Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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Schluch­zen nachließ, be­gann sie plötz­lich mit­teil­sam zu wer­den. Es war, als ob sie ein las­ten­des Ge­heim­nis los­wer­den und ihr Herz ei­nem teu­ren Men­schen aus­schüt­ten woll­te.

      Die bei­den Frau­en schrit­ten, sich mit ver­schlun­ge­nen Hän­den hal­tend, auf das Sofa zu, das im Grun­de des Zim­mers stand, und lie­ßen sich dar­auf nie­der. Die jün­ge­re Schwes­ter schlang ih­ren Arm um den Hals der äl­te­ren und zog de­ren Kopf an ihr Herz, wäh­rend sie auf­merk­sam zu­hör­te.

      – Ja, be­gann jene, ich be­ken­ne mich ohne Um­schwei­fe schul­dig. Ich ver­ste­he mich selbst nicht mehr. Seit je­nem Tage bin ich wie toll. Sieh du dich nur vor, Klei­ne, pass auf dich auf. Wenn du wüss­test, wie schwach wir sind, wie leicht wir nach­ge­ben, wie schnell wir fal­len! Ein Nichts, ein gan­zes klei­nes Nichts ge­nügt, eine zärt­li­che Re­gung, eine je­ner plötz­li­chen An­wand­lun­gen von Schwer­mut, die uns­re See­le durch­zie­hen, ein Be­dürf­nis, die Arme auf­zu­tun, zu küs­sen und zu her­zen, wie wir es alle in ge­wis­sen Au­gen­bli­cken ver­spü­ren.

      Du kennst mei­nen Gat­ten, und du weißt, wie lieb ich ihn habe, aber er ist ge­setzt und ver­stän­dig, und ahnt nichts von all den zärt­li­chen Re­gun­gen ei­nes Frau­en­ge­mü­tes. Er ist sich im­mer gleich, im­mer gü­tig und lä­chelnd, im­mer ge­fäl­lig, im­mer voll­kom­men. O wie gern möch­te ich, dass er mich manch­mal jäh in sei­ne Arme ris­se, dass er mich mit je­nen lang­sa­men und tie­fen Küs­sen be­glück­te, die zwei See­len ver­ei­nen und wie stum­me Lie­bes­schwü­re sind; wie wünsch­te ich, dass er sich manch­mal ver­gä­ße und Schwä­chen zeig­te, dass er ein Be­dürf­nis nach mir und mei­nen Lieb­ko­sun­gen, mei­nen Trä­nen hät­te!

      Das al­les ist dumm, wie er sagt, aber wir sind doch nun ein­mal so. Was kön­nen wir da­für?

      Und doch ist es mir nie in den Sinn ge­kom­men, ihn zu be­trü­gen. Heu­te ist es nun so ge­kom­men, ohne Lie­be, ohne Grund, ohne Ur­sa­che, nur weil es in ei­ner Mond­nacht am Vier­wald­stät­ter­see war.

      Den gan­zen Mo­nat lang, wo wir auf Rei­sen wa­ren, hat­te mir mein Mann mit sei­ner ewi­gen Gleich­mü­tig­keit alle Be­geis­te­rung ge­nom­men, al­les Hoch­ge­fühl er­stickt. Wenn wir so mor­gens bei Son­nen­auf­gang die stei­len Hän­ge im Ga­lopp her­un­ter­feg­ten, vier Pfer­de vor der Post­ka­le­sche, und ich durch den durch­sich­ti­gen Früh­ne­bel hin­durch die lang­ge­streck­ten Tä­ler und Wäl­der, die Flüs­se und Städ­te er­blick­te, und ent­zückt in die Hän­de klatsch­te und sag­te: »Wie schön ist das! Mein Freund, küs­se mich doch!« – dann ant­wor­te­te er mit wohl­wol­len­dem, fros­ti­gen Lä­cheln und zuck­te da­bei mit den Ach­seln: »Das ist doch kein Grund, sich zu küs­sen, weil die Land­schaft dir ge­fällt!«

      So et­was er­käl­tet mich im­mer bis ins Herz hin­ein. Denn mir scheint, wenn man sich lieb hat, muss man im­mer Lust ha­ben, sich noch mehr zu lie­ben, wenn ein sol­ches Na­tur­spiel uns be­wegt.

      Zu­dem hat­te ich manch­mal poe­ti­sche Wal­lun­gen, die er durch sei­ne blo­ße An­we­sen­heit un­ter­drück­te. Was soll ich dir sa­gen? Ich war nicht viel an­ders als ein Kes­sel voll Dampf, der luft­dicht ver­schlos­sen ist.

      Ei­nes Abends, wir wa­ren schon seit vier Ta­gen in ei­nem Ho­tel in Flue­len, hat­te Ro­bert et­was Mi­grä­ne und war dar­um gleich nach dem Es­sen zu Bett ge­gan­gen; und ich ging ganz al­lein am Ran­de des Sees spa­zie­ren.

