Front ohne Helden. Franz Taut
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Читать онлайн книгу Front ohne Helden - Franz Taut страница 6
Leutnant Walter lief die Treppe hinunter. Als er zurückkam, war er erregt und außer Atem.
»Italienische Fahrzeuge«, meldete er, »eine Rückzugskolonne, die nicht abreißt.«
»Anhalten!«, rief der General mit rauer Stimme. »Sofort anhalten! Holen Sie den italienischen Leutnant! Nehmen Sie ihn als Dolmetscher mit!«
»Zu Befehl, Herr General!«
Leutnant Walter hinkte hinaus. Ein Stecksplitter in seinem linken Oberschenkel behinderte ihn. Er klopfte an die Tür zum Vorzimmer des Ic und winkte Leutnant Cornalli heraus.
»Ihre Landsleute rollen Richtung Heimat«, sagte er. »Wir sollen Sie aufhalten, Befehl vom General.«
Sie zogen ihre Mäntel über, die auf dem Flur an den Haken hingen, an denen früher die Schulkinder von Schepetowka ihre Mäntel aufgehängt hatten. Sie schnallten um, setzten ihre Mützen auf und stiegen eilig die knarrende Holztreppe hinunter. Als sie ins Freie hinaustraten, empfing sie der eisige Steppenwind und trieb ihnen winzige Schneekristalle ins Gesicht. Der Nebel, der sich tagelang nicht gelichtet hatte, war verschwunden, aber die jagenden Schneewolken zogen so niedrig, dass sie die Dächer der schemenhaft ragenden Häuser zu berühren schienen. In Schwaden wirbelten die winzigen Flocken.
In das Johlen des Windes mischte sich Motorengedröhn.
Auf einem schmalen Seitenweg gelangten die beiden Offiziere zur Rollbahn, die den Ort von Nord nach Süd durchschnitt, ein breites Band festgefahrenen Schnees. In Zweierreihe, dicht bei dicht, bewegten sich Lkw der italienischen Armee im Schritttempo vorwärts. Die Spitze der Rückzugskolonne hatte Schepetowka bereits passiert.
Winkend und rufend versuchten Leutnant Walter und Tenente Cornalli sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Aber niemand achtete auf sie. Die winterlich vermummten Fahrer hatten die Wagen vor sich im Auge, die Beifahrer blickten stur geradeaus, und so weit sich Mannschaften unter den Planen verbergen mochten, hielten sie sich unsichtbar.
Tenente Cornalli hatte Tränen ohnmächtigen Zorns in den Augen. Wer hatte die Führung dieses verdammten Haufens? War denn hier niemand, der noch bei klarer Überlegung, der noch bei Verstand war? An dem deutschen Offizier und an ihm rollten diese Elenden vorbei, als ob sie beide räudige Köter wären, die die Kolonne ankläfften!
»Hat keinen Zweck«, rief Leutnant Walter, »diese Burschen bringt man nicht einmal mit Gewalt zum Stehen.«
Mit Gewalt, dachte er, wenn wir uns denen in den Weg stellen, fahren die uns bedenkenlos über den Haufen.
Auf einmal hatte Cornalli seine Beretta in der Hand. Mit der Pistole fuchtelnd, brüllte er auf Italienisch Befehle und Flüche. Doch auch von der drohend geschwungenen Waffe nahm niemand in der langsam vorbeirollenden Kolonne Notiz. Bis Leutnant Walter plötzlich den Lauf eines kurzen italienischen Karabiners entdeckte, der sich durch ein heruntergekurbeltes Seitenfenster schob.
»Herr Cornalli!«, rief Walter warnend. Zu spät. Ein Schuss hatte sich gelöst. Der italienische Leutnant drehte sich wie bei einem grotesken Tanz um sich selbst. Die Waffe entglitt seiner Hand. Schwer stürzte er in den Schnee.
Walter stand wie erstarrt. Dann warf er sich neben den Dolmetscher, nur wenige Schritte von den unaufhaltsam rollenden Rädern entfernt.
