen Kübel Abwaschwasser über die Streithähne schüttete.
Mit dem Uniformärmel wischte sich Heinrich Abele das Blut aus dem Gesicht, kroch auf allen vieren zum Tisch, um sich daran hochzuziehen, und ließ sich dann auf die Bank fallen. Johanna legte ihm einen nassen Lappen in den Nacken.
»Das wirst du mir büßen, Freundchen«, murmelte Abele und spuckte einen Zahn aus. »Ich schwör’s dir, das wirst du mir büßen.«
7
Freitag, den 24ten Januarij 1772
Kein Auge hatte Madeleine in den Nächten seit jenem unseligen Freitag vor einer Woche, als das bedauernswerte Mädchen aus dem Dörfle hingerichtet worden war, zugemacht. Auch jetzt drehte sie sich wieder in ihrer Bettlade ruhelos von einer Seite zur anderen, und natürlich wachte prompt der pëchit Fraïre neben ihr auf und fing zu greinen an. Plärrkind! Seufzend erhob sie sich, drehte ein Stück Leinen zum Nuckel, tunkte ihn in Honigwasser und schob ihn dem Brüderchen in den Mund. Gierig begann der Junge zu schmatzen, ein paarmal noch schluchzte er tief auf, dann verlor er das Schnullertuch und schlief wieder ein, ohne dass die Maïre und die Geschwister aufgewacht wären. Aufatmend kroch Madeleine zurück unter die Decke. Sie rieb ihre Eisklotzfüße aneinander, starrte zum Plafond und horchte in sich hinein. Ab wann merkte man, dass man ein Kind im Leib trug? Wen sollte sie fragen? Jeanne? Aber die Freundin würde es womöglich weitererzählen, und dann könnte es der Maïre und der Nonno zu Ohren kommen.
Die Medicinalratswitwe!, fiel Madeleine plötzlich ein. Warum nicht? Frau Wilde hatte ihrer vorherigen Magd helfen wollen, vielleicht konnte auch sie sich ihr anvertrauen.
Sie zog sich die Wolldecke bis zur Nasenspitze und linste durchs Fenster nach draußen in die Düsternis. Zwei volle Markttage hatte sie wegen des Wetters ausfallen lassen müssen, der Weg wäre zu gefährlich gewesen. Aber seit gestern war die Straße wieder frei, heute würde sie gehen.
Es war noch stockfinster, als sie kurz nach vier vor die Haustür trat. Bis zum Abzweig, wo links der Weg hinunter nach Ettlingen führte, schloss sich ihr, unentwegt schwatzend, die Bariol vom Nebenhaus an. Madeleine achtete nicht auf sie, gab nur hin und wieder ein Sì oder No von sich, einmal ganz in Gedanken ein französisches Oui, dachte an die arme Magd der Medicinalrätin, an die tote Catharina Würbsin und an Jeanne, die nun ein Kind hatte und einen Vater dazu, doch sie bezweifelte, dass die Freundin glücklich war. Sie sah nicht so aus. Endlich verabschiedete sich die Bariol, dann war Madeleine mit sich, ihrem schweren Honigkorb und den quälenden Gedanken allein.
Sie mied die viel begangene Strecke Richtung Durlach. Unterwegs träfe sie jede Menge Tagelöhnerinnen und Händlerinnen aus den benachbarten Dörfern, wahrscheinlich auch die Batzenhöferin mit ihrem großen Buckel und den vielen Lachfältchen. Eigentlich mochte Madeleine die Bäuerin, ihr hatte sie es zu verdanken, dass sie leidlich Deutsch sprach, besser jedenfalls als die meisten Palmbacher Waldenser. Die Batzenhöferin konnte erzählen wie sonst kaum jemand, Geschichten von Liebesleid und Liebesglück, von Drachen, Riesen und Nixen im Mummelsee, Märchen und Legenden, die sie von ihrer Großmutter hatte. »Die mit genauso ’nem Buckel gesegnet war wie ich. Bei Regen konnt ich mich drunterstelle und wurd net nass«, behauptete die Bäuerin tiefernst und freute sich über die ungläubigen Gesichter der Kinder und die belustigten der Erwachsenen. Madeleine wurde nie müde, ihr zuzuhören, doch heute war ihr nicht danach zumute. Sie entschied sich für den unbequemeren, dafür weniger belebten Weg durch den Grünwettersbacher Wald.
»Notre páire dâ sèel …«, fing sie im Rhythmus ihrer Schritte zu beten an. »Notre páire dâ sèel, que toun noum sie santifia … s’ la voû plai, Buondìou, mach, dass ich meine Sach wieder krieg, und dann, ich versprech’s, guter Gott, will ich mich nie mehr mit dem Soldat treffen, nie mehr.«
Hinter der Kurve lag Wolfartsweier, vereinzelt flackerten Lichter in den Häusern. Weiter wand sich der Weg, anfangs noch über freies Land, dann bergab durch dichten Wald. Das winternackte Geäst knarzte, krächzend erwachte ein erster Rabe.
Auch Carlsruhe lag noch im Dunkeln, als Madeleine am Rüppurrer Thor ankam. Die Wachthabenden palaverten mit einem Händler, umrundeten seine Holzfuhre, zählten, prüften, schrieben beim Schein der Talgkerze etwas in ein dickes Buch, palaverten wieder. Sie musste sich gedulden.
»Honig«, erklärte