Standgericht. Franz Taut
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»Wir sind okay, er meint – in Ordnung«, antwortete der Erste gerührt.
»Wo hast du denn Amerikanisch gelernt?«
»Mal hier, mal dort was aufgeschnappt … Mit der Zeit lernt man’s.«
Die Sonne schien warm und freundlich durch die dünne Dunstglocke. Ihre Schritte wirbelten Staubwölkchen auf. Der erste Landesschütze hustete. »Verdammter Staub!« Und dann zum Amerikaner, während er auf dessen gebrochene Hand zeigte: »Tut’s weh?«
»Weh?«
»Ob’s dir weh tut? Wir sind bald in Aachen. Dort kommst du zum Arzt. Verstehen? Arzt, Doktor.«
»Oh, yes, doctor. Thanks.«
Jetzt bogen sie um die Waldzunge. Und hier wurden sie bereits erwartet.
Würselen. Das Ortsschild an der Straße stand schief. Häuser kamen in Sicht, Ruinen. Am Ortseingang stand ein Feldgendarm. Feldwebel Klingler hielt an und fragte nach dem Hauptquartier des Armeekorps.
»Hier ist nur ein Nachkommando«, sagte der Feldgendarm. »Das Generalkommando liegt in Niederzier bei Jülich. Gestern Abend sind sie abgerückt. Bist du ein Kurier?«
»Befehlsempfänger«, sagte Klingler.
»Wenn bloß diese verdammten Jabos nicht wären!«, seufzte der Feldgendarm und suchte mit den Augen noch immer den Himmel ab, als Klingler schon längst weitergefahren war.
Niederzier. Vor dem Haus, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift »Chef und Ia« befestigt war, stieg Klingler von der Maschine. Er klopfte sich den Staub von der Uniform und ging auf den Posten zu, der vor dem Haus stand. Im gleichen Augenblick fuhr ein großer Kübelwagen mit einem Divisionsstander vor. Auf dem weißen Mittelfeld des schwarz-weiß-roten Dreiecks war ein springender Windhund aufgemalt. Ein General sprang vom Wagen und ging eilig zum Hauseingang. Der Posten präsentierte. Klingler stand stramm, aber der General schien weder ihn noch den Posten zu beachten. Sein hageres Gesicht schien bleich, die Lippen waren schmal.
»War das nicht Schwerin?«, fragte Klingler.
»116. Panzerdivision! Wo wollen Sie hin?«
»Ja! Genau dorthin.«
»Anmelden«, sagte der Posten mit der ganzen Überheblichkeit einfacher Soldaten, die sich ständig in der Umgebung rotgestreifter Hosen bewegen.
Also meldete sich Klingler an. Während der Hauptmann von der Anmeldung beim Ia war und Klingler wartete, wurde draußen auf dem Gang eine klare, kalte Stimme laut: »Eine unglaubliche Schweinerei! Jagen die Leute auf die Straße. Frauen! Kinder! Und die Amerikaner funken dazwischen. Wie konnte das geschehen?«
Eine leise, unverständliche Antwort. Und dann wieder die erste Stimme: »Hier muss Ordnung geschaffen werden. Wie kann ich mit meiner Division operieren, wenn alle Straßen verstopft sind? Und das Allerschönste: Die Parteileitung hat sich abgesetzt. Natürlich. Der Kreisleiter ist unauffindbar …«
Eine Tür knallte.
»Der ist aber geladen!«, sagte der Schreiber, ein Unteroffizier.
»War’s der General?«
Der Schreiber nickte. »Schwerin! Ist nicht gut auf die Goldfasane zu sprechen.«
»Ich auch nicht«, sagte Klingler und dachte an den politischen Leiter, an die Frauen mit den Knüppeln und an den Amerikaner – an sein Lächeln und an sein »Thanks«. Ob die Landesschützen ihn glücklich nach Aachen gebracht hatten?
