Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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Andrea wusste darauf nichts zu entgegnen.
*
Die Bahnfahrt in den Bayerischen Wald bedeutete für Betti eine Tortur. Dabei durfte sie sich nichts von ihren trübsinnigen Grübeleien anmerken lassen, denn Evi war sowieso schon misstrauisch. Dem kleinen Mädchen kam es seltsam vor, dass die sonst so fröhliche Betti kaum sprach und auf zahlreiche Fragen nur mit einem stummen Nicken antwortete.
»Du freust dich nicht richtig darüber, dass wir zu meinem Vati fahren«, stellte Evi vorwurfsvoll fest. »Magst du meinen Vati nicht?«
»O doch, ich mag ihn schon«, erwiderte Betti.
»Mein Vati hat keine Frau mehr. Vielleicht könntest du ihn heiraten?«, schlug Evi vor.
»Evi!«, rief Betti entsetzt aus. »Was fällt dir ein! Dass du das ja nicht zu deinem Vater sagst!«
»Warum nicht?«
»Weil …, weil … Ach, das ist egal. Versprich mir, dass du deinem Vater keinen solchen Vorschlag machst.«
»Hm …« Evi gab dieses Versprechen nur zögernd ab.
»Übrigens ist es unmöglich, dass ich deinen Vater heirate«, meinte Betti nun etwas ruhiger. »Ich bin nämlich mit Helmut verlobt.«
»Verlobt? Was ist das?«
»Das bedeutet, dass ich Helmut heiraten werde.«
»Helmut Koster?«
»Ja.«
»Na ja. Herr Koster ist ja ganz hübsch«, bemerkte Evi großzügig, »aber mein Vati ist schöner. An deiner Stelle …«
»So etwas sagt man nicht«, unterbrach Betti die Kleine schnell. »Ein Mann ist nicht schön.«
»Mein Vati schon«, beharrte Evi.
Zu Bettis sonstigen Sorgen kam nun auch noch die Befürchtung, dass Evi ihr Plaudermäulchen nicht halten und sie lächerlich machen würde. Doch der Empfang, der ihr dann zuteil wurde, war nicht nur freundlich, sondern geradezu überschwänglich. Frau Haslinger umarmte sowohl Evi als auch Betti, die dadurch sehr verlegen wurde.
»Nur Ihnen haben wir es zu verdanken, dass Erich sich zu der Operation entschloss«, rief Frau Haslinger. »Aber ich weiß, dass er vorhat, Ihnen das alles zu vergelten«, fügte sie hinzu und setzte eine verschwörerische Miene auf, während ihr Mann sie warnend ausstieß.
Betti konnte nicht erraten, was Frau Haslinger ihr andeuten wollte. Sie versuchte es auch gar nicht.
Falls Herr Gleisner ihr Geld anbieten wollte – nun, sie würde es zurückweisen.
Dann trat Erich Gleisner aus dem Haus. Bei den früheren Begegnungen hatte Betti ihn nur als Behinderten gesehen, doch jetzt war er wiederhergestellt. Zwar ging er noch langsam und stützte sich auf einen Stock, aber die Unbeholfenheit und die Krücken waren verschwunden. Unversehens musste Betti daran denken, dass Evi ihren Vater im Zug schön genannt hatte. Das war natürlich ein kindlicher Ausdruck gewesen, doch es war nicht zu leugnen, dass es sich bei Erich Gleisner um einen sehr gut aussehenden Mann handelte. Betti fühlte, wie ihr Herz plötzlich klopfte.
»Mein Vati ist wieder gesund! Er kann gehen!«, jauchzte Evi und warf sich in seine Arme.
Betti kam langsam näher. Diesmal wurde sie von Evis Vater nicht ablehnend, sondern mit einer Zuvorkommenheit begrüßt, die sie ihm nie zugetraut hätte.
»Ich muss wohl recht unleidlich gewesen sein«, meinte Erich Gleisner, als habe ich ihre Gedanken erraten.
