Dr. Norden Bestseller Box 14 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Er wußte, wie schwer das war, er hatte es selbst durchlebt. Es war für ihn entsetzlich gewesen, seiner Frau und seinem Kind nicht helfen zu können, da man in manchen Fällen der perniziösen Anämie doch mit Leberextrakten helfen konnte. In diesen beiden Fällen hatten sie versagt. Er rätselte heute noch darüber nach, warum das Knochenmark jegliche blutbildende Tätigkeit versagt hatte. Er hatte sein Leben den Kranken geweiht, der Forschung, da er Glück nicht mehr empfinden konnte. Es schmerzte ihn, daß nun auch die junge lebensfrohe Stefanie so direkt mit diesem Leid konfrontiert wurde.
*
Daniel Norden kam pünktlich nach Hause, aber verständlicherweise nicht gerade frohgestimmt. Fee hatte dafür Verständnis. Sie hoffte, daß ihn das Konzert auf andere Gedanken bringen würde. Sie waren schon lange in keinem Sinfoniekonzert mehr gewesen. Schandbar wäre das, hatte Katja gesagt, da sie doch einen berühmten Pianisten, der sich auch als Dirigent bereits Lorbeeren verdient hatte, zur Familie zählten.
Katja und David Delorme waren nun auch schon drei Jahre verheiratet, und mancher Befürchtung zum Trotz, war ihre Ehe überaus glücklich, obgleich David sehr umschwärmt wurde. Katja, zuerst sehr eifersüchtig, hatte sich daran gewöhnt. Sie wußte jetzt, wie sehr David sich nach der häuslichen Ruhe sehnte, wenn er wieder mal eine Tournee oder auch nur ein Konzert hinter sich gebracht hatte.
Für die, die es nicht anders wußten, galten Fee und Katja als echte Schwestern. Sie waren es erst geworden, als Anne, Katjas Mutter, Dr. Cornelius geheiratet hatte, aber das Wort Stiefschwester war für beide aus dem Wortschatz total gestrichen. Eine tiefe Zuneigung
verband sie, in der keinerlei Eifersucht aufkommen konnte.
David, der gebürtige Engländer, hatte hier eine neue Heimat gefunden, eine Familie, der er sich ganz zugehörig fühlen konnte und die ihn für seine armselige, lieblose Kindheit entschädigte.
Er hatte Mäzene gefunden, die sein großes Talent gefördert hatten, seine Karriere vollzog sich in einem komentenhaften Aufstieg. Aber er wurde nicht eitel und überheblich wie so mancher. Er arbeitete ständig an sich. Er jagte dem Ruhm auch nicht nach. Er war nur bemüht, ihm gerecht zu werden, und seit er die Professur in München bekommen hatte, war er sehr wählerisch, bevor er ein Engagement annahm, denn die Familie sollte nicht zu kurz kommen.
Aber wen von dieser Familie und von seinen vielen Bewunderern hätte es nicht gefreut, daß auch dieses Konzert wieder zu einem großartigen Erfolg wurde. Noch jung an Jahren, zeigte David in seinem Spiel eine Reife, die andächtig stimmte. Auch Daniel vergaß alles um sich her. Er ließ sich mitreißen und emportragen. Er vergaß alles, was ihn beschwert hatte.
Stefanie konnte das nicht. Für sie sollte dieser Abend einen dramatischen Verlauf nehmen. Sie war nicht zum ersten Mal in diesem schönen Haus, das die Reinholds schon in der dritten Generation bewohnten. Es war zwar den modernen Ansprüchen angepaßt worden, aber doch so dezent und mit künstlerischem Sinn, daß die Atmo-sphäre nicht verlorengegangen war.
