Die Fieberkurve. Friedrich Glauser

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Die Fieberkurve - Friedrich  Glauser

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einer Mauer umgeben, in die eine Türe eingelassen war; wohin führte die Tür?… wohl auf eine Nebengasse – er rief dem Meitschi und es kam näher.

      Es war natürlich und selbstverständlich, daß der Wachtmeister das Meitschi sanft zu dem Lehnstuhl führte, in dem eine alte Frau friedlich schlummerte.

      Aber während die Tochter ihr winziges Nastuch zog und sich die Tränen trocknete, fiel dem Wachtmeister etwas auf:

      Die alte Frau im Lehnstuhl trug einen roten Schlafrock, der mit Kaffeeflecken übersät war. Aber an den Füßen trug sie hohe Schnürstiefel, Ausgehschuhe – nein! keinerlei Pantoffeln!

      Dann suchte Studer nach dem Gaszähler: Er hockte oben an der Wand, gleich neben der Wohnungstür, auf einem Brett und sah mit seinen Zifferblättern aus wie ein grünes und feistes und grimassierendes Gesicht.

      Aber der Haupthahn stand schief!…

      Er stand schief. Er bildete, wollte man genau sein, einen Winkel von fünfundvierzig Grad…

      Warum war er nur halb geöffnet? Warum nicht ganz?

      Im Grunde ging einen der ganze Fall ja nichts an. Man war Wachtmeister bei der Berner Fahndungspolizei, da sollten die Basler sehen, wie sie zu Schlag kamen. Übrigens, es schien ein Selbstmord zu sein, ein Selbstmord durch Leuchtgas – nichts Ungewöhnliches. Und nichts Ungewohntes…

      Studer ging in den Wohnraum, der zugleich Schlafzimmer war – die Couch in der Ecke! – und suchte nun nach dem Telephonbuch. Es lag auf dem Schreibtisch, neben einem ausgebreiteten Kartenspiel. Während er nach der Nummer der Sanitätspolizei suchte, dachte der Wachtmeister verschwommen, wie ungewöhnlich es eigentlich war, daß eine Selbstmörderin vor dem Freitode noch Patiencen legte… Da fiel ein Blatt Papier aus dem Telephonbuch zu Boden, Studer hob es auf, legte es neben das ausgebreitete Kartenspiel – merkwürdig, oben in der Ecke links, die Karten waren in vier Reihen ausgelegt, lag der Piquebub, der Schuflebuur… Studer stellte die Nummer ein. Es summte, summte. Der Sanitätspolizist hatte wohl ausgiebig Silvester gefeiert. Endlich meldete sich eine teigige Stimme. Studer gab Auskunft: Spalenberg 12, dritter Stock, Josepha Cleman-Hornuss. Selbstmord… Dann hängte er an.

      Er hielt das Papier noch in der Hand, das aus dem Telephonbuch zu Boden geflattert war. Es war vergilbt, zusammengefaltet, die unbeschriebene Seite nach außen. Studer öffnete es. – Eine Fieberkurve…

      HÔPITAL MILITAIRE DE FEZ.

      Nom: Cleman, Victor Alois. Profession: Géologue.

      Nationalité: Suisse.

      Entrée: 12/7/1917. – Paludisme.

      Ins Deutsche übertragen hieß dies, daß es sich um einen gewissen Cleman Victor Alois handelte; sein Beruf: Geologe; sein Heimatland: die Schweiz; das Datum seines Eintrittes: zwölfter Juli neunzehnhundertsiebenzehn. Und erkrankt war der Mann an Sumpffieber, an Malaria.

      Die Fieberkurve hatte steile Spitzen, sie lief vom 12. bis zum 30. Juli. Und hinter dem 30. Juli hatte ein Blaustift ein Kreuz gezeichnet. Am 30. Juli war also der Cleman Alois Victor, Geologe, Schweizer, gestorben.

      Cleman?… Cleman-Hornuss?… Spalenberg 12?…

      Studer zog sein Ringbuch. Da stand es, auf der ersten Seite des Weihnachtsgeschenkes!…

      »Meitschi!« rief Studer; das Fräulein im Pelzjackett schien über die Anrede nicht übermäßig erstaunt zu sein.

