Wenn alles in Scherben fällt. F. John-Ferrer

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Читать онлайн книгу Wenn alles in Scherben fällt - F. John-Ferrer страница 6

Wenn alles in Scherben fällt - F. John-Ferrer Zeitzeugen

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Karl Zenker zittert, als er die Zinnkanne hinhält. Pratsch schüttet ihm eine Kelle voll heißem Kaffee über die Hand.

      »Pass doch auf, du Dussel!«, entschlüpft es Zenker.

      »Was hast du gesagt?«, brüllt Pratsch. »Was hast du gesagt?«

      Er hebt die Kelle und haut sie Zenker dreimal über den Kopf. Die Kelle ist verbogen. Der überdimensionale Kochlöffel wird besser halten. Und den haut Pratsch dem Postler über Kopf und Buckel.

      Zenker schreit zweimal auf. Erst als er zusammengekrümmt und mit blutendem Schädel auf den Fliesen liegt, erwacht Pratsch aus seinem Prügelrausch, legt den Kochlöffel beiseite und grunzt: »Der Nächste.«

      Die Stube 10 wartet an diesem ersten Morgen vergeblich auf die Kaffeekanne. Zenker liegt mit angeknackter Hirnschale im Revier. Das Brot muss trocken hinuntergewürgt werden. Dann gellt die Trillerpfeife.

      »Raustreten zum Frühappell!«

      Der Neuschnee färbt den Morgen bleich und fremd. Die Spuren der Kaffeeholer führen zur Küchenbaracke hinüber und wieder zurück.

      U. v. D. Schmitt geht alles zu langsam. »An den Zaun, marsch, marsch! Hinlegen, ihr Schweine! Schnauze in den Dreck! Robben!«

      Der Haufen rennt los, wirft sich hin, kriecht im matschigen Schnee.

      »Morgenstund’ hat Gold im Mund«, höhnt Kalmeder und hilft Pfarrer Kranz beim Aufstehen. »Hinlegen! Auf marsch, marsch!«

      Atemlos kehrt der Haufen zurück, formiert sich wieder, taumelt, hält sich gegenseitig aufrecht.

      »Mensch Meier«, keucht Emil Schlegel, »det sind ja janz scheen brutale Methoden, da war ma ja’s Zuchthaus noch lieba.«

      Hauptfeldwebel Schimanek sitzt noch beim Frühstück. Weißbrot, Landbutter, luftgetrockneter Schinken aus Westfalen, drei halbweiche Eier und Bohnenkaffee. Es geht ihm nicht schlecht. Trotzdem ist er schlechter Laune. Das bekommt der neue Haufen auch bald zu spüren.

      »Da war einer unter euch«, beginnt Schimanek den Frühappell, »der ist gleich frech geworden. Zu welcher Stube gehörte das Schwein?«

      Kalmeder tritt vor.

      »Her mit dir!«, schreit Spieß Schimanek.

      Kalmeder bleibt drei Meter vor Schimanek stehen, Hände an der Hosennaht, den Blick seiner grauen Augen fest auf die gedrungene Gestalt gerichtet.

      »Name?«

      »Helmut Kalmeder.«

      »Von wo?«

      »KZ Dachau.«

      »Wieviel?«

      »Fünf Jahre.«

      »Wegen was?«

      Kalmeder schweigt.

      »Wegen was, hab ich gefragt?«, brüllt Schimanek. »Soll ich dich Schwein zum Sprechen bringen?«

      Kalmeder spürt etwas von jenem Trotz in sich aufsteigen, der ihm damals von der Gestapo viehische Prügel eingebracht hat.

      Junge, sei vernünftig, betet Pfarrer Kranz in sich hinein. Spiele jetzt um Gottes willen nicht den starken Mann. Die bringen dich um … die warten ja nur darauf.

      »Ich bin wegen antifaschistischer Gesinnung abgeurteilt worden«, sagt Kalmelder mit lauter Stimme.