Ralph kam ihr entgegen und begrüßte sie herzlich. »Peter hat sich hingelegt, weil er sich anscheinend nicht ganz wohl fühlte«, erklärte er. »Er schläft noch immer. Ich wollte ihn nicht wecken.«
Stefanie nahm sich zusammen, aber es fiel ihr doch schwer, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben, als sie sagte: »Es kursiert wieder mal eine Grippe. Hoffentlich hat es Peter nicht zu arg erwischt.«
»Er ist manchmal einfach schlapp«, sagte Ralph. »Vielleicht hat er Vitaminmangel oder so was.«
Sollte sie es ihm verübeln, daß er so leicht dahinredete? Er war völlig arglos. Er strotzte vor Gesundheit, und ihm mochte es unbegreiflich sein, daß Peter Schwäche zeigte. Wie würde er reagieren, wenn sie ihm jetzt sagte, welchen Grund das hatte? Sie konnte es nicht. Sie hätte es nicht über die Lippen gebracht. Sie hatte ihr Wort gegeben.
Und dann stand Peter plötzlich in der Tür, blaß, erregt und so aggressiv, wie Stefanie ihn noch nie erlebt hatte.
»Warum hast du mich nicht geweckt, Ralph?« stieß er hervor. »Du wolltest wohl den Abend mit Stefanie allein verbringen? Ist das die feine Tour, mich auszubooten?«
»Peter«, sagte Ralph beschwichtigend. »Ich dachte, du könntest krank sein.«
»Ich bin nicht krank«, ereiferte sich Peter. »Ich bin eingeschlafen. Das blöde Wetter ist dran schuld, oder gar diese Tabletten, die mir Dr. Norden verschrieben hat.«
»Du warst bei Dr. Norden?« fragte Ralph.
»Ja, ich war bei ihm«, brauste Peter auf. »Aber er kann auch nur Rezepte ausstellen.« Er machte eine Pause, und die anderen sagten auch nichts. »Ich habe Hunger«, erklärte er dann. »Gehen wir zum Weinbauern.«
»Ich habe alles herrichten lassen. Wir wollten doch den Abend hier verbringen«, sagte Ralph betont ruhig, aber Stefanie nahm den grollenden Unterton wahr.
»Ich habe nicht viel Hunger«, sagte sie leise. »Es war ein ziemlich anstrengender Tag.«
»Fühlst du dich auch nicht wohl, Stefanie?« fragte Peter, und das klang sogar hoffnungsvoll.
»Nein, so ganz wohl fühle ich mich auch nicht«, erwiderte sie ablenkend. Es entsprach allerdings nur ihrer seelischen Verfassung.
»Du solltest dich schonen, Stefanie«, sagte Peter sogleich besorgt. »Du scheinst ziemlich ausgenützt zu werden in dieser neuen Stellung.«
»O nein, nicht im geringsten. Es ist interessant, mit Professor Weissenberger zu arbeiten.«
»Womit beschäftigt er sich?« fragte Peter, erstmalig solches Interesse zeigend.
»Überwiegend mit der Erforschung unbekannter Krankheitssymptome«, erwiderte Stefanie vorsichtig.
»Was gibt es denn da für welche?« erkundigte sich Peter beiläufig.
»Ziemlich viele, deren Ursache man erst finden muß, um helfen zu können.«
Peter trank einen Schluck Wasser. »Dann soll er mal meine Müdigkeit erforschen«, sagte er mit einem Seufzer, der allerdings von einem Lächeln begleitet war, wenn auch von einem etwas gequälten. »Wieviel verstehst du davon?«
»Vielleicht brauchst du nur eine Luftveränderung«, sagte sie.
»Wir fahren ja in vierzehn Tagen«, warf Ralph ein.
»Wenn Stefanie nicht mitkommen kann, macht es mir keinen Spaß«, sagte Peter mürrisch. »Du kannst allein fahren, Ralph.«
Der wartete auf Stefanies Widerspruch, doch solcher blieb aus, und seine Miene verdüsterte sich. Dafür glomm in Peters Augen ein triumphierendes Leuchten auf. Er geriet plötzlich in eine fast euphorische Stimmung, aber es verging keine Viertelstunde, dann stand er auf und ging mit einer gemurmelten Entschuldigung hinaus.
»Merkst du nicht, daß er es darauf anlegt, dein Mitgefühl zu erregen, Stefanie?« fragte Ralph ungehalten.
»Er hat vielleicht nur ein Stimmungstief«, sagte sie ausweichend.
»Ich möchte dich einmal allein sprechen, Stefanie«,