C -Die vielen Leben des Kohlenstoffs. Dag Olav Hessen
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Im Mittelpunkt von DuPonts und Staudingers Erfolg stand der 15 Jahre jüngere Wallace Carothers. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Nylons sowie des Neoprens und des Polyesters beteiligt. Neopren war das erste vollsynthetische Gummi und ist allen Surfern und Tauchern als Material eines Kälteschutzanzuges bekannt. Polyester besteht aus Ketten von Estern. Carothers konnte sich nicht im Glanz seines Erfolges sonnen, ganz im Gegenteil – er war nicht der Meinung, viel Erfolg im Leben gehabt zu haben. Am 28. April 1937 checkte er in ein Hotel in Philadelphia ein, mixte sich einen Cocktail aus Zitronensaft und Kaliumcyanid – KCN, auch hier wieder das C, doch diesmal in schlechter Gesellschaft. Die Verbindung von Kalium, Kohlenstoff und Stickstoff ergibt ein kristallines Salz, das wie Zucker aussieht, aber äußerst giftig ist. Das war Carothers Ende, doch das Polymer-Märchen ging weiter.
Es ist höchste Zeit, in der Geschichte des Kohlenstoffs das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern Page 58herzustellen. Stephanie Kwolek kam nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu DuPont. Auch sie war im Kielwasser des Nylons auf der Suche nach neuen Materialien. Sie nahm einen Sechserkohlenstoffring mit einem Amin und einer Carboxylsäuregruppe als Seitenketten als Ausgangspunkt. Diese Verbindung ließ sich nur in Schwefelsäure auflösen. Dabei wurde sie zu einer breiigen Masse, aus der, indem man sie durch kleinste Löcher presste, wiederum ultrastarke Fasern gewonnen werden konnten. Der Prozess wurde in mehreren Durchläufen vereinfacht und verbessert, und resultierte schließlich in einem Produkt namens Kevlar. Dieser Stoff lässt sich in Massenproduktion herstellen, ist leichter als Stahl, und dennoch fünf Mal so stark, und wird als Ersatz für Stahl in schusssicheren Westen und Helmen, Seilen, Kabeln, Pardunen und anderen Produkten verwendet, die eine Kombination von Stärke und geringem Gewicht voraussetzen. Außerdem verträgt Kevlar Temperaturen von bis zu 400 °C. Vielleicht sind es Graphit, Diamant und Kevlar, die die stärksten Formen des Kohlenstoffs repräsentieren?
Bevor uns die Cleverness der Menschheit noch komplett zu Kopf steigt, möchte ich an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass uns auch hier die Natur zuvorgekommen ist. Die Polymere in den Seidenfäden der Spinne bestehen aus Ketten großer Proteine mit einer Bruchstärke, die, im Verhältnis zu ihrer eigenen Dicke, selbst der des Kevlars um Längen voraus ist. Um das noch zu toppen, hat dieses Polymer auch noch einen antimikrobiellen Effekt und ist trotzdem vollständig biologisch abbaubar. Auf der Suche nach cleveren Lösungen in den Bereichen Design oder Medizin wandelt der Mensch nur auf den Spuren der Evolution, zum Beispiel durch Forschung zur Nachahmung der Polymerchemie der Spinne.
26Siehe: Nelson, D., Cox, M. (2010): Lehninger Biochemie 4. Auflage. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
27Hermann Staudinger (1881–1965) war ein deutscher Chemiker. Er ver stand nicht nur die Struktur der Polymere, sondern erkannte auch ihre Anwendungsmöglichkeiten. Die Essenz seiner 1920 veröffentlichten, zentralen Arbeit Über Polymerisation ist die Hypothese, dass Gummi und andere Polymere wie Stärke, Zellulose und Proteine aus relativ kleinen Molekülen bestehen, die durch kovalente Bindungen miteinander zu langen Ketten verbunden sind.
28DuPonts großer Forschungseinsatz im Bereich der Polymerchemie sind gründlich dokumentiert: http://cha4mot.com/p_jc_dph.html.
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Kohlenstoff auf Rädern
Als die Sonne den Morgennebel nach einer verregneten Nacht vertrieb, ruderte ich auf »meinen« See hinaus um die Flaschen mit braunem, kohlenstoffhaltigem Seewasser herauszuholen, dem radioaktiver Kohlenstoff zugesetzt worden war, um die Photosynthese der Algen zu messen. Während die Algen beschäftigt waren, schlugen wir das Wasser von der Plane und packten unsere Mikroskope und den anderen experimentellen Krimskrams aus unserem provisorischen Labor zwischen den Nadelbäumen zusammen. Dann holte ich die Flaschen. Sie sind aus Quarz, der Rest ist aus Plastik oder Bakelit, den Früchten der Polymerchemie. Wir stapelten alles in Pappkartons – die auch aus Polymeren in Form von Zellulose bestehen. Diese Kartons wiederum stellten wir in den Kofferraum des heruntergekommenen universitätseigenen Volkswagens Caravelle – und was wäre dieses Auto ohne Kohlenstoffe und Polymerchemie?
