Kafir. Amed Sherwan

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kafir - Amed Sherwan страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Kafir - Amed Sherwan

Скачать книгу

machte die besten Dolma der Stadt. Wir höhlten das Gemüse aus, schnitten das Fruchtfleisch klein und mischten es mit Reis, um die Mischung anschließend in die ausgehöhlten Teile oder Weinblätter zu füllen.

      »Ist es so genug oder soll ich noch mehr Reis einfüllen?«, fragte ich und zeigte meiner Mutter mein Werk.

      »Das sieht gut aus. Aber du musst es nicht lernen. Deine Frau wird später für dich kochen«, sagte meine Mutter, während sie die befüllten Gemüseteile und Weinblätter mit routinierten Handgriffen zum Garen in den Topf legte. Viele Jahre später war ich froh darüber, dass ich mir meine Leibgerichte selber kochen konnte.

       DAS GEMÄLDE

      »Ich war letztens bei zwei Syrern zum Essen eingeladen und die haben mir tatsächlich Spaghetti mit Tomatensoße gemacht«, erzählt mir meine Nachbarin, die Studentin, entsetzt. »Ich dachte, die orientalische Küche sei so besonders.«

      »Das Kochen ist den Arabern genauso wenig in die Wiege gelegt wie den Franzosen. Die beiden haben vermutlich kein einziges Mal eine Küche von innen gesehen, bevor sie flüchten mussten.«

      »Aber du kochst gut!«, sagt sie und nimmt sich noch etwas. Wir essen europäisch, am Tisch mit Besteck und strikt getrennten Tellern. Und ich bezweifle, dass ihr ein echtes orientalisches Essen gefallen würde, wo jemand sich einfach etwas von ihrem Essen nehmen oder ihr etwas hinzupacken könnte.

      »Danke, aber das Tofugericht, das du gerade isst, ist kein kurdisches Nationalgericht«, entgegne ich leicht schnippisch. Ich bin es gewohnt, dass Leute mit mir über orientalische Kultur reden wollen. Dabei bin ich kein wirklich repräsentatives Exemplar meiner Art.

      »Das kurdische Essen ist in Syrien viel besser als im Irak«, wirft mein Freund, der Künstler, ein. Er hat halblanges braunes Haar und einen Bart und sieht aus wie ein kubanischer Freiheitskämpfer. Er trägt indische Hemden, schwärmt für tschechische Literatur und italienische Filme. Aber wenn es um Kurdistan geht, ist er sehr heimatverbunden.

      »Mach doch mal Musik an«, fordert er mich auf. Wir sitzen zu dritt in meiner Wohnung. Während viele meiner Freunde noch in Mehrbettzimmern in Unterkünften wohnen, habe ich eine eigene Wohnung. Eine wirklich schöne sogar, mit einer kleinen Küche und einem schönen Balkon. Ganz anders als die Bruchbuden, die einige Freunde angemietet haben. Sie haben viel Geld für die Vermittlung von Wohnungen bezahlt, in denen einem der Schimmelgeruch schon beim Betreten der Wohnung entgegenschlägt. Mit Verzweiflung lässt sich offenbar gut Geld machen.

      Ich verbinde mein Telefon mit einer Bluetoothbox und wähle einen zufälligen Mix mit Popmusik auf YouTube. »Warum hörst du nie Musik aus Kurdistan?«, fragt der Künstler. »Es gibt so schöne kurdische Musik.«

      Ich stöhne. »Ganz ehrlich? Ich bin nicht geflüchtet, um mir das Gedudel auch hier noch anhören zu müssen. Ich habe schon als Kind lieber koreanische Popmusik gehört«, sage ich und räume die Teller vom Tisch, während ich Oppa Gangnam Style singe.

      »Na, ob das besser ist?«, kichert die Studentin.

      Ich verschwinde schnell mit den Tellern in die Küche, schneide ein paar Limetten und mache drei Gläser mit Minz-Limetten-Limo und gehe wieder in das Wohnzimmer, wo die beiden sich unterhalten.

