Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia Vandenberg

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Sophienlust Box 15 – Familienroman - Patricia Vandenberg Sophienlust Box

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rannen Corinna über die Stirn in die Augen, sodass sie sekundenlang wie geblendet war. Doch sie fuhr sich nur mit dem Ärmel der Bluse übers Gesicht.

      Weiter! Sie musste weitergehen, so schwer es ihr auch fiel. Ein halbes Ziel war ein verlorenes Ziel. Schwer atmend klammerte sie sich an einen Felsvorsprung und zog ihren Körper hinauf, einen Schritt weiter. Für den nächsten Schritt prüfte sie mit den Händen das Gestein, ob es auch nicht locker war. Ein abbröckelndes Felsstück konnte sie das Leben kosten. »Ich muss weiterleben«, flüsterte sie zusammenhanglos. »Weiterleben für mein Kind. Und für mein Kind muss ich mein Ziel erreichen. Die Absturzstelle kurz unterhalb des steilen Gipfels.«

      Corinna keuchte und lehnte sich einen Moment an die Felswand, als ihr schwarz vor den Augen wurde. Als erfahrene Bergsteigerin hätte sie dies als Alarmzeichen werten und umkehren müssen. Nichts war gefährlicher und schlimmer als Schwindelanfälle auf einem schmalen Felsgrat. Doch Corinna wollte nicht darauf achten. Sie sah nur das scheinbar nahe Ziel und redete sich unaufhörlich ein, es erreichen zu müssen. Dass ihr geschwächter Körper, der seit fast sechsunddreißig Stunden keine Nahrung mehr erhalten hatte, rebellieren musste, wollte sie nicht einsehen. Schritt für Schritt kämpfte sie sich weiter nach oben.

      Ihre schönen Züge waren vor Anstrengung verzerrt. Als ihre Kräfte sie vollends zu verlassen drohten, begann sie mit sich selbst zu reden. Sie redete sich Mut zu, um den Aufstieg zu erzwingen. Aber es machte den Eindruck, als habe sie den Verstand verloren, denn kein vernünftiger Mensch wäre unter diesen Umständen weitergegangen.

      »Dort oben ist sie! Freds Todesstelle«, ächzte sie. »Wenn ich sie erreiche, wird Bärbel gesund werden. Komme ich nicht hinauf, dann …, dann …« Ihr Fuß ruschte ab und trat ins Nichts.

      Corinna stieß einen Schrei aus und klammerte sich mit beiden Händen an den Felsen. Sekundenlang baumelten ihre Füße in der Luft. Sie kämpfte mit der Balance. Dann fanden ihre Beine wieder festen Halt.

      Taumelnd ging sie in die Hocke. Ihr Gesicht war schweißüberströmt. Die salzigen Tropfen brannten ihr in den Augen. Das Haar hing ihr wirr ins Gesicht.

      Corinna war sich nicht bewusst, dass sie im Augenblick höchster Not Jochens und Bärbels Namen gerufen hatte. Ob sie wollte oder nicht, jetzt musste sie sich einige Minuten Ruhe gönnen.

      Schwer atmend lehnte sie ihren Kopf an den Fels. Wenn ich es schaffe, dann wird mein geliebtes Kind gesund werden, sagte sie sich wieder. Dann werde ich nur noch für Bärbel leben. Und der liebe Gott wird mich für den Verzicht auf meine Liebe belohnen.

      Nun dachte Corinna einen Moment lang ganz klar. »Ja, ich liebe Jochen«, flüsterte sie. »Aber ich werde mir diese Liebe aus dem Herzen reißen. Ich werde sie opfern. Dafür wird Bärbel mir erhalten bleiben, mein ein und alles.«

      Als Corinna nach einigen Minuten weitergehen wollte, fand sie keinen Weg mehr. Entsetzt starrte sie nach oben. Dort hinauf musste sie. Aber über ihr war nichts außer der steilen, glatten Wand.

      »Aber es muss doch ein Weg hinaufführen!«, schrie sie außer sich. Doch der lebensgefährliche Pfad, den sie bisher verfolgt hatte, endete auf dem winzigen Plateau, auf dem sie saß.

      Mit schmerzlicher Gewissheit erkannte Corinna, dass sie sich verlaufen hatte. Irgendwo musste sie dem falschen Pfad gefolgt sein.

      Aber ich muss doch nach oben, sagte sie sich in einer letzten Willensaufbäumung. Ich muss!

      Wieder blickte sie hinauf. Doch an der glatten Felswand ging es nicht weiter. Wenn sie hinauf wollte, musste sie den falschen Pfad zurückklettern.

