Nagasaki, ca. 1642. Christine Wunnicke
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Читать онлайн книгу Nagasaki, ca. 1642 - Christine Wunnicke страница 4
»Was?«
»Nagasaki.«
»Gönnst du mir einen ganzen Satz, Keijiro?«
Herr Seki räusperte sich. Einen Moment lang wünschte der Schwiegervater, er hätte nichts gefragt. Einen Moment lang wünschte er, er wäre im Westflügel geblieben oder hätte seine Tochter ins Kloster begleitet.
»Ich trete einen Posten in Nagasaki an«, sagte Herr Seki leise und warf einen unklaren Blick durch das Binsengitter vor seinen Augen, »beim dortigen Statthalter, der lieber in Yedo Speichel leckt, als in Nagasaki sein Amt zu versehen, weshalb ich für ihn die Barbaren verwalte, die fremden Kaufleute in ihrer Umzäunung.«
Da war der Schwiegervater recht sprachlos.
»Es geht mir um die Orandesen«, sagte Keijiro. Dieses Wort kaute er langsam.
»Orandesen«, echote der Schwiegervater, zu verdutzt, um verschüttetes Wissen auszugraben; auf den Kopf zu gefragt, hätte er wohl nicht beantworten können, worum es sich hierbei handelte.
»Und wie ging das zu?« Der Schwiegervater hörte aus seiner Stimme einen lamentierenden Ton heraus, der ihn an seine Tochter erinnerte. Er räusperte sich nun seinerseits.
»Ein Brief hin«, sagte Keijiro, »ein Brief zurück.«
»Und warum …«
»Ich verfolge Nachrichten über Oranda seit einundvierzig Jahren.« Wieder warf er einen Blick durch die Binsen, unlesbar, nicht angenehm. »Seit man letzthin für die Christen die Grenzen geschlossen hat …« Er stockte. »Seit die Christen vertrieben sind …«, begann er erneut und brach ab. »Die Orandesen sind seit der Abreise der Christen die einzigen Fremden, die dem da …« – er zeigte mit dem Daumen nach Osten – »… genehm sind, und deshalb …«
»Du sollst den Oberkommandanten nicht ›den da‹ nennen und nicht in seine Richtung zeigen, als wäre das ein Baum oder ein Pferd oder was weiß ich«, rügte ihn der Schwiegervater.
Keijiro stöhnte. »Seit unser aller edler Herr Oberkommandant in Yedo, der kleine Iemitsu …«
»Du sollst ihn nicht ›den kleinen Iemitsu‹ nennen, Blitz und Kugelblitz!«, rief der Schwiegervater.
»Ich kannte ihn, als er klein war. Jetzt kenne ich ihn nicht mehr, erfreulicherweise.«
Der Schwiegervater blieb jetzt stumm. Er wollte nicht versehentlich eine dieser Geschichten über den kleinen Iemitsu hervorlocken. Als er ein berühmter Mann gewesen war, hatte Herr Seki die Söhne des damaligen Oberkommandanten unterrichten dürfen, vor allem jenen, der nun selbst Oberkommandant war. Manchmal, wenn er getrunken hatte, erzählte Herr Seki recht breit davon, und jedesmal musste der Schwiegervater lachen und bangte dann tagelang um seinen Kopf.
»Seit der großmächtige Herr Tokugawa Iemitsu es für gut befand, die Christen abzuschaffen«, sagte Keijiro endlich, »sind die Orandesen allein. Das passt mir. Ich habe einundvierzig Jahre darauf gewartet, dass man sie mir zu einem handlichen Bündel schnürt. Jetzt tat man mir die Gnade.« Er verschob die Unterlippe zu einer Art Lächeln. Der Schwiegervater war nun so verwirrt, dass er sich überhaupt keinen Reim mehr auf Orandesen machen konnte und auch keinen Reim auf seinen Schwiegersohn.
Sie saßen viele Minuten schweigend da.
»Wenn du einen Posten beim Statthalter hast, solltest du dort vielleicht auch nicht verkünden, dass der Statthalter in Yedo Speichel leckt«, murmelte der Schwiegervater.
»Ah«, sagte Keijiro.
