Der Geliebte der Verlobten. Laura Lippman

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Der Geliebte der Verlobten - Laura  Lippman Tess Monaghan

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und wie stolz er war, dass der extravagante neue Partner Michael Abramowitz sie zur Assistentin haben wollte.

      »Aber das ist doch klar, oder? Das ›Tri O‹ ist ’ne ziemlich hoch aufgehängte Anwaltskanzlei, und diese Fälle mit dem Asbest reißen einfach nicht ab.«

      »Ja, vor allem, wenn einer der wichtigsten Klienten Sims-Kever ist, der lieber eine Million Dollar Anwaltskosten zahlen würde, als auch nur einen einzigen müden Dollar Schadenersatz an so einen alten Typ, der keine Luft mehr kriegt.«

      Rock zupfte an einer seiner Schwielen herum. »Die Sache ist nur, Ava war vorige Woche gar nicht bei der Arbeit. Ich habe angerufen, und die Sekretärin sagte mir, dass sie Urlaub habe. Ich bin mir aber sicher, dass es trotzdem eine ganz einfache Erklärung dafür gibt.«

      »Warum fragst du sie dann nicht einfach?«

      »In dieser Hinsicht ist Ava ein bisschen komisch. Wenn ich sie fragen würde, würde sie das so verletzen, dass …« Er schüttelte den Kopf, als könne Tess sich gar nicht vorstellen, wie Ava war, wenn sie sich verletzt fühlte, wie aberwitzig einschüchternd und anbetungswürdig. »Sie ist sehr empfindlich.«

      Sie trieben in der leichten Strömung. Hier, in einer kleinen Bucht in der Nähe des Jachthafens, war das Wasser glatt. Tess suchte nach etwas, was sie sagen konnte, etwas, was diesem Gespräch ein Ende setzen und sie näher an ihre Blaubeerpfannkuchen bringen konnte. Avas Verhalten legte alle möglichen Vermutungen nahe, die aber alle wenig schmackhaft für Rock wären.

      »Ich bin überzeugt, dass sie einen guten Grund hat«, sagte sie schließlich.

      »Aber es gibt nur eine Möglichkeit, es wirklich herauszufinden.«

      »Sie zu fragen? Du hast doch gerade gesagt, dass du mit ihr nicht darüber reden kannst.«

      »Nein, sie zu beschatten.«

      »Würde sie es nicht merken, wenn du ihr folgst?«

      »Doch, natürlich«, sagte Rock. »Aber ich habe mir gedacht, sie würde es nicht merken, wenn du ihr folgst.«

      »Wie könnte ich ihr folgen? Ich meine, woher soll ich die Zeit dazu nehmen? Ich weiß, ich kann mir meine Zeit einteilen, aber ich sitze trotzdem nicht den ganzen Tag in meiner Wohnung herum und sehe fern.« Das war ein wunder Punkt bei Tess. Viele Leute schienen zu glauben, arbeitslos zu sein sei einfach nur ein Spaß. Aber sie musste zwei Jobs machen, nur um über die Runden zu kommen.

      »Ich würde dich bezahlen. Dreißig Dollar Stundenlohn, wie es bei Privatdetektiven üblich ist. Du wirst sicher jemanden finden, der dich für die paar Tage in der Buchhandlung vertritt.«

      »Aber ich bin keine Privatdetektivin«, wandte sie ein.

      »Nein, aber du warst lange Zeit Reporterin. Hast du mir nicht erzählt, wie du einmal irgend so ein großes Tier aus der Stadt beschattet hast? Und du schreibst Berichte für deinen Onkel. Das könnte so etwas wie ein Bericht sein.« Er tat so, als würde er diktieren. »›Neunzehn Uhr dreißig; sah Ava in die Hemispheris-Klinik an der Johns Hopkins gehen. Empfangsdame bestätigt, dass sie Thrombozyten für jungen Krebskranken spendet.‹ Verstehst du?«

      Mein Gott, dachte sie, ihm fällt nicht einmal eine gute Geschichte ein. Es war viel wahrscheinlicher, dass Ava in die Abteilung für Geschlechtsumwandlung an der Johns Hopkins Klinik ging und Rock erst wiedersehen wollte, wenn sie ihre neue Ausstattung hatte.

      Trotzdem, dreißig Dollar Stundenlohn, wenn auch vielleicht nur für fünf oder sechs Stunden, das war eine schrecklich verlockende Aussicht. Leichtes Geld. Wenn Ava nichts anstellte, würde Tess einen Freund glücklich machen. Wenn Ava Böses im Schilde führte, würde sie dafür bezahlt, einen Freund vor einem verheerenden Fehler zu bewahren.

