Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Aber nie wirst du den Vers von Sainte-Beuve ganz verstehen:
»Im selben Haus geboren werden, leben
Und sterben…«
Tausend Küsse. Deine alte Freundin
Adelaide.
*
Magnetismus?
Die Herrengesellschaft war zu Ende, und damit begann das endlose Zigarrenrauchen und das unaufhörliche Liqueurtrinken im Rauche. Die Köpfe waren von dem vielen Durcheinander von Speisen und Getränken nicht mehr ganz klar, und eine schlaffe Verdauungsruhe herrschte.
Man kam auf den Magnetismus zu sprechen, auf die Wunderkuren Donatos und die Erfahrungen des Dr. Charcot. Und mit einem Male begannen diese blasierten, lächelnden, jeder Religion abholden Lebemänner, sich die merkwürdigsten Geschichten zu erzählen, lauter unglaubliche aber wahre Begebenheiten, wie sie versicherten; sie fielen plötzlich wieder in die abergläubischesten Vorstellungen zurück, klammerten sich an diesen letzten Rest des Geheimnisses an und beugten sich dem Magnetismus, den sie im Namen der Wissenschaft verteidigten…
Nur einer lächelte hartnäckig; er war ein übermütiger Gesell und großer Schürzenjäger; sein Unglauben war so fest eingewurzelt, dass er nicht einmal zulassen wollte, dass über diesen Gegenstand geredet wurde.
– Unsinn! Unsinn! Unsinn! rief er höhnisch dazwischen. Über Donato ist garnicht erst zu reden, er ist ganz einfach ein schäbiger Quacksalber. Und Herr Charcot, der ja ein namhafter Arzt sein soll, macht mir immer den Eindruck eines Fabulisten vom Schlag Edgar Poes: er denkt über besondere Fälle von Verrücktheit so lange nach, bis er selber verrückt wird… Er hat Nervenzustände konstatiert, die unerklärlich und jedenfalls noch unerklärt sind; er lebt in jenem Unbekannten, das tagtäglich unsern Witz herausfordert, und da er nicht immer alles versteht, was er sieht, macht er vielleicht von den religiösen Erklärungen des Geheimnisvollen einen zu ausgiebigen Gebrauch. Außerdem möchte ich ihn selbst einmal hören; das ist etwas ganz andres, als was Sie mir hier nacherzählen.
Diese Worte des Ungläubigen riefen unter den Anwesenden eine mitleidige Bewegung hervor, als ob er in einer Gesellschaft von Mönchen Lästerliches gesagt hätte.
– Jedenfalls hat es früher Wunder gegeben! bekräftigte einer der Herren.
– Das leugne ich. Sonst müsste es ja auch heute noch welche geben.
Da brachte nun jeder ein Beweisstück vor, fantastische Vorahnungen und Mitteilungen von Seelen durch weite Räume, geheime Einflüsse eines Wesens auf das andere u. s. w. Und diese Tatsachen wurden beteuert und für unbestreitbar erklärt, während der hartnäckige Leugner immer noch sein »Unsinn! Unsinn! Unsinn!« dazwischen schrie.
Endlich stand er auf, warf seine Zigarre fort, steckte die Hände in die Taschen und begann:
– Nun wohl. Auch ich kann Ihnen zwei Geschichten der Art erzählen, die ich Ihnen aber nachher erklären werde. Die eine ist folgendermaßen.
Die Männer des kleinen Stranddorfes Étretat sind sämtlich Fischer und fahren jedes Jahr nach den Bänken von Terre-Neuve zum Stockfischfang. Eines Nachts nun wachte das Kind eines der Fischer plötzlich auf und schrie: »De Vatter is im Mee ätunken!« Man beruhigte den Schreihals, aber bald wachte er von Neuem auf und heulte, sein »Vatter wäre ätunken«. Einen Monat spater wurde nun wirklich bekannt, dass der Vater von einer Sturzsee erfasst und von der Brücke ins Meer geschleudert worden wäre, wo er seinen Tod gefunden hätte. Da schrie nun alles: »Ein Wunder! Ein Wunder!« und regte sich groß auf. Es wurde nachgerechnet, und es fand sich, dass der Unfall und der Traum ungefähr zusammenfielen. Daraus wurde dann geschlossen, dass beides in derselben Nacht und zur selben Stunde geschehen wäre. Das ist so ein Wunder der Fernwirkung…
Der Erzähler hielt inne.
– Und wie erklären Sie das? fragte einer der Zuhörer sehr erregt.
– Sehr gut, meine Herren; ich habe das Geheimnis gelüftet. Die Tatsache hatte mich allerdings verblüfft und selbst lebhaft beunruhigt; aber sehen Sie, ich glaube grundsätzlich an nichts. Wie die anderen damit anfangen zu glauben, so fange ich damit an zu zweifeln. Und wenn ich es auch garnicht begreife, so leugne ich doch ruhig weiter fort, dass es eine Fernwirkung von Seelen gibt, und ich bin gewiss, dass mein Scharfsinn allein ausreicht. Nun wohl, ich habe also gesucht und gesucht, bis ich es heraus hatte. Ich fragte alle Weiber der abwesenden Fischer aus und überzeugte mich, dass keine Woche verging, wo nicht eines von ihnen oder eines der Kinder davon träumte, dass sein »Vatter im Meer ätunken« wäre, und dies beim Erwachen ausposaunte. Die beständige schreckliche Furcht vor diesem Unglück ließ sie stets davon reden, immer daran denken. Wenn nun eine dieser häufigen Ahnungen durch einen ganz einfachen Zufall mit einem solchen Unglücksfalle zusammentrifft, schreit alles gleich: »Ein Wunder!« – und alle anderen Träume und Vorahnungen, alle unglücklichen Prophezeiungen, die sich nicht erfüllt haben, werden vergessen. Ich selbst habe an die fünfzig in der Erinnerung, von denen der Urheber schon acht Tage später nichts mehr wusste. Wäre aber der Mann wirklich umgekommen, dann wäre das Gedächtnis unversehens erwacht, und die einen hätten ein Wunder Gottes, die anderen den Magnetismus gepriesen.
– Das ist alles ganz richtig, was Sie da sagen, unterbrach ihn einer der Raucher. Aber wie steht es mit Ihrer anderen Geschichte?
– Oh, meine andere Geschichte ist ein heikeles Thema. Sie ist mir selbst begegnet, und darum misstraue ich meiner eigenen Ansicht darüber ein wenig. Man kann nicht Richter und Partei zugleich sein. Nun also, die Sache war folgende:
– Unter meinen Bekanntschaften, die ich hatte, befand