C -Die vielen Leben des Kohlenstoffs. Dag Olav Hessen

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Heringsbestände haben sich zum Wohl dieser Page 67Vögel gerade rechtzeitig wieder erholt. Die Papageientaucher sind so etwas wie die Kanarienvögel der Meere. So, wie Kanarienvögel die Grubenarbeiter vor gefährlichen Methankonzentrationen warnen, die diese selbst nicht bemerken können, hatten uns die Jahre mit den verhungerten Papageientaucherküken nur allzu deutlich gezeigt, dass in den Tiefen unserer Meere etwas fundamental in Unordnung geraten war. Wir hatten den dichtesten Fischbestand der Welt durch Überfischung beinahe ausgerottet. Die eingebrochenen Populationen von Möwen, Sturmvögeln, Tordalken und Krähenscharben zeigen uns nun weitere Veränderungen in den Meeren an, die wir mit bloßem Auge nicht erkennen können.

      Nur wenige Vogelarten scheinen gegen diese Entwicklung immun zu sein. So die Basstölpel, die die neue Zeit nutzen und mittlerweile überall auf der Insel farbenfrohe Nester aus Nylonseilen bauen. Aber warum ist die Situation gerade für die Seevögel so dramatisch? Die Antwort ist komplex, denn sowohl die Überfischung als auch der Klimawandel spielen eine Rolle. Die Bestände der Seevögel schwankten schon immer, der kollektive Niedergang ist aber ein dramatisches Warnzeichen. Lange galt die Verschmutzung durch ausgelaufenes Öl als Hauptbedrohung für die Seevögel – und das aus gutem Grund. Mittlerweile sieht es aber so aus, als wäre das Öl auch in Form von Plastik eine ernsthafte Bedrohung für die Vogelwelt.

      Auf YouTube finden sich herzerweichende Szenen von toten und sterbenden Albatrosjungen mit Plastik im Magen. Die Sturmvögel, die auf der Jagd nach Plankton und anderem Futter weite Strecken über das Meer fliegen, nehmen bei der Nahrungsaufnahme häufig Plastik mit auf. Das kann ein Grund für die dramatische Abnahme des Bestandes sein, die weltweit zu beobachten ist. In einer Studie fanden sich Plastikfragmente in 95 Prozent der untersuchten Vogelmägen. Ein Ort, an dem die Sturmvögel häufig auf Nahrungssuche gehen, ist die Nordsee. In die Page 68gelangen jährlich etwa 20.000 Tonnen Abfall, drei Viertel davon Plastik. Etwa 15 Prozent davon treiben an der Oberfläche, zum Nachteil für die Sturmvögel. 70 Prozent sinken auf den Meeresboden und beeinträchtigt die dort lebenden Tiere und Pflanzen. Das Plastik, das an unsere Strände gelangt, macht nur 15 Prozent des gesamten Plastiks im Meer aus. Dazu kommt noch das Mikroplastik, die Mikrometer großen Plastikkügelchen, die zu einem neuen Must have in Zahncreme, Hautcreme und Schleifmitteln geworden sind.

      Auch eine Reihe anderer Tierarten nimmt Plastik auf, und selbst Mikroplastik gelangt in die Nahrungskette. Plastik enthält eine ganze Reihe von organischen Umweltgiften wie PCB, PAK, Pestizide, bromierte Flammschutzmittel und andere organische, kohlenstoffreiche Moleküle. Besonders berüchtigt sind einige Weichplastikprodukte für ihre Phtalate, Ester der Phtalsäure, die die unschöne und nicht beabsichtigte Eigenschaft haben, hormonaktiv zu sein und damit die natürliche Wirkung von Hormonen zu hemmen. Der Körper deutet die Phtalate fälschlicherweise als Östrogene, was im schlimmsten Fall zu Fortpflanzungsstörungen führt.

