Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui

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Der Grenadier und der stille Tod - Petra Reategui Historischer Kriminalroman

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sagte sie gehorsam, »ich verstehe.« Auch wenn sie nicht verstand.

      Aber sie wusste, dass für die Alten die Heimat der Vorfahren, die Patrìo, das Paradies auf Erden gewesen war. Doch wenn die Nonno von den Schluchten und schroffen Alpengipfeln erzählte, die im Winter abweisend und unpassierbar seien, schauderte es Madeleine. Nein, ihre Patrìo war das nicht. Ihre Heimat war hier, war Palmbach, von wo der Blick über sanfte Höhen ging bis hinüber zu den blaugrünen Hängen des Schwarzwalds und man selbst bei Schnee noch durchkam. Meistens wenigstens.

      Manchmal würde sie der Nonno gern Widerworte geben. Lux lucet in tenebris, das Licht leuchtet in der Dunkelheit, würde sie gern zu der alten Frau sagen. Hatte denn der jahrhundertealte Wahlspruch der Waldenser ihnen nicht den Weg aus La Balme nach Palmbach gezeigt? Warum also klagen? Das Licht leuchtet überall, an allen Orten dieser Welt.

      Etwas Nasses streifte ihr Gesicht. Schnee. Schnee des Schwarzwalds, Schnee des Piemont, Schnee wie der, von dem die Nonno faselte. Hysterisch lachte Madeleine auf. Das Lachen schüttelte ihren Körper, bis sie jede Rippe einzeln spürte. Warum nur hatte sie sich überreden lassen und war mit den Frauen hierhergekommen? Wegen einer Hinrichtung! Das junge Mädchen mit dem kahlen Schädel. Das Schwert des Scharfrichters. Der Kopf, der fiel. Es war grausam. Und Soldaten durften nicht heiraten.

      Das hatte sie nicht gewusst. Wer in Palmbach wohnte, war Außenseiter, für immer und ewig. Sie brauchte nur den Mund aufzumachen, und jeder konnte hören, dass sie nicht von hier war, ihr Deutsch, wie sie fand, miserabel. Ungerührt fiel in dichten Flocken der Schnee.

      Madeleine schaute um sich, keiner achtete auf sie. Der schmerzhafte Druck, der ihre Brust wie mit Eisenbändern umklammerte, löste sich nur langsam.

      Als sei ihr Körper eine Maschine, schulterte sie endlich die Kiepe und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt. Nichts hatte sie verkauft, keine einzige Nuss, keinen Tropfen Honig, hoffentlich nahm ihr der Tulpenwirt noch etwas ab. Bestimmt wartete er längst auf sie, war womöglich verärgert, dass sie so spät kam. Wenigstens drückten die Wachtposten am Mühlburger Thor sämtliche Augen zu und winkten sie ohne Kontrolle durch. Langsam beruhigte sich ihr Herz.

      3

      Lautes Gerede und der verführerische Duft von Kohl, Zwiebeln und würziger Brühe schlugen Madeleine entgegen, als sie die Tür zur »Tulpe« öffnete. Sie hätte jetzt auch etwas vertragen können. Um vier in der Früh war sie von zu Hause aufgebrochen, hatte vorher nur schnell noch einen in Wassermilch getunkten Kanten Brot hinuntergeschlungen. Jetzt war es Mittag, ihr knurrte der Magen.

      Die Oberhäusserin hatte behauptet, in der »Tulpe« gebe es den besten Braten in der Stadt. Spezialität des Hauses sei der mit Thymian abgeriebene und in Rotwein eingelegte Hasenrücken, je nach Jahreszeit immer mit einem anderen Gemüse, gelbe Rüben, Sellerie, Pilze, Topinambur, dazu Nüsse, Mandeln, Kapern, Trüffel, Krebse. Die Gäste kämen nur deshalb. Sogar der allergnädigste Markgraf habe schon danach gefragt und seinen Hofkoch angewiesen, die Delikatesse zu besorgen. Er sei, habe Seine Durchlaucht später ausrichten lassen, von der Zubereitung der Speise derart entzückt gewesen, dass er demnächst gar einen persönlichen Besuch des Wirtshauses erwäge, schon allein wegen dessen Namen. Habe doch Markgraf Carl Wilhelm, sein verehrter Herr Großvater und Gründer der Stadt, die kostbaren Tulpen über alles geliebt, für teuer Geld aus den Niederlanden einführen und sie tausendfach malen lassen. Da könne es ja gar nicht anders sein, als dass das Essen dort vorzüglich wäre. Der Tulpenwirt, hatte die Oberhäusserin unter dem Grinsen der umstehenden Marktweiber weitererzählt, habe sich daraufhin sofort einen brandneuen Rock und neue Schuhe anfertigen lassen und vor dem Spiegel so lange Bücklinge geübt, bis ihm die Hex in den Rücken geschossen und er ein paar Tage lang wie eine windschiefe Birke herumgekraucht sei.

