Das Geheimnis der gelben Narzissen. Edgar Wallace

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Das Geheimnis der gelben Narzissen - Edgar  Wallace

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      »Sie wären, wenn ich so sagen darf, recht leichtsinnig gewesen, wenn Sie mich anders behandelt hätten.«

      Sie reichte ihm beide Hände, er schloß sie in die seinen und sah Tränen in ihren Augen. Aber dann nahm sie sich zusammen und führte ihn in das kleine Wohnzimmer.

      »Ich habe meine Stelle verloren, aber ich habe schon wieder mehrere neue Angebote. Eins davon werde ich annehmen. Aber den Rest dieser Woche will ich noch für mich haben.«

      Tarling brachte sie durch einen Wink zum Schweigen. Er hatte ein unendlich feines Gehör.

      »Erwarten Sie irgendeinen Besuch?« fragte er leise.

      »Nein«, antwortete sie erstaunt.

      »Wohnt außer Ihnen noch jemand in diesen Räumen?«

      »Meine Aufwartefrau schläft hier, sie ist aber heute abend ausgegangen.«

      »Hat sie einen Schlüssel?«

      Odette schüttelte den Kopf.

      Tarling erhob sich, und sie wunderte sich, wie schnell und gewandt der große Mann sich bewegen konnte. Lautlos eilte er zur Tür, drehte schnell den Handgriff und riß die Tür auf. Draußen stand ein Mann auf der Matte und sprang zurück, als Tarling so unerwartet im Eingang erschien. Der Fremde sah auffallend schlecht aus und trug einen neuen Anzug, der anscheinend nicht nach Maß gearbeitet war. Sein Gesicht hatte jene gelbe Farbe, die man häufig bei entlassenen Sträflingen findet.

      »Verzeihung«, stammelte er. »Ist dies nicht Nr. 8?« Tarling packte ihn im nächsten Augenblick am Kragen und zog ihn in die Wohnung herein.

      »Was wollen Sie eigentlich hier? Was haben Sie denn da in der Hand?«

      Bei diesen Worten entwand Tarling ihm einen Gegenstand. Es war kein Schlüssel, sondern ein flaches Instrument.

      Mit einem Ruck hatte Tarling dem fremden Mann den Rock ausgezogen, trat einige Schritte zurück und deckte mit seinem Rücken die Tür. Geschwind und mit äußerster Geschicklichkeit durchsuchte er das Kleidungsstück. Aus zwei Taschen zog er mindestens ein Dutzend juwelenbesetzte Ringe hervor, an denen die Auszeichnung der Firma Lyne auf einem kleinen Etikett angebracht war.

      »So?« fragte Tarling sarkastisch. »Das sind wohl Geschenke von Mr. Lyne an Miss Rider, weil er sie so gern hat?« Der Mann war sprachlos vor Wut.

      »Das ist ein ganz dummer Trick!« Tarling schüttelte traurig den Kopf. »Gehen Sie zu Ihrem Auftraggeber zurück, nämlich zu Mr. Thornton Lyne, und sagen Sie ihm, daß ich mich schäme, daß ein so intelligenter Mann so niederträchtige und obendrein noch so plumpe Methoden anwendet.«

      Er öffnete die Tür wieder und stieß Sam Stay in das dunkle Treppenhaus hinaus.

      Odette haue erschreckt alles beobachtet und sah Tarling nun fragend an.

      »Was hat das alles zu bedeuten? Ich fürchte mich so was wollte denn der Mann hier?«

      »Sie brauchen sich vor ihm und auch sonst vor niemand zu fürchten. Es tut mir leid, daß Sie sich Sorgen gemacht haben.«

      Es gelang ihm auch, sie zu beruhigen, und als bald darauf die Aufwartefrau zurückkam, verabschiedete er sich.

      »Also denken Sie daran - Sie haben meine Telefonnummer, und Sie können mich anrufen, wenn Sie irgendwie in Verlegenheit sind, besonders«, setzte er nachdrücklich hinzu, »wenn Sie morgen irgendwelche Unannehmlichkeiten haben sollten.«

      Aber am nächsten Tag ereignete sich nichts Ungewöhnliches. Trotzdem rief sie ihn nachmittags um drei Uhr an.

