Wenn alles in Scherben fällt. F. John-Ferrer

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Wenn alles in Scherben fällt - F. John-Ferrer Zeitzeugen

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Ausgelassenheit verbunden war.

      »Ich heiße Hauptfeldwebel Schimanek«, stellt er sich mit ausgeschriener Stimme vor. »Und jetzt werde ich euch etwas sagen: Für mich seid ihr alle Sauköpfe! Verstanden?«

      »Jawohl«, murmelt der Haufen.

      »Ab heute«, fährt Spieß Schimanek fort, »seid ihr bei der 3. Kompanie. Das Bataillon heißt 999. Unser taktisches Zeichen ist ein V mit einem Strich darunter. Das heißt für euch: Strich unter die Vergangenheit. Ist das jedem klar?«

      »Jawohl!«

      »Hier seid ihr alle gleich«, verkündet Schimanek weiter. Hinter ihm steht das Stammpersonal und nickt der Rangordnung nach. »Wir machen jeden zur Schnecke, der glaubt, hier seine Schweinereien weitermachen zu können. Eine bedingte Wehrwürdigkeit gibt es bei uns nicht. Das ist eine Floskel, die ihr euch gleich aus dem Kopf schlagen müsst. Soldbücher kriegt ihr erst, wenn ihr bewiesen habt, dass ihr Soldaten seid. Im Übrigen verweise ich auf den Aushang am schwarzen Brett. Dort steht alles, was ihr wissen müsst. Eure Ausbildung wird hart, aber gerecht sein! Ich bin dafür verantwortlich, dass …«

      Ein kleiner Zwischenfall unterbricht seine Ausführungen. Im hintersten Glied der Sträflinge nieste jemand mit langgezogenem »Hatschiii«.

      »Wer war das?«, brüllt Schimanek.

      Eine zebragestreifte Gestalt tritt vor, eine ungeschlachte Figur mit dümmlichem Gesicht, abstehenden Ohren und hängenden Gorillaarmen, Xaver Bunser heißt der Mann. Er hat vor vier Jahren zwei Bauernhöfe angezündet, weil er als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr von Kornbach auf Brände gewartet hat, und es einfach nirgendwo hat brennen wollen. Da hat der Xaver selbst Feuer gelegt, ist als Erster an der Brandstätte gewesen und hat sich so fleißig am Löschen beteiligt, dass er eine Belobigung vom Feuerwehrhauptmann bekommen hat. Hernach, im Wirtshaus, als man angefangen hat, den Brand in der Kehle zu löschen, hat der Xaver nach der zwölften Halben angefangen, von seiner Brandstiftung zu erzählen. Man hat ihn ordentlich verdroschen, und vom Gericht ist er zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

      Xaver Bunser ist ein Klotz von einem Kerl, und wenn er sein asymmetrisches Grinsen aufsetzt, bringt es kein noch so grober Vollzugsbeamter fertig, ihm den Knüppel überzuziehen.

      »Du Saukopp!«, brüllt Schimanek den Brandstifter aus Niederbayern an. »Willst du mich verarschen?«

      »Na, na«, wehrt der Xaver kopfschüttelnd ab, »’s war halt so saukalt im Waggon, Herr Major.«

      Das Stammpersonal feixt. Spieß Schimanek schielt den Kerl misstrauisch an. Da explodiert ein zweiter Nieser. Schimanek weicht erschrocken zurück. Die Sträflinge brechen in ein wieherndes Gelächter aus, und das macht Schimanek so böse, dass er rot anläuft.

      »Aus!«, brüllt er.

      Es wird still. Auch der Brandstifter wagt es nicht, sein entwaffnendes Grinsen aufzustecken.

      Schimaneks Blick wird schmal. »Das war sehr lustig«, sagte er mit drohender Stimme. »Ich werde euch Zeit geben, euch zu beruhigen. Scher dich weg, du Saukopp!«, blökt er Bunser an.

      Bunser rennt los, verliert einen Holzschuh, tritt in den Schmutz, hüpft so komisch herum, dass der Haufen noch einmal zu lachen beginnt.

      »Aus!«, brüllt Schimanek zum zweiten Mal und dann: »Stillgestanden!«

      Die Sträflinge zucken zusammen. Schimanek dreht sich zum Stammpersonal um: »Bitte wegtreten«.

      Mit kurzen, ärgerlichen Schritten geht er in die Baracke zurück.