      An dem Tisch neben dem Durchlass zu Küche und Hinterhof hatte sich eine Gruppe Offiziere breitgemacht. Als Madeleine beim Vorbeigehen mit der Kiepe versehentlich den Arm eines Uniformierten streifte, schnauzte der sie sofort an, was ihr einfalle. Sie erkannte in ihm den schmallippigen Befehlshaber vom Richtplatz und entschuldigte sich. Aber der Kommandant hörte es nicht oder wollte es nicht hören. Er musterte sie kalt von oben herab. Was für ein anmaßendes Scheusal. Madeleine beschloss, diesen Menschen nicht zu mögen.

      »Komm, setz dich, Madeleine, ich hab mich schon g’wundert, wo du bleibsch.«

      Der Tulpenwirt räumte das Tischle an der Tür frei und stellte eine Schüssel mit dampfendem Eintopf hin, dazu Brot und ein Glas verdünnten Weins. »Jetzt ess erscht mal was, ich seh dir doch an der Nasenspitze an, dass du Hunger hasch.« Der Wirt musste sie kein zweites Mal bitten.

      Mit der Suppe wurde ihr warm, auch im Raum war es warm, und die Küchenmagd, die dicke Theres, wischte sich unablässig den Schweiß von der Stirn, während sie Zwiebeln würfelte, Salz unter den Rotkohl knetete, das Gemüse abschmeckte und schließlich ein mit Speck umwickeltes Bratenstück aus dem Sud hob und in Scheiben schnitt. Der berühmte Hase? Aus der Speisestube schallte metallen hart die Stimme eines der Militärler an Madeleines Ohr.

      »Ich versichere Ihnen, meine Herren, dass ich das jedem Rekruten vom ersten Tag an einbläue: Huren oder Enthaltsamkeit! Etwas anderes gibt es nicht. An Heiraten ist nicht zu denken. Das geht erst, wenn der Soldat vielleicht Premier-Lieutenant oder Major ist. Lässt er dann im Kampf sein Leben, nun gut, dann ist für Witwe und Kinder wahrscheinlich ausreichend gesorgt, damit die Familie nicht der Staatskasse zur Last fällt.«

      Der Sprecher schnaubte grimmig, und Madeleine, die nicht sicher war, ob sie richtig verstanden hatte, weil der Mann für sie zu schnell sprach und es überdies laut im Raum war, beugte sich vor, um zu sehen, wer geredet hatte. Natürlich, der schmallippige Offizier. Der, den sie sich entschlossen hatte, nicht zu mögen.

      »Und trotzdem greifen Unzucht und Disziplinlosigkeit immer weiter um sich«, ereiferte sich ein zweiter Mann, den Madeleine von ihrem Platz aus nicht sehen konnte. »Die Weibsleut sind die Schlimmsten, heucheln Moral und Anstand, aber schmeißen sich jedem Kerl an die Brust. Ich komme gerade aus Frankfurt. Da ist doch auch erst vor drei Tagen so ein gottloses Frauenzimmer hingerichtet worden. Eine gewisse Susanna Margaretha Brandt. Auch wegen Kindsmord. Die Gerichte sind viel zu milde in solchen Dingen. Die Hinrichtung mit dem Schwert schreckt nicht ab. Man sollte die Dirnen wieder der Folter unterziehen, ertränken, wie früher. Das würde sie zur Raison bringen.«

      E li omni?, entrüstete sich Madeleine, was ist denn mit den Männern, was ist mit denen? Monsieur tat ja geradeso, als hätten diese mit der ganzen Chose nichts zu tun. Es war doch Matthieu gewesen, der hinter Jeanne herrannte wie der Teufel hinter der armen Seele, und dann war der Freundin der Leib dick geworden, niemand hatte etwas gemerkt. Winters ließ sich unter der Kleidung viel verbergen. Aber sie hatte sich bald gedacht, dass da irgendetwas nicht stimmte, und Jeanne gefragt, ob sie krank sei. Nein, nein, wiegelte die Freundin ab, das sei vom gestockten Blut. »Das geht weg, wenn die Sach wiederkommt.«

      Aber der Jeanne ihre Sach war nicht wiedergekommen. Stattdessen bekam sie Krämpfe, im Frühjahr, mitten auf dem Feld, und unvermutet schoss das Kind aus ihr heraus und plumpste auf den Acker. Ein Mädchen. Nur gut, dass sie dabei gewesen war und ein paar Frauen rufen konnte, die sich mit so etwas auskannten. Aber sie mussten mit Engelszungen auf die Freundin einreden, damit diese das Kindchen in den Arm nahm, der Pëchitto die Brust gab und was man halt so tut nach einer Geburt. Und die ganze Zeit hatte Jeanne geheult, sie habe das doch nicht gewusst.

      »Das würde sie mit Sicherheit zur Raison bringen«, bestätigte der schmallippige Kommandant die Worte des Vorredners, als eine sonore Stimme ihn unterbrach. Madeleine musste sich anstrengen, um die Person zu verstehen.

      »Sie erlauben, aber wenn man Sie so reden hört, könnte man meinen, dass wir Männer Unschuldslämmer oder lauter Heilige wären«, sagte der Unbekannte. »Aber

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