Front ohne Helden. Franz Taut

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Front ohne Helden - Franz Taut Zeitzeugen

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bene! Ich habe schon nicht mehr mit Ihrem Kommen gerechnet. Man hat bei meiner Funkstelle angefragt.«

      Sein Deutsch war mustergültig. Fendt atmete auf. Man brauchte keinen dieser lästigen Dolmetscher einzuschalten.

      Plötzlich jedoch blieb Capitano Berti stehen. Seine Hand fiel herab. Sein scharf geschnittenes, längliches Gesicht, grell von der an einem Deckenbalken hängenden Benzinlampe beleuchtet, wurde maskenhaft starr.

      In die Stille der Front, die auch während Fendts Fahrt durch Dunkelheit und Schnee nur zeitweilig durch einen Artillerieschuss unterbrochen worden war, schnitt jäh ein dumpf grollendes Donnergeräusch, gedämpft, wie aus großer Entfernung, aber deshalb nicht weniger drohend.

      »Kalitwa«, murmelte der Capitano zwischen den Zähnen, »das muss bei Kalitwa sein.«

      Kalitwa, fragte sich Fendt, war das nicht ein Ort westnordwestlich, stromaufwärts am Don, etwa hundert Kilometer entfernt?

      »So weit trägt der Schall nicht«, sagte er.

      Das Geräusch pflanzte sich fort; es kam näher, rasend schnell immer näher! Der Russe trommelt, dachte Fendt, es geht los! Sekundenlang überlegte er. Sollte er Hauptmann Martin Meldung machen? Aber wichtiger war es, den Fahrer und natürlich auch das Funkgerät, das im Wagen war, in Sicherheit zu bringen.

      Schon war Fendt beim Ausgang des Bunkers. Und während er durch den kurzen, von Bohlenwänden eingefassten Laufgraben hastete, warf er den schweren, behindernden Schafspelzmantel ab. Der fahle Schein ununterbrochen zuckender Mündungsblitze erhellte gespenstisch die Mauerstümpfe des zerschossenen Uferdorfes.

      Während der Feuerschlag mit brüllendem Getöse den Abschnitt des Bataillons »Derrutti« erfasste und zusehends weiter nach Osten übersprang, dieses tausendschlündige Wummern, Krachen und Bersten, erreichte Wachtmeister Fendt das halbwegs erhaltene Haus, hinter dem sie bei der Ankunft den Kübelwagen abgestellt hatten. Der Wagen stand am Ort, auch das Tornister-Funkgerät war vorhanden. Verschwunden dagegen war der Obergefreite Erdmann.

      »Erdmann!«, rief Fendt, obgleich er wusste, wie sinnlos es war, gegen das Höllengebrüll des russischen Trommelfeuers ankommen zu wollen.

      Mit Feuerblitzen krepierten die ersten Granaten in der Nähe. Mauerreste stürzten ein, Schneestaub und Erdbrocken wurden hochgeschleudert.

      »Erdmann!«, rief Fendt noch einmal. Der Obergefreite antwortete nicht. Sicher hatte er sich mit der Findigkeit des erfahrenen Frontsoldaten irgendwo in Deckung gebracht.

      Fendt sprang in den Laufgraben hinunter, das schwere Funkgerät im Arm. Die Luft war durchsetzt mit dem bitteren Geruch von Pulverqualm. Zur Linken schlugen Flammen hoch.

      Fendt sah vor sich den Eingang des Bunkers. Die Öffnung schien zu schwanken, die Erde schwankte, es war wie der Weltuntergang, wie das Ende von allem. Fendt fand sich im Dunkeln, die Lampe war erloschen. Dann dröhnte ein Schlag wie von einer Riesenfaust auf die Decke des Bunkers. Splittern, Bersten, etwas traf Fendt am Kopf. Rot kreisendes Licht, dann Schwärze, in die Fendt trudelnd hinabstürzte. Und dann nichts mehr; Wachtmeister Fendt hatte das Bewusstsein verloren. Er hörte nicht das Rumoren und Rasseln der vom Don heraufkriechenden Panzer und nicht das »Urrä« der russischen Angriffswellen.

      2

      Major von Talvern legte den Handapparat des Feldtelefons auf. Nichts. Schepetowka war schon seit Stunden von der Außenwelt abgeschnitten. Sämtliche Fernsprechverbindungen waren unterbrochen. Waren die Russen, nachdem sie am frühen Morgen dieses 16. Dezember 1942 zum Großangriff gegen die italienischen Stellungen am Don angetreten waren, schon so weit vorgestoßen – mit Reitertrupps wie vor siebenundzwanzig Tagen ins Hinterland der 3. rumänischen Armee? Oder hatten Partisanen die Kabel durchschnitten? Oder hatten die verschwundenen Hiwis geheime Sabotagebefehle durchgeführt?