      Es ist halb elf Uhr vormittags. Um zwölf stehen die Sträflinge noch immer. Es fängt an zu schneien. Der Wind ist eisig. Um halb zwei steht der jämmerliche Menschenhaufen noch immer in leidlich strammer Haltung auf dem Appellplatz. Niemand kümmert sich um ihn. Der Schnee fällt auf ihn nieder.

      Gegen drei Uhr fegt ein richtiger Schneesturm über den Heuberg und lässt die grimmigen Flüche der Gepeinigten erstarren, tötet jeden Verzweiflungsgedanken, friert die Hirne ein.

      Um vier Uhr fallen die Ersten um und bleiben im matschigen Schnee liegen.

      Erst um fünf taucht Feldwebel Helm auf und treibt den zusammengefrorenen, halbtoten Menschenhaufen in die eiskalten Unterkünfte.

      Der Heuberg erwacht. Die Normaluhr zeigt sechs. In den Baracken gellen die Trillerpfeifen.

      »Aufstehen!«

      Der Tag beginnt mit Gebrüll, Getrampel und Türenschlagen. Die lahmen Gestalten werden von den Strohsäcken gescheucht.

      »Seid ihr noch nicht in den Waschräumen, ihr Drecksäcke?! Laufschritt, marsch, marsch!«

      Im Barackenflur klappern die Holzpantinen. Halbnackte Knochengerüste drängeln in die eiskalten Waschräume. Die Wasserhähne zischen. Vor dem Betonbecken stehen dichtgedrängt die Gestalten des Elends, des Hungers, der Entbehrung.

      Auf jedem zweiten Rücken kann man die Narben viehischer Schläge sehen. Jeder Dritte ist tätowiert. Jeder Fünfte leidet an schwärender Furunkulose.

      Emil Schlegel, der Mörder, hat sich einen Spaß daraus gemacht, sich die witzigen Worte »Dieses Haupt gehört dem Henker« in die Nackenhaut ritzen zu lassen. Fragt man ihn, wie es zugegangen ist, als er in Hamburg eine jüdische Frau mit einem Bleirohr niedergeschlagen und ausgeraubt hat, erzählt er es bereitwillig und beschließt seine detaillierte Schilderung mit dem Seufzer: »Es war blöd, dass ich mir ’ne Jüdische vorgenommen hab. Ich hätte mir denken können, dass da die Gestapo nicht weit weg ist.«

      Der Postdieb rasiert sich neben dem Tresorknacker, der Bibelforscher neben dem Sittenstrolch, der Defätist zwischen zwei Jugendlichen aus dem Dessauer Gefängnis. Die Kriminellen schneiden auf dem Heuberg besser ab als die Politischen, das ist eine längst bekannte Tatsache. Das Kalfaktorentum blüht, der Spitzeldienst bringt ein paar Vergünstigungen ein.

      Auf dem Heuberg gibt es kein Moralschema, und deshalb hat Pfarrer Kranz recht, wenn er seinen Freund Helmut Kalmeder beschwört: »Auch hier darfst du keinem trauen.«

      Der Student, gleich gestern Abend als Stubenältester eingeteilt, weiß längst, dass er sich vor Emil Schlegel in Acht nehmen muss, dass der Postdieb Karl Zenker ein guter Kerl ist, der nur gestohlen hat, weil er seinem kranken Töchterchen eine Freude hat bereiten wollen, dass Alfons Schnittgen, der Bibelforscher, noch am Erschießungspfahl enden wird, dass Xaver Bunser, der Halbidiot, harmlos ist, dass man sich aber vor Hansi Weiß, dem Taschendieb, hüten muss und dass der Rest der Stubenbelegschaft sich aus mehr oder weniger zwielichtigen Charakteren zusammensetzt – Charakteren, die sich erst in den nächsten Wochen als zuverlässig oder unzuverlässig herausstellen werden.

      Der U. v. D. steht breitbeinig an der Tür und wartet. Dann ein Pfiff. »Auf die Stuben, marsch, marsch!«

      Alles geschieht hier im Laufschritt, auch das Kaffeeholen. Für Stube 10 besorgt das Karl Zenker, der unredliche Postler. Im Laufschritt geht es zur Küchenbaracke hinüber.

      Unteroffizier Pratsch, ein Bulle mit feistem Pickelgesicht, lauert mit der Kelle in der Hand auf die Neuen.

      »Geht bloß auf Vordermann, ihr Schweinsköppe!« Er taucht die Kelle in den dampfenden Kessel. »Dass mir ja kein Tropfen danebengeht!«

      Pratsch ist bekannt dafür, dass er die Strafsoldaten

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