Wenn alles in Scherben fällt. F. John-Ferrer

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Wenn alles in Scherben fällt - F. John-Ferrer Zeitzeugen

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Baugenehmigung ist da«, erklärt Wendt. »Keine Beschränkung in Baustoffen.« Er legt ihr das Schreiben vor. »Ich weiß bloß nicht, woher wir die Arbeitskräfte nehmen sollen, Fräulein Inge. Wissen Sie einen Rat?«

      Das langhaarige, blonde Fräulein mit den Nixenaugen seufzt: »Das heißt also, dass ich wieder einmal mit dem Parteigenossen Brinkmann vom Arbeitsamt verhandeln muss?«

      Wendt legt seiner bildhübschen Sekretärin die Hand auf die Schulter. »Ich werde Sie darum bitten müssen, Inge. Ich weiß ja«, fügt er sanft und verständnisvoll hinzu, »dass es Ihnen nicht leichtfällt, mit diesem Nieselpriem zu sprechen, Inge. Aber bedenken Sie, dass sich dreihundert Schulkinder freuen würden, wenn sie ein neues Schulhaus bekämen.«

      »Der Zweck soll die Mittel heiligen«, lächelt Wendts Sekretärin. Und nach einem zweiten Seufzer: »Na schön. Ich will es mal probieren.«

      Alois Brinkmann ist der Ressortchef für Arbeitsbeschaffung. Inge weiß, dass sie bei dem schwindsüchtig aussehenden Parteigenossen einen Stein im Brett hat. Sie treffen sich gelegentlich am Wannsee. Brinkmann ist ehrenamtlicher Schriftführer des Segelklubs, und Inge entzückt den im Aktenstaub ergrauten Parteigenossen immer wieder mit ihrer attraktiven Figur und ihrem lächelnden Charme – einem Charme, dem sich auch Wendt nur schwer entziehen kann, und aus dem er immer wieder beruflichen Nutzen zieht.

      »Brinkmännchen, ich brauche wieder etwas«, flötet Inge zehn Minuten später in den Hörer.

      »Ich habe es geahnt«, stöhnt die Stimme am anderen Drahtende.

      »Ausschachter, Brinkmännchen, so viele wie möglich. Also, was können Sie uns schicken?«

      »Nichts!«

      Inge runzelt die Stirn. »Machen Sie mich nicht brotlos, Brinkmännchen. Wir brauchen dringend Arbeitskräfte.«

      »Ich habe nichts«, jammert der Parteigenosse Brinkmann.

      »Dann zwingen Sie mich dazu, aus dem Jachtklub auszutreten und mich beim weiblichen Arbeitsdienst zu melden. Ich werde in drei Monaten eine dicke Tussi sein und mich nur noch an einsamen Strandwinkeln im Badeanzug blicken lassen dürfen.«

      Pause! Brinkmann sitzt mit geschlossenen Augen an seinem Schreibtisch und träumt von warmen Sommertagen und einem Mädchen in weißem Segeldress.

      »Sind Sie noch da, Brinkmännchen?«, fragt die helle Mädchenstimme in Wendts Vorzimmer.

      »Ja, ja, Inge«, beeilt sich Brinkmann zu versichern.

      »Also, wie schaut es aus damit?« Es klingt wie ein Ultimatum.

      Brinkmann fährt sich mit der Hand über das schlaffe Beamtengesicht.

      »Gut. Ich schicke Ihnen etwas zu. Morgen früh. Sie dürfen aber nicht erschrecken, Inge. Ich kann nur einen Schub Zuchthäusler freimachen. Wenn Sie nichts auf dem Grundstück haben, was die klauen könnten, können Sie es ja mal mit den Kerlen probieren.«

      Inge Grotius nagt an der Unterlippe. Sie ist plötzlich sehr nachdenklich geworden. Sie bedankt sich zerstreut und legt auf.

      Zuchthäusler! Das Wort schlägt jäh eine Brücke in eine schönere Vergangenheit. Ein Name taucht in ihrer Erinnerung auf: Helmut Kalmeder.

      Inge Grotius zündet sich eine Zigarette an, schnippt gedankenvoll das Streichholz aus, stößt mit bebenden Nasenflügeln den Rauch aus, schaut auf die Schreibmaschinentasten nieder und schlägt gedankenverloren den Buchstaben H an. H wie Helmut.