Im Jahre 2010 überschritt die Anzahl der Autos auf unserem Planeten eine Milliarde; jedes Jahr werden 60 Millionen neue produziert. Vor hundert Jahren gab es kaum Autos, auch wenn Henry Ford bereits im Jahre 1905 mit der Herstellung seines legendären T-Ford begonnen hatte.29 Ein mit Dampf betriebener Wagen erblickte bereits im Jahre 1769 das Licht der Welt, doch es blieb beim Prototyp. Auch dessen Nachfolger kamen nicht besonders weit. Ein Wasserstoffauto rollte seine Page 60ersten Meter im Jahre 1807, aber niemand entwickelte die Idee weiter. Der Stammvater der Evolution des modernen Autos war vielleicht der Viertaktmotor von Nikolaus Otto oder Karl Benz’ Dreitaktmotor. Beide basieren auf der Umwandlung von Kohlenwasserstoffen in mechanische Energie durch Verbrennung. Essenziell für das Auto ist Benzin – oder Diesel, der von Rudolf Diesel in seinem ersten Viertaktmotor verwendet wurde.
Das Rad ist ohne Frage eine zentrale Komponente jedes Fahrzeugs, und plötzlich wurde dieses Rad neu erfunden.30 Das heißt: Nachdem das kompakte Holzrad vor zirka 4.000 Jahren seine erste Runde drehte (und die Leute es auch davor sicherlich wie die alten Pyramidenbauer gehandhabt hatten, die tonnenweise Steine über runde Holzstämme rollen ließen), folgten das deutlich leichtere Rad mit Speichen und das metallbeschlagene Rad, bevor das Gummirad Ende des 19. Jahrhunderts übernahm. Eine Fahrt mit dem ersten kompakten Gummirad muss sich noch angefühlt haben, wie mit einem Gummiball übers Holz zu rollen – sicher eine wenig bequeme Reise auf den holprigen Wegen der damaligen Zeit. Ende der 1880er Jahre wurde das aufblasbare Gummirad entwickelt. Beim Wettrennen um seine Erfindung kamen der Brite John Dunlop und die französischen Michelin-Brüder zeitgleich über die Ziellinie. In beiden Fällen war ein Fahrrad involviert: Bei John Dunlop handelte es sich um das Dreirad seines Sohnes, das mit aufblasbaren Reifen bezogen wurde, während in Frankreich »natürlich« ein Radrennfahrer mitten im Geschehen stand. Eduard Michelin entwickelte den ersten austauschbaren Fahrradreifen, der kurz darauf in Massenproduktion ging. Der Prototyp saß angeblich am Rad, das das erste Rennen Paris-Brest-Paris im Jahre 1891 gewann, 12 Jahre vor der ersten Tour de France.
Ob nun Dunlop oder Michelin – der mit Luft gefüllte Page 61Reifen war eine Erleichterung für Reisende auf allen Landstraßen, ob sie sich nun mit Autos oder Fahrrädern fortbewegten, ganz zu schweigen vom Pferdefuhrwerk, das zu jener Zeit immer noch das bevorzugte Fahrzeug war. Gummi soll hier unser Stichwort sein, und synthetischer Gummi enthält verschiedene Polymere aus auf Petroleum basierenden Monomeren, die zu langen elastischen Ketten verknüpft werden.
Ein Autoreifen enthält überdies noch mehr reinen Kohlenstoff in Form von Ruß. Jedes Jahr werden bei der unvollständigen Verbrennung von Kohle und Petroleumprodukten mehr als 8 Millionen Tonnen Ruß produziert – 70 Prozent davon landet in Autoreifen, die wiederum zu zwei Dritteln aus Ruß bestehen. Der Ruß in den Reifen ist für ihre Farbe und ihre Strapazierfähigkeit verantwortlich. Ruß, auch als Black carbon bekannt, wird auch in anderen Bereichen als Pigment verwendet. Batteriekomponenten, Plastikkarosserien und Interieur-Gegenstände werden ebenfalls aus Materialien hergestellt, in denen C eine zentrale Rolle spielt.
Als Henry Ford die Massenproduktion seines Ford-Modells aufnahm, kam niemand auf den Gedanken, dass der damalige Inbegriff des menschlichen Fortschritts und der Freiheit eine dunkle Seite haben sollte. Diese Seite ist uns nun bekannt, und abgesehen von Staus, Unfällen und größerer Nachfrage an Asphalt ist vor allem das Restprodukt der Verbrennung, das CO2, das Problem. Das »Michelin-Männchen« ist nicht nur das Symbol eines