      »Einen besseren Computer«, säuselte Rock. »Autoreparaturen. Eine erste Rücklage für ein eigenes Boot, damit du nicht immer auf diese Scheißteile hier angewiesen bist.«

      Tess stellte bei sich eine andere Liste zusammen: ein Paar Ohrringe, die ausnahmsweise einmal nicht aus dem Dritte-Welt-Laden kamen. Lederstiefel, samt Sohlen. Studiengebühren. Aber sie schob diese Gedanken wieder beiseite und versuchte, den Haken an der Sache zu finden.

      »Warum nimmst du dir nicht einen richtigen Privatdetektiv, wenn du schon so einen Preis bezahlen willst?«

      Rock blickte über den Fluss, als sei er plötzlich von den drei kleinen Kindern völlig in Anspruch genommen, die am nördlichen Ufer herumwateten.

      »Ein richtiger Privatdetektiv wäre schäbig«, sagte er langsam, als müsse er sich die Antwort erst selbst noch zurechtlegen. »Es geht hier um einen Gefallen unter Freunden. Ich biete dir deshalb an, dich zu bezahlen, weil ich weiß, dass deine Zeit wertvoll ist. Und weil ich weiß, dass du nie genug Kohle hast.«

      Als Freiberuflerin setzte Tess ihren Stundenlohn bei 20 Dollar an, arbeitete aber oft auch für weniger. Als Staatsangestellte mit Vertrag verdiente sie zehn Dollar pro Stunde. Ihre Tante versorgte sie mit Essen, zahlte ihre Krankenkasse und gab ihr sechs Dollar die Stunde für die Arbeit im Buchladen. Noch nie hatte jemand den Wert ihrer Arbeit auf dreißig Dollar pro Stunde geschätzt.

      »Wo arbeitet Ava denn?«, fragte sie.

      Er lächelte. Er sah wirklich wie Dondi aus, nur hatte er keinen so leeren Blick.

      »Das erzähl ich dir alles bei Jimmy’s.«

      2

      Tess aß dann doch keine Blaubeerpfannkuchen. Sie hätte zwar gerne, doch in dem Augenblick, wo sie Jimmy’s in Fells Point betrat, warf der Koch zwei Bagels zum Toasten auf den Grill und schenkte frischen Orangensaft in einen roten Plastikbecher. Ihr übliches Frühstück: zwei Bagels, einer mit Frischkäse, einer ohne. Dieses Frühstück aß sie jetzt schon seit zwei Jahren bei Jimmy’s, mindestens fünfmal pro Woche.

      Immer schon hatte sie sich gewünscht, dass sie ein Lokal betreten und jemand fragen würde: »Das Übliche?« Natürlich hatte dieses Lokal in ihrer Phantasie ursprünglich eine lange Bartheke in Mahagoni, die Männer dort trugen Anzüge und die Damen Hüte, und sie selbst würde sich einen Martini bestellen, einen Martini pur. Ohne Olive, bitte.

      Rock entschied sich nach einem kurzen Blick auf die Speisekarte, die auf dem Platzdeckchen aufgedruckt war, für das »Carbohydrat Spezial«, ein Frühstück, das er selbst kreiert hatte: Toast, Pfannkuchen, Orangensaft, einen Früchtebecher und Müsli mit fettarmer Milch.

      »Keinen Sirup, keine Butter«, sagte er zu der Bedienung. »Nur jede Menge Marmelade extra.«

      »Sonst noch etwas?«

      »Haben Sie vielleicht auch Reis? Oder Buschbohnen?«

      Die Kellnerin stolzierte davon, sie fand das gar nicht lustig. Rock war ein leidenschaftlicher Anhänger der These, dass die Ernährung die sportliche Leistung steigere, auch wenn sich die Regeln für eine solche Ernährung immer wieder änderten. Zurzeit mied er Fett und das meiste Fleisch. Wenn man aber bedachte, wie sehr er sich verausgabte, musste er ungeheure Mengen essen und Proteinersatzstoffe trinken, um sein Gewicht zu halten. Er aß nie, um zu genießen, und er trank keinen Alkohol. Sein einziges Laster war Koffein, das, wie er behauptete, seine Leistung steigerte. Die Küche in seiner kleinen Wohnung in Charles Village war ein Kaffeetempel. Rock besaß keinen Videorekorder, keinen CD-Player und keine Mikrowelle, aber eine französische Druckfilterkanne, eine Cappuccino- und eine Espressomaschine

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