C -Die vielen Leben des Kohlenstoffs. Dag Olav Hessen

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großen Treibhausgases an, nämlich des Lachgases (N2O). Die Konzentration erreichte mit der Zeit lebensbedrohliche Werte, wodurch sich der interne Stickstoff-Kreislauf veränderte. Schließlich musste man regelrecht mogeln und Frischluft in die Kuppel blasen, um weitermachen zu können. Es ist nicht einfach, die Natur zu kopieren, aber trotz aller Fehler und Einschränkungen war Biosphäre 2 ein beeindruckender Versuch.

      Einige Jahre nach meinen eigenen, bescheidenen Studien des Kohlenstoffzyklus am See in den Norwegischen Wäldern, besuchte ich selbst Biosphäre 2. Die Wüste Arizonas ist ein krasser Gegensatz zu dem feuchten, kohlenstoffreichen System in den nordischen Wäldern, da allein der kohlenstoffreiche Waldboden und die meterdicken Moorschichten bei kaltem und feuchtem Klima große Kohlenstoffspeicher darstellen. Die trockene, heiße Wüste Arizonas ist hingegen, wie alle Wüsten, extrem kohlenstoffarm. Im Sand ist nicht viel Kohlenstoff, und das wenige, was in den genügsamen Kakteen und Kreosotbüschen gebunden ist, wird beinahe vollständig an die Atmosphäre abgegeben, wenn die Pflanzen in dem heißen Page 49Klima absterben. Deshalb war der Kontrast zwischen der sonnenverbrannten Landschaft auf der Außenseite und der feuchten Fruchtbarkeit im Inneren von Biospäre 2 ein wirklich beeindruckendes Erlebnis. Die Kuppel mit ihren kleinen Ökosystemen ist noch heute intakt und einen Besuch wert. Sollte die Glaskuppel eines Tages verschwinden, wird es nur wenige Jahre dauern, bis all der lebenspendende Kohlenstoff, der unter der Kuppel so lange geschützt war, in der Sonne oxidiert wird und gemeinsam mit dem Wasser in der Atmosphäre verschwindet. So gesehen kann diese als düstere Metapher für ein Worst-Case-Szenario für »Biosphäre 1« (die Erde) angesehen werden, auch wenn dort der Treibhauseffekt eine der größten Bedrohungen darstellt. Zugegeben, ich bin, ausgehend vom Fulleren, etwas abgeschweift, aber Biosphäre 2 ruft uns in Erinnerung, wie sehr wir einen ausbalancierten Kohlenstoffkreislauf mit den richtigen Konzentrationen von Sauerstoff, Methan und Lachgas zu schätzen wissen sollten – und dass wir das alles auch in der »Biosphäre 1« keineswegs als selbstverständlich ansehen sollten.

      Der Traum von einem Kohlenstoffblatt mit der Dicke eines einzigen Atoms war nicht neu, aber als er realisiert wurde, geschah das mehr oder weniger zufällig. Es war im Jahre 2004, als Andre Geim und Konstantin Novoselov, etwas vereinfacht formuliert, eine einzelne Schicht Kohlenstoff mithilfe eines Klebebandes von einem Stück Kohle ablösten. Sie erhielten dafür im Jahr 2010 den Nobelpreis für Chemie. Die ultradünne Kohlenstoffschicht, bestehend aus den bekannten Sechsecken, hat überraschende Eigenschaften, was Bruchhärte und Leitungsfähigkeit angeht. Graphen ist 300 Mal härter als Stahl, fast durchsichtig, ein extrem guter elektrischer Leiter, flexibel und nicht brennbar. Kohlenstofffasern vereinen zudem geringes Gewicht und Stärke und sind in diesen Punkten allen Metallen überlegen. Ihr Einsatzbereich ist wie der des Graphens schier unendlich. Einige Forscher träumen davon, Graphen mit dem genetischen Code zu kombinieren, um so einen DNA-basierten Chip herzustellen. Dieser könnte die Datenspeicherung revolutionieren; er wäre die ultimative Synthese aus belebter und unbelebter Materie. Die DNA ist im Grunde ja nichts anderes als ein digitaler Code mit ungeahnter Informationsvielfalt. Basierend auf einem einfachen Alphabet aus nur vier Buchstaben sind alle Informationen, die für die Entstehung eines Menschen nötig sind, in einem mikroskopisch kleinen Zellkern gespeichert. Die Variationsmöglichkeiten, die es braucht, um 7 Milliarden einzigartige Menschen entstehen zu lassen, ergeben sich aus der variierenden Reihenfolge dieser vier Buchstaben. Und die Informationsmenge, die in der DNA in einem einzigen kleinen Zellkern gespeichert ist, entspricht in etwa 6.000 Büchern mit jeweils 500 Seiten. Diese Art der Speicherung ist unendlich effektiver als die Technik selbst des modernsten Supercomputerchips … Was dann erst mit einer Ein-Schicht-Kohlenstoff-Basis Page 51möglich wäre? – Viele unserer klügsten Erfindungen sind letztlich Kopien von Lösungen, die die Evolution schon vor Millionen von Jahren gefunden hat.

