Standgericht. Franz Taut
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»Was?«
»Oh – wie wir alle.« Sie sprach überraschend gut deutsch, wenn auch mit einem rollend-weichen französischen Akzent.
»Aber so’n Baby braucht doch Milch, oder?«
Sie nickte, und er wartete, dass sie ihn jetzt, da er ihr das Wort in den Mund gelegt hatte, um Milch für das Kind bitten würde – und er ärgerte sich, dass sie es nicht tat. Zugleich und ungewollt stieg seine Achtung vor ihr. Abrupt drehte er sich um, ging ein paar Schritte weiter, zögerte und sagte wie beiläufig über die Schulter:
»Kommen Sie nachher zu meinem Wagen. Ich gebe Ihnen Milch, Büchsenmilch. Kann sie der Kleine auch trinken?«
Sie nickte. Und als er weiterging, hörte er hinter sich ihr leises, überraschtes und dankbares: »Merci, Monsieur.«
Etwas später holte sich Jacqueline Doignon eine Dose Milch für ihr Kind. Als sie auf dem Rückweg war, übersprangen zwei amerikanische Jagdbomber den bewaldeten Höhenrücken im Südwesten und griffen die Baustelle an. Die Arbeitenden warfen die Schanzgeräte von sich und pressten sich auf die Erde. Jacqueline begann zu laufen. Die Milchdose hielt sie umklammert, als müsste sie sie mit dem eigenen Leib schützen, lief, sprang über die seichten Gräben, lief, stolperte, fiel hin, stand auf, lief. Sie war die Einzige, die sich nicht hingeworfen hatte, das Gesicht und die Hände nicht in die Erde wühlte, um Rettung betend und voller Todesangst das Ende erwartend.
Der erste Jagdbomber warf seine Bomben. Dann der zweite. Jacqueline kümmerte sich nicht um das heulende Rauschen. Sie lief zu ihrem Kind, tauchte ein in den dichten Staubvorhang, den die Bomben emporgewirbelt hatten, und wusste nicht um ihr eigenes Schluchzen, um ihre Tränen, und sie hörte sich selbst rufen: »Ich komme, mon petit, ich komme – gleich!«
Doch dann drehten die Flugzeuge ab und verschwanden hinter dem Höhenrücken. Die Menschen hoben die Köpfe und sahen ihnen ungläubig nach: Es war wie ein Wunder. Sie lebten noch.
Als Jacqueline sich halb ohnmächtig, mit wild schlagendem Herzen neben ihr Kind warf und mit zitternden Fingern über das kleine Gesichtchen strich, betete sie, dass ihm nichts geschehen sein möge. Das Kind schlief, als wäre nichts geschehen.
In der Scheune war es kalt und zugig. Durch die dünnen Bretterwände drang das Poltern des Artilleriefeuers – und war nicht das MG-Geknatter merklich näher gekommen?
»Sie sind bald hier«, sagte Marie Duhamel. »Hörst du, Jacqueline?«
»Ja«, sagte Jacqueline. »Morgen … vielleicht übermorgen.«
»Aber wenn sie kommen, sind wir nicht mehr hier«, sagte eine bittere, heisere Männerstimme aus der tiefen Dunkelheit. Jacqueline kannte sie. Es war Alfred Bonvier, der alte Mann mit den langen grauen Haaren und dem verkniffenen Gesicht.
»Schläft Georges?«, fragte Marie.
»Er schläft«, antwortete Jacqueline.
»Der hat’s gut«, sagte Bonviers Stimme. »Er weiß nichts. Er weiß nicht mal … ah – diese Verbrecher!«
»Hör endlich auf!«, sagte eine tiefe Männerstimme – war’s nicht Pelegrin? –, aber Bonvier sprach unbeirrbar, in sich und seine Qual und seine Hoffnungslosigkeit versunken, weiter: »Wie können diese Verbrecher fast die ganze Welt … wenn ich’s nur überleben würde!«
»Was dann?«, fragte die tiefe Stimme.