»O nein …« Betti errötete und schüttelte den Kopf.
»O doch. Ich hoffe, dass Sie mir verzeihen. Ich war ein kranker Mann. Herr und Frau Haslinger haben auch große Geduld mit mir bewiesen. Es ist mir erst jetzt zu Bewusstsein gekommen, wie sehr ich ihnen zu danken habe.«
Herr Haslinger wehrte ab. »Es war doch eine Selbstverständlichkeit, dass ich für dich eingesprungen bin«, meinte er. »Im umgekehrten Fall hättest du es ebenso gemacht. Nein, das Verdienst gebührt in erster Linie Betti, weil es ihr gelungen ist, dich von der Notwendigkeit der Operation zu überzeugen.«
»Nein, nein …«, stotterte Betti.
Evi bereitete ihrer Verlegenheit ein Ende, indem sie behauptete, fürchterlich hungrig zu sein.
»Ja, komm nur, ich habe alles vorbereitet«, entsann sich Frau Haslinger ihrer Hausfrauenpflichten.
Es gab ein üppiges Mahl, auf das sich Evi mit einem wahren Heißhunger stürzte.
»Na, das sieht ja fast so aus, als ob du tagelang nichts gegessen hättest«, sagte Erich Gleisner scherzend, worauf Betti steif entgegnete: »Evi hat immer ausreichend zu essen bekommen.«
Erich Gleisner lachte und sagte: »Meine Worte waren nicht als Vorwurf gegen Sie gemeint. Ich zweifle nicht daran, dass Sie Evi ausgezeichnet versorgt haben. Übrigens fällt mir auf, dass Sie selbst kaum einen Bissen zu sich nehmen.«
Das stimmte. Bei ihrem ersten Abendessen im Forsthaus hatte ihr die abweisende Haltung Erich Gleisners den Appetit verdorben, und jetzt war es der drohende Abschied von Evi. Betti kam sich schlecht und egoistisch vor. Alle waren fröhlich und guter Dinge, nur sie konnte ihrer Niedergeschlagenheit nicht Herr werden.
Evi war so ausgelassen und aufgeräumt, dass sie kaum zum Einschlafen zu bewegen war. Ihr Vater und Betti saßen neben ihrem Bett. Evi hatte sich bereits drei Gute-Nacht-Geschichten erzählen lassen, ohne dass ihr die Augen zugefallen wären.
»Du musst doch müde sein, Kind«, sagte Erich Gleisner ein bisschen ratlos. »Es ist spät, und du warst stundenlang unterwegs.«
»Ich werde mich auch niederlegen«, meinte Betti. »Vielleicht schläft Evi dann ein.«
»Eigentlich wollte ich noch mit Ihnen sprechen«, sagte Erich Gleisner.
»Heute noch?«, fragte Betti mit zitternder Stimme.
»Ja, falls Sie nicht zu müde sind. Aber ich will es nicht länger aufschieben.«
»Ich bin nicht müde«, murmelte Betti. »Aber Evi …«
»Es macht mir nichts aus, allein zu bleiben«, meldete sich Evi. »Ich fürchte mich nicht, ich bin ja hier zu Hause. Geh nur mit Vati.«
Betti gab Evi einen Gute-Nacht-Kuss und verließ das Zimmer mit schleppenden Schritten. Gleich würde der Augenblick kommen, da Evis Vater ihr mitteilen würde, dass sie überflüssig sei, weil er sich in Zukunft selbst um das Wohl seiner Tochter kümmern würde.
Einstweilen machte er jedoch nur eine Bemerkung, die Betti nebensächlich zu sein schien: »Draußen ist es angenehm warm. Ich möchte gern mit Ihnen in den Garten gehen. Sind Sie einverstanden?«
Betti hatte nichts gegen diesen Vorschlag einzuwenden. Es war ihr egal, an welchem Ort sie die schlimme Nachricht empfing. Im Garten war es dunkel. Falls sie nicht