Dann wurde Klingler vorgelassen. Der Ia, ein Major mit den karmesinroten Streifen der Generalstäbler an der Hose, war offenbar froh, dass einer aus der Ecke kam, zu der man keine Verbindung hatte. Bis die 116. Panzerdivision unter Graf Schwerin das Kommando über sämtliche Verteidigungstruppen um Aachen übernahm, war die »Kampfgruppe Geis« durch einen der unerforschlichen Entschlüsse der Militärbürokratie dem Armeekorps unterstellt worden.
Der Major empfing Klingler mit steifer, kühler Höflichkeit. Sein schmales, kluges Gesicht war verschlossen, der Blick seiner hellen Augen unpersönlich – beste preußische Offiziersschule. Mit abwesender Gebärde strich er über das sorgfältig gescheitelte Haar, während Klingler meldete und über seinen Auftrag sprach. Als er fertig war, nickte der Major, ging zu dem großen Kartentisch an der Wand. Der sanfte Luftzug, den seine Bewegungen verursachten, trug Klingler den feinen Duft nach guten Zigaretten, nach Leder, Schuhcreme und Kölnisch Wasser zu.
»Gut, dass Sie da sind, Feldwebel. Die Leitungen zu Ihrer Kampfgruppe werden zwar durchgesehen, aber – nun, es klappt eben nicht, wie es müsste. Da ist die Sache mit dem Bunker 222. Kennen Sie ihn?«
»Nein, Herr Major.«
»Er liegt unmittelbar neben Ihrem Abschnitt.«
»Ich war drei Tage lang nicht bei meiner Einheit, Herr Major.«
»Sondern?«
»In amerikanischer Gefangenschaft.«
»Ah!« Der Major hob die Augenbrauen. »Und da sind Sie?«
»Jawohl, Herr Major.«
»Alle Achtung! Nun – also der Bunker 222.«
Der Major tippte mit dem Zeigefinger auf die Wandkarte. »Hier liegt er. Sie können selbst sehen: Wenn die Amerikaner hier durchkommen, haben sie freie Fahrt nach Aachen. Bunker 222 ist gewissermaßen der Korken in der Flasche. Noch hält er. Wenn er ’raus ist …«
Klingler sah das schwarze Dreieck vor der Stadt, das den Bunker markierte, sah die roten Kreidelinien, die die Amerikaner bedeuteten, fast ganz herum um die Stadt … Das schwarze Dreieck fast wie eine einsame Grabmarkierung inmitten des grellen Rot … Er verstand.
Der Major hob die Stimme: »Sagen Sie Herrn Hauptmann Geis Folgendes: Bunker 222 wird in seinen Abschnitt einbezogen und von seiner Kampfgruppe übernommen. Ausführung heute Abend 20 Uhr. Die Kampfgruppe stellt einen Portepeeträger und mindestens einen Zug Grenadiere als Ablösung für die derzeitige Bunkerbesatzung. Reserven für die Ausgefallenen sind bereitzuhalten. Ist das klar?«
»Jawohl, Herr Major.«
»Ich wiederhole: Dem Bunker kommt eine Schlüsselposition zu. Er muss gehalten werden. Zur Zeit sitzt eine Notbesatzung drin. Junge, unerfahrene Leute. Nach einem Funkspruch sind sie jetzt schon unter leichtem amerikanischem Artilleriebeschuss bedenklich durchgedreht.«
»Und weitere Befehle für Herrn Hauptmann?«, fragte Klingler.
»Es gibt keine weiteren Befehle …« Er machte eine Pause. Dann sagte er: »Und passen Sie unterwegs auf, dass Sie nicht unter die Jabos geraten.«
»Jawohl, Herr Major.«
Während Klingler draußen sein Motorrad bestieg, dachte er: Nicht unter Jabos geraten. Es empfiehlt sich, dem Untergebenen nach Erteilung eines gefährlichen Auftrags ein persönliches Wort zum Abschied mitzugeben, das die innere Verbundenheit der Truppe sowie Anteilnahme an seinem persönlichen Schicksal manifestiert.