      Mit diesem etwas düsteren Seitenblick auf die Nachteile der Beständigkeit des Plastiks verlassen wir die synthetischen Polymere, ohne ein abschließendes moralisches Urteil zu fällen. Der Kohlenstoff hat uns durch die Polymerchemie zweifellos Produkte mit fantastischen Eigenschaften geschenkt, ohne die die Welt, wie sie heute ist, undenkbar wäre. Plastik ist nur eines von vielen Beispielen für Produkte, die im Übermaß problematisch werden und deutlich machen, dass es zu viele Menschen gibt, auf jeden Fall zu viele, die irgendetwas aus Kohlenstoff herstellen wollen.

      31Nur wenige Dinge symbolisieren die Abkehr vom Technologieoptimismus besser als das Plastik. Vom Wundermittel und der Speerspitze der Modernität, wurde es – vor allem im Westen – zum Problemmüll. Der zunehmende Konsum der weiter wachsenden Weltbevölkerung äußert sich in immer höheren Müllbergen, doch während sich der organische Müll zersetzt und die dabei anfallenden Methangase als Biogas genutzt werden können, akkumuliert sich das Plastik. Mehr dazu in: Eriksen, T. H. (2011): Søppel. Avfall i en verden av bivirkninger. Aschehoug. Jambeck, J. R. et al. (2015): Plastic waste inputs from land into the ocean. Science 437: 768–771.

      32Jambeck, J. R. et al. (2015): Plastic waste inputs from land into the ocean. Science 437: 768–771.

      33Hessen, D. O. (2014): Harvest magasin.

      34Weisman, A. (2008): Die Welt ohne uns. Piper.

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       Synthia als Kohlenstofffabrik

      Das Leben und Wirken von uns Menschen besteht in vielerlei Hinsicht darin, uns die Natur untertan zu machen. Während wir über weite Teile unserer Vor- und Frühgeschichte den Launen der Natur preisgegeben waren, haben wir mittlerweile die Kausalzusammenhänge verstanden und nutzen dieses Wissen, um Feuer, Tiere, Fluten und Krankheiten zu bändigen. Mit der zunehmenden Kontrolle über die Natur realisieren wir aber mehr und mehr, dass diese Kontrolle nur von begrenzter Dauer ist. Bakterien und Parasiten haben zu den Waffen der Resistenz gegriffen, Wind und Wetter sind wir noch immer ausgesetzt, und unsere Wasser- und Nahrungsressourcen sind alles andere als unbegrenzt. Dabei wachsen die Weltbevölkerung und ihre Ansprüche beinahe ungebremst. Während die Bevölkerungszahl zunimmt, gibt es immer weniger intakte Natur, was uns vor Augen führen sollte, dass wir keineswegs unabhängig von der Natur sind. Kann im ewigen Kampf gegen Pest und Cholera, gegen die zunehmende Nahrungsmittelknappheit und die Versorgungsengpässe bei Medizin und Rohstoffen möglicherweise das Leben selbst die Lösung bieten? Unsere Kultur basiert darauf, andere Arten in unseren Dienst zu stellen. Vielleicht können wir diesen Gedanken sogar weiterspinnen, denn es ist möglich, dass die ultimative Lösung vieler unserer anstehenden Herausforderungen bei den Bakterien liegt.

      Am 26. Juni 2000 wurde »eine der größten Entdeckungen der Menschheit« bekanntgegeben: das menschliche Genom (das gesamte Erbmaterial) war entschlüsselt worden. Der damalige amerikanische Präsident Bill Clinton äußerte sich auf eine Weise, wie man es in einem Land tun muss, in dem Darwin noch immer mit tiefer Skepsis betrachtet wird: »Wir sind nun in der Lage, die Sprache zu lernen, die Gott nutzte, als er die Welt erschuf.« In der Page 71Pressemitteilung des Weißen Hauses hieß es weiter: »Die Nachricht des Tages ist der Beginn einer neuen Ära der genetischen Medizin«. Es wurde aber auch eingeräumt, dass die »Sequenzierung nur ein erster Schritt in Richtung einer vollständigen Entschlüsselung des Genoms ist, da ein Großteil der individuellen Gene und ihrer spezifischen Funktionen noch gedeutet und verstanden werden müssen.«

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