»Das fragst du noch?«
»Nicht alle sind schlecht«, warf Marie ein.
»Nein, nicht alle sind schlecht.« Jacqueline drückte das kleine, warme, ruhig atmende Bündel an sich. Aber sie dachte dabei nicht an Wenzel und an die Milch, die er ihr für den Kleinen gegeben hatte. Vor ihren Augen erschien das Bild einer sonnenbeschienenen Straße, eine lange Kolonne, sie selbst mitten drin, Durst, Hunger, schmerzende Arme und Füße, tanzende, flimmernde, bunte Kreise und Punkte, die ihr die Schwäche vor die Augen zauberte, Rast am Straßenrand, schreiende SD-Posten, das Wimmern des Kindes, der Wunsch nach Ruhe, Tod … wann endlich wird dieses Kreuz von uns genommen? Und dann das Bild eines hageren, jungen Männergesichts, das sich über sie gebeugt und gefragt hatte: »Ist Ihnen schlecht? Haben Sie Hunger?«
»Nein … das Kind«, hatte sie gesagt.
»Himmel – das Kind! Wie kommen Sie hierher?«
Erst jetzt hatte sie gesehen, dass dieses Gesicht einem deutschen Feldwebel gehörte. Dann war sein Gesicht plötzlich verschwunden gewesen. Ihr hatte es leid getan, es war ein hartes und doch wiederum gutes Gesicht gewesen, sie hatte sich noch verlassener gefühlt und zu weinen begonnen, aber plötzlich war der Feldwebel wieder da gewesen und hatte mit einer scheuen Geste einen prall gefüllten Brotbeutel auf ihre Knie gelegt und zu dem fluchenden Posten gesagt:
»Wenn du ihr das wegnimmst, dann setzt’s was!« Und zu ihr: »Brot, ein paar Konserven. Milch. Für das Kind, ja?« Sie hatte keine Antwort geben können.
»Wie heißt das Kind?«, hatte er gefragt.
»Georges.«
Und eine fremde Stimme hatte gesagt: »Komm jetzt, Klingler! Wir müssen weiter!«
»Ja, ja.« Und dann: »Es tut mir leid …«
Klingler hat er geheißen, Klingler, ein einfacher deutscher Name.
»Nein, nicht alle sind schlecht!«, wiederholte Jacqueline leise.
»Du denkst an diesen Feldwebel, was?« Bonviers Stimme klang böse. »Du solltest lieber an deinen Mann denken!«
»Halt den Mund!«, zischte Marie. »Lass sie endlich in Frieden!«
»Und Milch hat sie auch bekommen«, brummte Bonvier. »Haben wir Milch bekommen? Oh, es ist kalt, mein Gott, wie kalt es ist!«
»Armer alter Mann«, murmelte Marie. Sie war die Frau eines Arztes und kümmerte sich um alle und besonders um Jacqueline und den Kleinen.
Schritte kamen näher, dann ging die Tür auf, und die Stimme des Rottenführers Uscher rief in die Finsternis: »Doignon! Jacqueline Doignon!«
Stille.
»Verflucht … Jacqueline Doignon!«
»Aha – schon wieder!«, sagte Bonvier.
»Pass auf Georges auf, Marie!«
Jacqueline küsste das kleine, warme Gesichtchen und legte den Kleinen in die suchenden ausgestreckten Arme der anderen. Dann stand sie auf und ging hinaus, hinter sich die verbissene, heisere Stimme Bonviers: »Natürlich … Hure! Milch …!«
»Wie geht’s dem Kind?«, fragte Wenzel.
»Merci, gut«, sagte Jacqueline. Ihr Gesicht schimmerte weiß in der tiefen Dämmerung.
»Hat ihm die Milch geschmeckt?«
Jacqueline nickte.
»Hier hast du noch eine Dose.«
Jacqueline rührte sich nicht.
»Na,