      »Aha«, ergrimmt sich Schimanek, »ein solches Schwein bist du. Schimpft auf den Führer und frisst doch sein Brot.«

      Kalmeder bleibt ruhig, sieht den Sprecher an und denkt: Du armes Würstchen. Blökst und kommst dir großartig vor. Ich tue dir nicht den Gefallen, etwas auf deine strohdumme Rede zu erwidern.

      Schimanek stemmt die Arme in die Seiten, stellt sich breitbeinig hin und schreit Kalmeder an: »Wenn ich herauskriege, dass du deine Leute aufhetzt, mach ich dich so zur Sau, dass du in keinen Sarg mehr passt. Wir haben die Mittel, euch kirre zu machen! Bevor ihr anständige Soldaten werdet, sorge ich dafür, dass nur der die Schulterklappen kriegt, der sie wirklich verdient. Wegtreten!«

      Kalmeder vollführt eine Wendung und geht wieder ins Glied zurück.

      Während Schimanek den Dienstplan für heute verliest, flüstert Kranz Kalmeder zu: »Das ist ein ganz übler Bursche. Ich hatte Angst um dich, mein Junge.«

      Kalmeder lächelt und drückt heimlich die Hand seines Freundes.

      Eine Viertelstunde später, nachdem Spieß Schimanek noch ein paar Verhaltensmaßregeln verkündet hat, trabt der Haufen Sträflinge unter der Führung Feldwebel Helms und eines Stammgefreiten zum Bekleidungsgebäude hinüber.

      »Ich mache mir Sorgen um Alfons«, raunt Kranz Kalmeder zu.

      Der Bibelforscher schweigt seit gestern, hat keinen Bissen zu sich genommen. Kranz hat gehört, wie Schnittgen in der Nacht gebetet hat. Jetzt lehnt der einsneunzig lange Zeuge Jehovas im nach Mottenkugeln riechenden Flur der Bekleidungskammer und wartet. Vorne werden bereits die ersten Klamotten aus der Tür geworfen. Feldwebel Helm überwacht die Übernahme der neuen Bekleidung – Bekleidung, die aus aufgebrauchten Drillichanzügen, geflickten Uniformen und ausgelatschtem Schuhwerk besteht.

      Alles passt. Die einzelnen Kleidungsstücke kommen aus der Kammer geflogen, werden aufgesammelt und kopfschüttelnd betrachtet.

      »Alfons«, sagt Kranz zu Schnittgen, »du musst jetzt ganz vernünftig sein, hörst du.«

      Das müde Gesicht des Bibelforschers hellt sich auf. »Hochwürden, Sie werden es doch am besten verstehen, wenn ich mich weigere, eine Uniform anzuziehen.«

      »Dann erschießen sie dich«, mahnt Kalmeder halblaut und schaut den Gang entlang, in dem es poltert und kracht, flucht und nach Mottenpulver stinkt.

      »Ich glaube an Gott«, sagt Schnittgen entschlossen.

      »Mensch, du spinnst«, mischt sich Schlegel ein. »Dein lieba Jott hilft dir ooch nich, wenn se dir an den Pfahl binden und det Hemdchen zerlöchern.«

      »Schlegel hat recht«, pflichtet Kalmeder notgedrungen bei. »Sei vernünftig, Alfons, und nimm die Klamotten, wie sie ranfliegen.«

      Der Bibelforscher schüttelt standhaft den Kopf.

      Kranz nimmt Kalmeder zur Seite und flüstert ihm zu: »Dieser Mann ist ein Held … ein wirklicher Held. Ich bewundere ihn.«

      »Wir können ihn abschreiben, Pfäfflein. Nimm ihn zur Seite und gib ihm den letzten Segen.«

      »Meinst du wirklich, dass sie ihn erschießen?« Das knochige Gesicht des Geistlichen zuckt.

      Kalmeder gibt keine Antwort.

      Ein paar Meter weiter vorne bemüht sich Xaver Bunser verzweifelt, zwei linke, knochenharte Kommisslatschen gegen ein passendes Paar einzutauschen.

      »I kann doch net in zwoa linke Schuach rumlaffa«, jammert der Brandstifter. »Hat wer zwoa rechte Schuach?«, fragt er herum.

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