      Corinna dachte an die Strapazen, die es sie gekostet hatte, hierherzukommen. Wieder überfiel sie ein leichter Schwindel. Doch sie raffte sich trotzdem auf und versuchte den Rückweg. Aber der war, das erkannte sie im gleichen Augenblick, ohne einen zweiten Mann, der sie am Seil hielt, unmöglich. Wenn sie hinunterschaute, erschien es ihr ohnehin wie ein Wunder, dass sie allein heraufgekommen war.

      Ihr Ziel, die Absturzstelle, musste direkt über ihr, nahe beim Gipfel liegen. Und sie saß hier unten und konnte weder vor noch zurück. Als ihr die Ausweglosigkeit ihrer Lage zu Bewusstsein kam, durchzuckte ein einziger brennender Schmerz ihren ganzen Körper.

      Corinna spürte, wie die Kräfte sie mehr und mehr verließen. Die Kraftreserven ihres Körpers waren erschöpft. Schluchzend sank ihr der Kopf auf die Brust.

      Ich werde hier sterben, dachte sie. Kein Mensch weiß, wo ich bin. Wenn ich das Bewusstsein verliere, falle ich hinunter.

      Mit Schaudern dachte Corinna auch an die Nacht, die sie hier oben würde verbringen müssen, falls sie bis dahin noch lebte. Dann dachte sie an ihr Kind, dem dieses wahnwitzige Unternehmen galt. Und schließlich gaukelte ihr ihre überhitzte Phantasie in dieser unbarmherzigen Einsamkeit, den sicheren Tod vor Augen, Bilder der jüngsten Vergangenheit vor.

      Sie erinnerte sich an die zärtlichen Stunden mit Jochen. Allein waren sie beim flackernden Schein der Kerze in der Hütte gesessen. Wie gelöst und voller Zärtlichkeit sein Gesicht doch gewesen war. Sie sah es wieder ganz deutlich vor sich, hörte seine Lippen flüstern: »Ich liebe dich!« Fast glaubte sie, seinen Mund auf ihrer Haut zu spüren. Sie hatten sich die gemeinsame Zukunft zu dritt so schön vorgestellt …

      »Ich brauche euch«, stöhnte Corinna. »Ich brauche euch beide – Bärbel und Jochen!« Das war ihr letzter Gedanke. Sie hatte ihn laut ausgesprochen. Dann schwanden ihr die Sinne. Sie dachte nun auch nicht mehr daran, dass eine falsche Bewegung, ein Verändern ihrer Lage um Zentimeter sie in den Abgrund gleiten lassen würde. Ihr allerletzter traumhafter Gedanke, als ihre Sinne schon im Schwinden waren, war die flehentliche Bitte an den geliebten Mann, ihr zu helfen.

      *

      Jochen und die Männer der Bergwacht hatten den Dolomitengipfel direkt vor sich. In einem Gewaltaufstieg von vier Stunden hatten sie einen Berg bewältigt, für den ein trainierter und geübter Bergsteiger gut seine sechs Stunden benötigte.

      Vier bange Stunden. Jochen durfte gar nicht daran denken, was einem Bergsteiger in Not in dieser Zeit alles zustoßen konnte. Immer wieder hob er das Fernglas an die Augen und suchte die Umgebung des Gipfels ab. Aber Corinna war nicht zu entdecken.

      Und dann standen sie an Freds Absturzstelle –?dem Ziel, das Corinna sich gesetzt und offensichtlich nicht erreicht hatte. Sonst hätte irgendein Zeichen darauf hindeuten müssen.

      Die Männer der Bergwacht hielten an dieser Stelle eine Beratung ab. »Sie muss hier irgendwo sein. Wir müssen uns verteilen und sie suchen«, beschlossen sie.

      Jochen orientierte sich an der bereits neigenden Sonne. »Lange haben wir nicht mehr Zeit. Wenn wir Corinna nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit gefunden haben, ist sie verloren.«

      Der Anführer des kleinen Rettungstrupps nickte sehr ernst.

      Sie schwärmten in der unmittelbaren Umgebung des Gipfels aus und begannen nach Corinna zu rufen. Die Bergwände trugen den Schall weit und warfen ihn dann als Echo weit und warfen ihn dann als Echo zurück. Corinna hätte sie einfach hören müssen, wenn, ja, wenn sie noch am Leben gewesen wäre.

      Jochen verspürte ein innerliches Zittern, das seiner Angst entsprang und sich von Minute zu Minute verstärkte. Bitte antworte, Liebste, flehte er in Gedanken, während er laut immer wieder Corinnas Namen rief.

      Die Minuten dehnten sich für ihn zu Stunden. Er war sein Leben lang in den Bergen gewesen und wusste nur zu gut, was es zu bedeuten hatte, wenn sie kein Zeichen von Corinna fanden.

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