      Als Lager für Wasserstoffgas in gasbetriebenen Motoren stellen außerdem Kohlenstoffnanoröhren einen der vielversprechendsten Ansätze dar. Darüber hinaus finden sie als Basis für elektrochemische Detektoren, zur Bestimmung von Metallen und in der Pharmaindustrie Anwendung. Bis jetzt haben wir nur über reine Kohlenstoffverbindungen gesprochen. Richtig interessant sind jedoch all die anderen Verbindungen, die Kohlenstoff sonst noch eingehen kann. Wie schon erwähnt, gibt es etwa 10 Millionen unterschiedliche Kohlenstoffverbindungen, und täglich kommen neue hinzu. Der Kohlenstoff hat zweifelsohne noch ein paar Asse im Ärmel, mit denen er uns in den nächsten Jahren überraschen wird.

      19Die Systematik der anorganischen Chemie ist gut beschrieben in: Nelson, D., Cox, M. (2010): Lehninger Biochemie 4. Auflage. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.

      20Diamanten leben ewig, auf jeden Fall nach unseren Maßstäben, wenn sie nicht einer extremen Kombination aus Druck und Hitze ausgesetzt werden. Eric Roston geht auf dieses Thema in seinem Buch The Carbon Age ein. Die Geschichte des Koh-i-Noor und anderer mythenumwobener Diamanten findet sich in vielen Büchern, die sich aber alle auf ein grundlegendes Werk beziehen: Streeter, E. (1882): The great diamonds of the world. Their history and romance. Ein Auszug findet sich hier: http://famousdiamonds.tripod.com/koh-i-noordiamond.html. Mehr über synthetische Diamanten und die moderne Verwendung von reinem Kohlenstoff findet sich in: Krueger, A. (2010): Carbon Materials and Nanotechnology. Wiley-VCH, Weinheim.

      21Krueger, A. (2010): Carbon Materials and Nanotechnology. Wiley-VCH, Weinheim

      22Richard Buckminster Fuller (1895–1983) spielt in unserer Geschichte keine besondere Rolle und trug nicht weiter zum Verständnis der Kohlenstoffchemie bei. Er ist aber verantwortlich für die Konstruktion seltsamer Gebäude, die wie eine Vorahnung der Struktur der Fullerene erschienen, weshalb diese Moleküle seinen Namen erhielten.

      23Kroto, H. W. et al (1985): C60: Buckminsterfulleren. Nature 318:162–163.

      24Biosphere 2 war vermutlich das extravaganteste, visionärste Experiment, das je auf der Erde ausgeführt wurde. Eine Art CERN der Ökologie. Ob der Ansatz realistisch war, darf diskutiert werden, das Experiment selbst fand aber viel Aufmerksamkeit. Am besten beschrieben ist Biosphere 2 in: Poynter, J. (2008): The Human Experiment. Two Years and Twenty Minutes Inside Biosphere 2. Thunders’s Mouth Press, New York.

      25Ravve, A. (2012): Principles of polymer chemistry. Springer, New York. Ein Meister der Verkleidung: das Weiche, Harte, Runde

      Page 52

       Die Nachkommen der Nylonstrümpfe

      Der Erfolg des Kohlenstoffs als chemischer Partner ist unter anderem dem

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