      »Die Leitungen sind tot«, sagte Talvern zu General Körner, der sich über die große, über zwei Tische ausgebreitete Karte beugte.

      General Körner wischte mit dem Rücken seiner knochigen Hand über die Karte, als wolle er etwas auslöschen, was mit Kohle eingezeichnet war und den Eindruck erweckte, als sei es unaustilgbar.

      Nimm doch wenigstens jetzt dein Monokel ab, dachte der General, irritiert durch die Selbstsicherheit, die der Ia auch jetzt noch zur Schau trug, als wäre nichts Bemerkenswertes geschehen. Dabei befand man sich in völliger Ungewissheit. Seit dem alarmierenden Anruf des Verbindungsstabes beim Oberkommando der 8. italienischen Armee hatte man nichts mehr gehört. Weder von vorn, von der Front, noch aus dem Hinterland. Man wusste nicht, ob die Italiener den Angriff abgewehrt hatten, ob im Falle von Feindeinbrüchen die Auffangstellungen besetzt worden waren, ob die Donfront überhaupt noch bestand. Nach dem Anruf vom italienischen Oberkommando hatte General Körner die Regimentskommandeure und die Kommandeure der selbstständigen Formationen, wie es das Pionierbataillon, die Panzerjägerabteilung und die Aufklärungsabteilung waren, nach Schepetowka befohlen. Seit der Besprechung waren Stunden vergangen, aber bisher war in der Funkstelle, die nach dem Ausfall der Fernsprechleitungen mit den Teilen der Division Verbindung hielt, kein Spruch eingegangen, der zur Klärung der undurchsichtigen Lage hätte beitragen können. Und die Funkanlage des italienischen Oberkommandos schwieg.

      Im Schulhaus von Schepetowka war es kalt. General Körner trug seinen pelzgefütterten feldgrauen Mantel mit den prächtigen roten Aufschlägen und den golddurchwirkten geflochtenen Schulterstücken. Bei der Ankunft in Schepetowka hatte der General es untersagt, Bestandteile unbeschädigter Gebäude oder irgendwelche Einrichtungsgegenstände als Brennmaterial zu verwenden. Insbesondere die Einrichtung der drei Klassenzimmer im Schulhaus – Bänke, Katheder und Schränke – war durch einen eindeutigen Befehl vor Entnahme oder Vernichtung geschützt. Es war ja überhaupt ein Wunder, dass die Einrichtung bei der Ankunft des Divisionsstabes noch vorhanden gewesen war. Das mittlerweile beschaffte Heizmaterial war streng rationiert und wurde vom Kommandanten des Stabsquartiers persönlich zugeteilt. Nur Talvern als Einziger im Stab wusste, was den sonst nicht zu Konzilianz und Nachsicht neigenden General bewogen hatte, solche Rücksichtnahme im Feindesland zu üben. Der General glaubte nicht an allzu langes Verweilen in der windigen Ecke zwischen Don und Tschir, und er wollte nicht, dass die russischen Bewohner von Schepetowka bei ihrer Rückkehr ausgeplünderte Wohnstätten vorfänden.

      Talvern horchte plötzlich auf. War es Einbildung, oder war nicht aus großer Ferne ein Grummeln zu vernehmen, wie wenn schwere Eisenkugeln über einen Bohlenbelag rollten?

      Er blickte zu General Körner.

      Der General nickte. »Da haben wir’s, Talvern! Aber kommt das nicht von Osten?«

      Jetzt vibrierten ganz leise die mit Streifen aus Zeitungspapier überklebten Fenster. Kam der Kampflärm näher, oder hatte nur der Wind sich verstärkt oder gedreht?

      »Die Hauptsache ist, es kommt«, sagte der Major. »Es war ja unabwendbar. Wenn es da ist, kann man Entscheidungen treffen –«

      »Entscheidungen?«, warf General Körner nachdenklich ein. »Ist es nicht so, Talvern, dass unser Handeln uns neuerdings aufgezwungen wird? Stalingrad, diese erste große Niederlage, die im Begriff ist, einen Mythos zu zerstören, scheint die Herren im OKW paralysiert zu haben.«

      General Körner trat ans Fenster und lauschte hinaus. Der ferne Geschützdonner wurde auf einmal von anderen Geräuschen übertönt. Ein Pulk vieler Fahrzeuge näherte sich Schepetowka.

      General Körner drehte sich zu Talvern um. »Was ist das? Hören Sie?«

      Talvern rief Leutnant Walter vom Nebenzimmer.

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