      Die Nacht war zau­ber­haft. Der Voll­mond stand hoch am Him­mel; die großen Ber­ge mit ih­ren Schnee­häup­tern wa­ren mit Sil­ber um­säumt, und über das tief­schwar­ze Was­ser gin­gen leich­te Licht­schau­er. Die Luft war weich, sie war von je­ner be­zau­bern­den Wei­che, die uns schwach bis zum Um­fal­len macht und uns ohne Ver­an­las­sung zärt­lich stimmt. Wie ist die See­le in sol­chen Mo­men­ten emp­find­sam! Wie bebt sie! Wie leicht regt sie sich dann und wie stark emp­fin­det sie al­les!

      Ich setz­te mich ins Gras und ließ mein Auge auf die­sem großen, träu­me­ri­schen, be­zau­bern­den See ru­hen, und et­was Selt­sa­mes ging in mir vor. Ich emp­fand plötz­lich ein un­er­sätt­li­ches Ver­lan­gen nach Lie­be, eine Em­pö­rung ge­gen die trü­be Platt­heit mei­nes Le­bens. Soll­te es mir nie ver­gönnt sein, am Arm ei­nes ge­lieb­ten Man­nes das hohe Ufer ei­nes mond­be­glänz­ten Sees zu um­wan­deln? Wür­de ich nie jene tie­fen, sü­ßen, be­tö­ren­den Küs­se auf mich ein­drin­gen füh­len, wie man sie in sol­chen Mond­näch­ten aus­tauscht, die von Gott ei­gens für die Lie­be ge­schaf­fen schei­nen? Soll­te ich nie in mond­hel­ler Som­mer­nacht von trun­ke­nen Ar­men zit­ternd um­spannt wer­den?

      Und ich be­gann zu wei­nen, wie eine Tö­rin. Da – hör­te ich Geräusch in mei­nem Rücken: ein Mann stand hin­ter mir und blick­te mich an. Als ich den Kopf wand­te, er­kann­te er mich und kam nä­her. »Sie wei­nen, gnä­di­ge Frau?« frag­te er zart­füh­lend. Es war ein jun­ger Ad­vo­kat, der mit sei­ner Mut­ter reis­te und den wir schon mehr­fach ge­trof­fen hat­ten. Sei­ne Au­gen hat­ten oft auf mir ge­ruht.

      Ich war so au­ßer Fas­sung, dass ich nicht wuss­te, was ich sa­gen und den­ken soll­te. Ich stand auf und sag­te, dass ich krank wäre. Er schritt un­ge­zwun­gen und ehr­er­bie­tig ne­ben mir her und sprach von un­se­rer Rei­se. Al­les, was ich emp­fun­den hat­te, deu­te­te er sich. Al­les, wes­we­gen ich zit­ter­te, ver­stand er wie ich, bes­ser als ich. Und plötz­lich sag­te er mir Ver­se, Ver­se von Mus­set. Ich brach in Trä­nen aus, von un­aus­sprech­li­cher Sehn­sucht ge­packt. Mir war, als wä­ren die Ber­ge dro­ben, der See und der Mond­schein voll un­ver­gäng­lich sü­ßer Mu­si­k…

      Und so kam es, ich weiß selbst nicht wie, ich weiß selbst nicht warum, es war wie in ei­ner Art von Traum­wa­chen…

      Was ihn be­trifft… ich habe ihn nur noch am nächs­ten Tage ge­se­hen, es war bei der Ab­fahrt. Er hat mir sei­ne Kar­te ge­ge­ben…

      Frau Létoré sank er­schöpft in die Arme ih­rer Schwes­ter und stieß Seuf­zer auf Seuf­zer, fast Schreie aus.

      Und Frau Roubè­re sag­te ernst und ge­sam­melt, aber sanft:

      – Siehst du, große Schwes­ter, oft ist es nicht ein Mann, den wir lie­ben, son­dern die Lie­be. Und an die­sem Abend war der Mond­schein dein wah­rer Ge­lieb­ter.

      *

      Das Meer lag ru­hig und glän­zend, wie ein Spie­gel, von der an­drin­gen­den Flut­wel­le kaum ge­kräu­selt. Die gan­ze Be­völ­ke­rung stand auf dem Ha­fen­damm und sah dem Ein­lau­fen der Schif­fe zu.

      Sie wa­ren schon weit­hin sicht­bar und zahl­reich, große Damp­fer mit der Rauch­fe­der am Schorn­stein, und Se­gel­schif­fe, von klei­nen Schlepp­damp­fern ge­zo­gen und mit nack­ten Mas­ten gen Him­mel star­rend, wie ent­laub­te Bäu­me.

      Sie ka­men von al­len vier Win­den in die enge Mün­dung des Ha­fens ein­ge­lau­fen, der die­se Un­ge­tü­me alle ver­schlang, wäh­rend sie stöhn­ten und kreisch­ten und zisch­ten und Dampf­strö­me aus­spien, als wä­ren

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