      »Hast du die Revolution in Rojava miterlebt?«, fragt die Studentin. »Ist sie wirklich so toll?«

      »Natürlich ist nach der Revolution nicht alles sofort gut gewesen, aber alles besser. Es hat uns wirklich Mut gemacht. Aber nun habe ich keine Hoffnung mehr. Wir haben die Welt vor dem Daesh geschützt und als Dank hat sie tatenlos zugeschaut, wie die Türkei mit deutschen Panzern in meine Stadt eingefallen ist und einen Großteil der Bevölkerung vertrieben hat. In meinem Haus wohnt nun ein arabischer Islamist, der ein kurdisches Mädchen mit Gewaltandrohung zu seiner Frau gemacht hat.«

      »Hast du noch Familie in Syrien?«

      »Ja, meine Oma lebt noch dort. Sie ist alt und möchte in ihrer Heimat sterben«, der Künstler holt seinen Tabak raus und dreht sich eine Zigarette. »Aber eigentlich gibt es diese Heimat gar nicht mehr. Ich bin heimatlos.«

      »Erdoğan nennt seinen Einmarsch übrigens einen Erfolg gegen die Ungläubigen«, sage ich. »Genau wie Saddam seinen Genozid an den Kurden im Irak einen Krieg gegen die Ungläubigen genannt hat.«

      »Tja, die Unterwerfung unter den Islam hat Kurdistan keine Sicherheit gebracht«, meint der Künstler.

      Der Künstler ist sehr schlau und sehr traurig. Vermutlich macht die Welt einen umso trauriger, je besser man sie versteht. Er steht auf, geht auf den Balkon und raucht seine Zigarette. Wir schauen ihm nach. Der Wind bläst seine braunen Haare aus dem Gesicht. Durch das Fenster betrachtet sieht er aus wie eins seiner eigenen Gemälde, voller Trauer und Verzweiflung, genau wie die Musik, die er so mag.

      »Und wie ist die Situation in deiner Heimat, im irakischen Teil?«, fragt die Studentin mich.

      »Da ist es ganz anders. Der kurdische Teil Iraks hat seit Saddams Niederlage weitgehende Selbstständigkeit. Ich komme aus Hewlêr, also Erbil, der Hauptstadt der Autonomieregion. Meine ganze Familie lebt noch da.«

       DIE SCHILDKRÖTE

      Die Erinnerungen an meine frühe Kindheit sind bruchstückhaft. Aber ich weiß noch, dass wir an einer Straßenecke wohnten, ganz nahe beim alten Basar und der uralten Zitadelle.

      »Die älteste Stadt der Welt«, erzählte mein Vater mir stolz, wenn er mit mir durch die alte Festung im Stadtkern spazierte.

      Wenige Schritte von unserem Zuhause lag der Salon des Friseurs, der meinem Vater, meinen Brüdern und mir die Haare schnitt und Neuigkeiten aus der Stadt erzählte. Ein paar Meter in die andere Richtung befand sich ein kleiner Laden, in dem wir Kinder uns manchmal Eis holten. Und an Freitagen mussten wir nicht weit gehen, um zu dem großen Tiermarkt der Stadt zu kommen. Da gab es Hühner, Puten und Gänse zu kaufen, aber auch wunderschöne bunte Vögel in Käfigen und Raubvögel, die auf Stangen angebunden waren. Manchmal konnte ich da auch Eichhörnchen, Füchse und sogar Affen bewundern. Und es gab Becken mit glitzernden Goldfischen, die man im Beutel oder Glas mit nach Hause nehmen konnte.

      Ich liebte die Tiere und bettelte so lange, bis mein Vater mir eines Tages erlaubte, mir eine kleine Schildkröte auszusuchen, die ich den ganzen Weg zurück nach Hause stolz in meinen Händen trug.

      Von der Straße vor unserem Zuhause ging es in den kleinen quadratischen Innenhof. Rechts vom Eingang war ein kleiner Garten. Weiter hinten lag ein Toilettenschuppen mit einer Stehtoilette voller Kakerlaken und einer kleinen Kanne mit Wasser zum Waschen und Spülen. Ich versuchte immer ein paar der vielen Schaben mit wegzuspülen. Aber sie krochen ständig wieder aus dem Loch hervor. Ich ekelte mich vor ihnen und weigerte mich, nachts im Dunkeln auf die Toilette zu gehen. Deswegen bekam ich von meiner Mutter eine Flasche ans Bett, in die ich stattdessen pinkeln konnte.

      Unser Wohnhaus lag in der linken Ecke des Innenhofs. Ich erinnere mich an die sandfarbenen Mauersteine an den Außenwänden und daran, wie der Putz daraus bröckelte. Auf der einen Seite des Hauses rankte eine Grünpflanze und davor schwirrten immer Bienen, die manchmal so träge waren, dass ich sie mit einem Glas einfangen und darin untersuchen konnte, bevor ich sie wieder freiließ.

      Im Haus gab es einen Waschraum und zwei Zimmer. In dem einen schliefen meine Eltern, in dem anderen wir Kinder.

Скачать книгу