Das Haus war still. Vielleicht waren sie inzwischen allesamt ins Kloster verschwunden. Der Schwiegervater linste durch Keijiros Hut. Er dachte, welch furchtbarer Mann das gewesen sei, welch furchtbarer Mann das vielleicht immer noch war, der furchtbare Seki Keijiro, wie er hockte und webte und trank und lauerte, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, und nicht vernünftig älter wurde, mit seiner ewigen furchtbaren offenen …
»Ist es der Statthalter? Die Sippe des Statthalters?«, flüsterte der Schwiegervater. Er warf einen Blick auf das andere Schwert, das blank dalag, während der Reisleim trocknete.
»Nein«, sagte Keijiro, »die Orandesen. Du hörst mir nicht zu.«
Dem Schwiegervater fiel dazu noch immer nichts ein.
»Ich habe eine offene Angelegenheit«, sagte Keijiro, »sie betrifft Orandesisches, und ich weiß auch nicht viel besser als du, was das eigentlich ist, und jetzt ist es soweit, und erzähl es bitte nicht meiner Frau.«
Dann nahm er den Hut ab und das Handtuch vom Kopf und kratzte ausgiebig seinen geschälten, geschuppten, für einen anständigen Posten anständig frisierten Kopf, und dann begann er zu lachen, und er lachte lange, völlig vergnügt, oder zumindest fast.
Zwei Tage später brach er mit kleinem Gefolge auf. Der Schwiegervater ritt ein Stück mit ihm. Auf dem Rückweg würde er seine Tochter im Kloster abholen. Seki Keijiro hatte den Webstuhl dabei, in praktische Teile zerlegt, und er trug noch immer den Binsenhut, und das andere Schwert, in einer schönen roten Tasche, trug er über dem Rücken.
8
An einem hellen, heißen Julimorgen mitten im japonesischen Archipel, als schon alles voller japonesischer Schiffe war, brachte jemand auf der Middelburg plötzlich ein Dokument des Mutterhauses der Kompanie zutage, worin geschrieben stand, wie man sich in Japonica zu betragen habe.
Die gesamte Besatzung wurde zusammengetrommelt, und der säumige Mensch mit dem Dokument, der sein wehes Gewissen, es monatelang vergessen zu haben, durch Gebrüll zu besänftigen suchte, mühte sich sehr, dreißig ungelesene Seiten aus dem Stegreif zusammenzufassen. Abel van Rheenen wippte in der ersten Reihe stolz auf den Zehenspitzen, vom babbelnden Nichts zum Japonica-Kenner avanciert. Er beherrschte schließlich die Sprache.
Das Dokument stieß vor allem Warnungen aus: nur reden, wenn gefragt, und auch dann besser nicht; stets sich für alles entschuldigen; Staatssachen nicht erwähnen; die Heimat verschweigen; nichts anfassen; nicht trinken, was offeriert wird; nichts zu trinken offerieren; sich immer bedanken; immer die Hände waschen; erst die sinesische Seide verkaufen; Degen tragen; Hut tragen; Stiefel unter Umständen ablegen … »Und kein Wort über Gott«, brüllte der Verwahrer des Dokuments, »bei Christi Blut und Wunden, nie ein Wort über Gott!«
Den Dolmetsch trafen hilfeheischende Blicke.
»Ist Fort Decima eine niederländische Festung?«, erkundigte sich Abel van Rheenen kühl. Der Augenblick behagte ihm. Er bekam keine Antwort.
»Geistliches Schrifttum«, brüllte der Mann mit dem Dokument, »geistliche Bilder, Symbole, Münzen …«
»Hände waschen?«, fragte Abel van Rheenen.
Der Kapitän angelte aus seinem Hemdkragen ein Sankt-Nikolaus-Amulett, nahm es ab und steckte es sich in den Stiefel. Oh, jetzt sehnte er sich nach seiner papistischen Schleimspur, der hochprächtige Misthammel! Abel grinste.
Die japonesischen Schiffe kamen näher. Es waren schon die Lotsen. Für solche Schiffe, fand Abel, musste man sich in der Tat nicht die Hände waschen. Er setzte den Hut auf, legte den Degen an und blickte stolz vom Deck in