      »Los, Meitschi«, sagte Studer. Und es solle abhocken. Er hatte sein Ringbuch auf den Tisch gelegt und machte sich, Notizen während er das Mädchen ausfragte.

      Und es sah wirklich aus, als habe Wachtmeister Studer einen neuen Fall übernommen.

      »War das dein Vater?« fragte Studer und zeigte auf den Namen oben auf der Fieberkurve.

      Nicken.

      »Wie heißest?«

      »Marie… Marie Cleman.«

      »Also, ich bin der Wachtmeister Studer von Bern. Und der Mann, der dich heut morgen abgeholt hat, der hat mich um Schutz gebeten – falls etwas passiere in der Schweiz. Er hat mir ein Märli erzählt, aber an dem Märli ist eins wahr: deine Mutter ist tot.«

      Studer stockte. Er.dachte an das Pfeifen. Kein Pfeil. Kein Bolzen. Kein getupftes Band… Gas!… Gas pfiff auch, wenn es aus den Brennern strömte… Item!… Und vertiefte sich in die Fieberkurve.

      Am 18. hatte die Abend- und am 19. Juli die Morgentemperatur 37,25 betragen. Über diesem Strich war vermerkt:

      »Sulfate de quinine 2 km.«

      Seit wann gab man Chinin kilometerweise? Ein Schreibfehler? Wahrscheinlich handelte es sich um eine Einspritzung und statt 2 ccm, was die Abkürzung für Kubikzentimeter gewesen wäre, hatte irgendein Stoffel »km« geschrieben.

      Mira…

      »Dein Vater«, sagte Studer, »ist in Marokko gestorben. In Fez. Er hat dort, wie ich gehört habe, nach Erzen geschürft. Für die französische Regierung… Apropos, wer war der Mann, der dich heut am Bahnhof abgeholt hat?«

      »Mein Onkel Matthias«, sagte Marie erstaunt.

      »Stimmt«, sagte Studer. »Ich hab' ihn in Paris kennengelernt.«

      Schweigen. Der Wachtmeister saß hinter dem flachen Schreibtisch, bequem zurückgelehnt. Marie Cleman stand vor ihm und spielte mit ihrem Nastuch. In das Schweigen schrillte die Klingel des Telephons; Marie wollte aufstehen, aber Studer winkte ihr zu: sie solle nur sitzenbleiben. Er nahm den Hörer ab, sagte, wie er es von seinem Bureau im Amtshaus gewöhnt war: »Ja?«

      »Ist Frau Cleman da?«

      Eine unangenehme Stimme, schrill und laut.

      »Im Augenblick nicht, soll ich etwas ausrichten?« fragte Studer.

      »Nein! Nein! Übrigens weiß ich ja, daß Frau Cleman tot ist. Mich erwischen Sie nicht. Sie sind wohl von der Polizei, Mann? Hahahaha… « Ein richtiges Schauspielerlachen! Der Mann sprach die »Ha«. – Und dann knackte es im Hörer.

      »Wer war's?« fragte Marie ängstlich.

      »Ein Löli!« sagte Studer trocken. Und fragte gleich darauf – war es die Stimme, die ihn auf den Gedanken gebracht hatte –: »Wo ist dein Onkel Matthias?«

      »Die katholischen Priester«, meinte Marie müde, »müssen jeden Morgen ihre Messe lesen… Wo sie auch sind.

      Sonst brauchen sie, glaub' ich, einen Dispens… Vom Papst – oder vom Bischof – ich weiß nicht… « Sie seufzte, zog die Fieberkurve zu sich heran und begann sie eifrig zu studieren.

      »Was ist das?« fragte sie plötzlich und deutete auf das blaue Kreuz.

      »Das?« Studer stand hinter dem Mädchen. »Das wird wohl der Todestag deines Vaters sein.«

      »Nein!« Marie schrie das Wort. Dann fuhr sie ruhiger fort: »Mein Vater ist am 20. Juli gestorben. Ich hab' selbst den Totenschein gesehen und den Brief vom General! Am 20. Juli 1917 ist mein Vater gestorben.«

      Sie

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