      Damals, vor vier Jahren … An einem verregneten Abend ist es gewesen. Helmut Kalmeder hat unter der Normaluhr im Park gewartet. Nass ist sein Gesicht gewesen, aber es hat gestrahlt, als sie gekommen ist.

      »Entschuldige bitte«, hat sie gesagt, »ich habe mich um eine Viertelstunde verspätet.«

      »Ich warte gern auf dich!« Mit diesen Worten hat er sie in die Arme gezogen und geflüstert: »Ich liebe dich, Inge …«

      Sie sind durch den einsamen Park gegangen. Der Regen troff von den Bäumen. Die Bänke waren zu nass, um sich hinzusetzen. Helmut hat erzählt, während sie langsam den Kiesweg entlangspaziert sind, hat ihren Arm gehalten, ihre Hand gestreichelt.

      »Komm mit zum Maxe«, hat er gesagt. »Ein paar Kommilitonen sind dort. Ich werde einen Vortrag über Russland halten.«

      »Du wirst über Lenin, Marx und Engels sprechen?«, hat sie gefragt.

      »Vielleicht«, hat er lächelnd erwidert. »Oder hörst du es nicht gern?«

      »Nein.«

      Da hat er sie geküsst, und unter diesem Kuss hätte sie beinahe ja gesagt.

      Dann ist sie mit zu Maxe gegangen, in ein verqualmtes Kellerlokal. Helmuts Kollegen sind da gewesen, haben Bier getrunken und das Paar mit Hallo begrüßt …

      Wendts Sekretärin vergisst, an der Zigarette zu ziehen, schaut zum Fenster hinaus, an das der Regen klopft. Wie lange ist es her, dass sie Helmut aus den Augen verloren hat? Wie lange doch? Drei, vier Jahre. Oder mehr? Damals nachts, in dem engen, verräucherten Lokal: Helmut hat auf dem Tisch gestanden und im Stil von »Seid umschlungen, Millionen« von einer utopischen Weltanschauung geschwärmt.

      Sie haben viel getrunken an diesem Abend. Die jungen Männer sind immer lauter geworden. Einer ist aufgestanden und hat gerufen: »Wir verheiraten euch! Los, kniet nieder, fasst euch an den Händen und sprecht mir nach …«

      Ein Unfug zu nächtlicher Stunde! Ein Frevel an etwas Heiligem! Eine Nacht voller Sünde. Am Morgen das Erwachen in einem leeren Bett. Helmut ist fort gewesen.

      Sie hat erst eine Woche später erfahren, dass man ihn verhaftet hat, dass er einen SD-Mann niedergeschlagen hat und dass er mit fünf Jahren Zuchthaus bestraft worden ist.

      Und dann? Das blonde Mädchen vor der Schreibmaschine schließt die Augen, legt den Kopf in den Nacken und denkt nach.

      Dann ist der andere gekommen, ein Offizier. Gleich in den ersten Kriegstagen ist er in Frankreich gefallen. Der nächste hat Bertram geheißen und ist Flieger gewesen. Auch er ist gestorben – gestorben wie die Erinnerung an jene verrückte Nacht in einer verräucherten Kaschemme.

      Die Tür geht auf. Wendt kommt herein.

      »Na, was ist? Kriegen wir Leute?«, fragt er.

      »Ja. Brinkmann schickt uns Zuchthäusler. Wir können in Berlin-Zehlendorf anfangen.«

      Wendt reibt sich die Hände. »Fein, fein! Großartig gemacht, Ingelein. Ich werde Sie für einen Orden vorschlagen.«

      »Danke«, sagt sie gleichgültig und beginnt das Antwortschreiben an den Generalinspekteur zu tippen.

      Am nächsten Morgen trifft der Schub Zuchthäusler ein. Man bringt sie in einem Lkw, bewacht von Justizbeamten.

      Um zehn fährt Wendt mit Inge Grotius zur Baustelle hinaus. Es regnet in Strömen. Im Grau des Tages stehen zwölf gestreifte Gestalten und schauen mit stumpfen Mienen herüber.

      Inge bleibt im Wagen sitzen. Um Gottes willen, denkt sie beklommen, sieht Helmut inzwischen auch so aus wie diese dort?

      An

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