Cornalli stöhnte schwach. Walter sprang auf. In der nahen Nachrichtenvermittlung berichtete er stockend, was geschehen war. Zwei Mann rannten mit einer Krankentrage hinaus, während Walter im Laufschritt, so weit es sein verletztes Bein zuließ, den Weg zum Divisionsgefechtsstand fortsetzte.
So ungeheuerlich war das, was er gesehen und erlebt hatte, dass es beinahe über sein Fassungsvermögen ging. Der Anfang vom Ende, dachte er bruchstückhaft, Mord – sie schießen auf die eigenen Offiziere …
Als er keuchend, mit verzerrtem Gesicht vor dem Ia stand, fragte Major von Talvern: »Menschenskind, ist Ihnen ein Gespenst begegnet?«
Leutnant Walter suchte nach Worten.
»Kann verstehen, dass Sie durcheinander sind«, meinte Talvern. »So eine Rückzugskolonne ist kein erfreulicher Anblick. Sie haben nur den Vormarsch kennen gelernt. Das andere ist die Kehrseite.«
»Man hat auf Cornalli geschossen«, stieß Walter hervor.
»Was?«
Walter versuchte sich zu fassen. »Aus einem der Fahrzeuge ist auf Leutnant Cornalli geschossen worden, Herr Major. Niemand wollte anhalten. Cornalli hat die Pistole gezogen. Da ist es geschehen.«
»Weiter! Was ist mit dem Italiener?«
»Kopfschuss, Herr Major. Ich habe veranlasst, dass man ihn von der Rollbahn wegholte, und bin, so schnell ich konnte, hierhergelaufen.«
»Wohin hat man ihn gebracht?«
»Sicher zunächst zur Nachrichtenvermittlung.«
»Ich muss mich um ihn kümmern«, sagte Talvern. »Melden Sie den Vorfall dem Herrn General, Leutnant Walter!«
»Zu Befehl, Herr Major.«
Walter ging hinaus. Mehr als sonst zog er das linke Bein hinter sich her.
Talvern riss die Tür zum Geschäftszimmer auf. »Mantel, Mütze und Koppel!«, rief er dem Dienst habenden Obergefreiten zu.
Im gleichen Augenblick schrillte das Läutwerk des Feldtelefons. Mit einem Sprung war Talvern beim Apparat.
»Major von Talvern.«
Am anderen Ende sprach Oberleutnant Schenk, der Führer der 2. Nachrichtenkompanie.
»Ein Funkspruch von ›Waldhorn‹, Herr Major«, meldete er.
»Waldhorn« war der Deckname des Infanterieregiments 628.
Schenk wollte den Text des Spruches übermitteln, doch Talvern unterbrach den Nachrichtenoffizier. »Liegt der italienische Leutnant bei Ihnen?«, fragte er.
»Jawohl, Herr Major. Wollte es Herrn Major anschließend sagen. Wir haben den Herrn Oberfeldarzt gerufen. Aber jede Hilfe kam zu spät. Nach Meinung des Herrn Divisionsarztes muss der Leutnant schon tot gewesen sein, als sie ihn hereinbrachten.«
»Geben Sie jetzt den Spruch durch!«, befahl Talvern schroff, ohne auf Schenks schwer wiegende Mitteilung einzugehen.
»Jawohl, Herr Major.«
Schenk verlas den Klartext des verschlüsselt durchgegebenen Spruchs. Das Regiment meldete Feindberührung bei seinem ersten Bataillon. Zum zweiten und dritten Bataillon war bei Aufgabe des Funkspruches seit zwei Stunden die Verbindung abgerissen. Zwei Stoßtruppunternehmen waren zur Klärung der Lage angelaufen.
Talvern ging hinüber zum General.
»Das Erste sechsachtundzwanzig hat bereits Feindberührung«, sagte er. »Sonst bis jetzt nichts Neues. Was hier geschehen ist, wissen Herr General.«
General Körner nickte schwer.
»Es ist, als ob Schnee und Dunkelheit alles verschlängen«, murmelte er. »Die rumänische Armee – Stalingrad –, jetzt die Italiener. Und wir?«