      »Ich wollte Ihnen noch sagen, daß ich aufs Land fahre«, erklärte sie. »Ich bin gestern abend zu sehr erschrocken.«

      »Lassen Sie es mich bitte wissen, wenn Sie wieder zurückkommen«, erwiderte Tarling, dem es schwer geworden war, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. »Ich werde morgen einmal zu Lyne gehen und ein Wörtchen mit ihm reden. Nebenbei bemerkt ist der Mensch, der gestern nacht an Ihrer Wohnungstür war, ein Schützling von Mr. Lyne, er ist ihm mit Leib und Seele ergeben. Den Kerl müssen wir gut im Auge behalten. Die Sache gibt meinem Leben neuen Reiz!« Er hörte, wie sie leise lachte.

      »Muß ich erst ermordet werden, damit ein Detektiv seine Freude hat?« fragte sie vergnügt, und auch er lächelte.

      »Auf alle Fälle werde ich Lyne morgen aufsuchen«, sagte er.

      Aber die Unterredung, die Jack Tarling plante, sollte niemals stattfinden.

      Am nächsten Morgen ging ein Arbeiter frühzeitig durch den Hydepark, um schneller zu seiner Arbeitsstelle zu kommen. Auf seinem Weg sah er an der Seite eines Fahrweges einen Mann im Gras liegen. Er war angekleidet, nur fehlten Rock und Weste. Ein seidenes Dame nnachthemd war um seine Brust gewunden. Es war ganz mit Blut befleckt. Die Hände des Mannes waren über der Brust gefaltet, und ein Strauß gelber Narzissen lag zwischen seinen Händen.

      Um elf Uhr morgens brachten die Zeitungen ausführliche Berichte, daß die Leiche, die im Hydepark gefunden wurde, identifiziert war. Es war niemand anders als Thornton Lyne, und der tödliche Schuß war mitten durch das Herz gegangen.

       Kapitel 5

      »Die Londoner Polizeibehörden stehen einem sonderbaren Mord gegenüber, den so merkwürdige Nebenumstände begleiten, daß es nicht übertrieben wäre, dieses Verbrechen als das Geheimnis dieses Jahrhunderts zu bezeichnen. Eine bekannte Erscheinung der Londoner Gesellschaft, Mr. Thornton Lyne, der Chef eines großen Warenhauses, ein nicht unbedeutender Dichter, ein Millionär, der wegen seiner menschenfreundlichen Bestrebungen allgemein bekannt ist, wurde heute in den frühen Morgenstunden in einer Lage aufgefunden, die nicht den geringsten Zweifel darüber läßt, daß er ermordet wurde.

      Heute morgen um halb sechs kam Thomas Savage, ein Maurer, auf seinem Weg durch den Hydepark und sah eine Gestalt in der Nähe des Fahrweges liegen. Er eilte hin und entdeckte, daß der Mann schon mehrere Stunden tot sein mußte. Der Tote hatte weder Rock noch Weste an, aber um seine Brust war ein seidenes Kleidungsstück geschlungen, offenbar um die stark blutende Wunde in der linken Seite zu stillen. Die Hände waren auf der Brust gekreuzt.

      Am merkwürdigsten ist aber, daß der Mörder die Le iche in dieser besonderen Stellung hingelegt haben muß. Auf der Brust des Toten fand sich auch noch ein Strauß gelber Narzissen. Die Polizei war bald zur Stelle, und nachdem die nötigen Feststellungen gemacht waren, wurde die Leiche entfernt. Die Beamten sind der Ansicht, daß der Mord nicht im Hydepark begangen wurde, sondern daß der Unglückliche an einem anderen Ort getötet und in seinem eigenen Auto in den Park gebracht wurde, denn sein Wagen stand verlassen etwa hundert Meter von dem Fundort. Wie wir hörten, ist die Polizei auf einer sehr wichtigen Spur, und eine Verhaftung steht unmittelbar bevor.«

      Mr. J. O. Tarling, früher Mitglied der Geheimpolizei in Schanghai, las diesen kurzen Bericht und wurde sehr nachdenklich.

      Lyne war ermordet worden! Es war ein ungewöhnlicher Zufall, daß er gerade vor einigen Tagen mit diesem jungen Mann in Berührung gekommen war.

      Tarling selbst wußte eigentlich nichts von Lynes Privatleben. Er vermutete nur nach dem, was er von dessen kurzem Aufenthalt in Schanghai erfahren hatte, daß manche seiner Erlebnisse dunkel waren. Er erinnerte

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