Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf

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Die Löwenskölds - Selma Lagerlöf

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alles, was der Vater sagte, verstehen; und der Sohn lauschte den Worten des Vaters ohne die geringsten Gewissensbisse. Vielleicht hatte er nicht einmal gehört, dass es unrecht sei, eine Beichte mit anzuhören. Jedenfalls hätte der Vater keine gefährlichen Geheimnisse zu enthüllen, davon war er fest überzeugt.

      Nachdem Ingilbert eine Weile an der Luke gestanden hatte, ging er wieder zu seiner Schwester hin.

      »Was habe ich gesagt?«, begann er. »Der Vater erzählt gerade dem Propst, er und Mutter hätten dem alten General Löwensköld den Königsring gestohlen.«

      »Ach, Gott erbarme sich!«, rief die Schwester. »Sollen wir dem Propst nicht sagen, dass das eine Lüge ist und nur etwas, was er sich andichtet?«

      »Jetzt können wir nichts tun«, versetzte Ingilbert. »Jetzt muss man ihn reden lassen, was er will. Wir können ja nachher mit dem Propst sprechen.«

      Danach schlich er wieder an die Luke hin, um zu horchen. Und es dauerte lange, bis er aufs Neue zu der Schwester trat. »Jetzt sagt er, in derselben Nacht, da er und Mutter drunten in dem Grabe gewesen seien und den Ring gestohlen hätten, sei der Mellomhof abgebrannt. Und er glaubt, der General sei es gewesen, der das Haus angezündet hat.«

      »Ach, das ist nur so eine Grille, das merkt man gleich«, sagte die Schwester. »Uns hat er ja gewiss Hunderte von Malen gesagt, der Starke Bengt habe den Mellomhof angezündet.«

      Ingilbert stand schon wieder an seinem Horchposten, ehe sie ausgesprochen hatte. Er blieb lange dort stehen und horchte, und als er dann wieder zu der Schwester trat, war er beinahe aschgrau im Gesicht.

      »Er sagt, der General sei es, der ihm all das Unglück geschickt habe, um ihn zu zwingen, den Ring zurückzugeben. Er sagt, Mutter habe Angst bekommen und gewollt, dass sie nach Hedeby gehen und dem Rittmeister den Ring zurückgeben sollten. Vater hätte ihr auch nur zu gern gehorcht, aber er habe es nicht gewagt, weil er meinte, sie würden dann alle beide gehängt werden, wenn sie mit dem Bekenntnis herausgerückt wären, dass sie einen Diebstahl an einem Toten verübt hatten. Und dann habe es Mutter nicht mehr aushalten können, und so sei sie hingegangen und habe sich ertränkt.«

      Jetzt wurde auch die Schwester vor Entsetzen aschgrau im Gesicht.

      »Aber«, sagte sie, »Vater hat doch immer gesagt, es sei …«

      »Ja, gewiss, gerade jetzt hat er dem Propst erklärt, er habe es nie gewagt mit irgendeinem Menschen darüber zu sprechen, wer es gewesen wäre, der all das Unglück über ihn verhängt hätte. Nur zu uns Kindern, die nichts davon verstünden, habe er gesagt, es verfolge ihn einer, der der Starke Bengt genannt werde. Er sagte, die Bauersleute hätten den General Starken Bengt genannt.«

      Märta Bårdstochter sank auf dem Steinblock ganz in sich zusammen.

      »Aber dann ist es ja wahr«, flüsterte sie so leise, wie wenn dies ihr letzter Atemzug wäre.

      Sie sah sich nach allen Seiten um. Die Sennhütte stand am Ufer eines Waldweihers, und ringsum erhoben sich düstere bewaldete Bergrücken. Weit und breit war keine menschliche Behausung zu sehen, und es gab niemand, zu dem sie sich hätte flüchten können. Hier herrschte die große, undurchdringliche Einsamkeit.

      Und es war ihr, als stünde dort im Dunkel unter den Bäumen der Tote auf der Lauer, neues Unglück über sie zu bringen.

      Sie war noch ein solches Kind, dass sie die Schande und die Schmach, die die Eltern auf sich geladen hatten, gar nicht recht begreifen konnte; es war ihr, als würden sie alle von einem Gespenst verfolgt, einem unversöhnlichen allmächtigen Wesen aus dem Reich der Toten. Sie erwartete, dieses Gespenst vielleicht schon im nächsten Augenblick vor sich auftauchen zu sehen, und sie bekam solche Angst, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.

      Sie dachte an den Vater, der nun seit sieben Jahren mit derselben Angst in der Seele herumgegangen war. Jetzt war sie vierzehn Jahre alt, und als der Mellomhof abbrannte, war sie sieben gewesen. Der Vater hatte also die ganze Zeit gewusst, dass der Tote auf der Jagd nach ihm gewesen war.

      Nun durfte er sterben, und das war gut für ihn. – Ingilbert war wieder an der Luke gewesen, jetzt kam er aufs Neue zu ihr zurück.

      »Du glaubst es aber doch wohl nicht, Ingilbert?«, fragte sie mit einem letzten Versuch, die Angst zu verscheuchen. Aber siehe, Ingilberts Hände zitterten, und seine Augen waren starr vor Schrecken.

      »Was soll ich glauben?«, flüsterte Ingilbert. »Vater sagte, er habe mehrere Male nach Norwegen reisen wollen, um den Ring zu verkaufen; aber er habe nie fortkommen können. Das eine Mal wurde er krank, und das andere Mal brach das Pferd ein Bein, gerade als er vom Hof wegreiten wollte.«

      »Was sagt der Propst?«, fragte das Mädchen.

      »Er fragte den Vater, warum er denn den Ring all die Jahre behalten habe, wenn es doch mit so großer Gefahr verknüpft gewesen sei, ihn zu besitzen. Vater aber antwortete, er habe geglaubt, der Rittmeister würde ihn hängen lassen, wenn er ihm seine Tat eingestände. Er habe keine Wahl gehabt, sondern sei gezwungen gewesen, den Ring zu behalten. Jetzt sei er aber am Sterben, und nun wolle er den Ring dem Propst übergeben, damit man ihn dem General in das Grab lege, wir Kinder aber von dem Fluch befreit würden und wieder ins Dorf hinunter ziehen könnten.«

      »Ich bin froh, dass der Propst da ist«, sagte das Mädchen. »Was soll ich nur tun, wenn er wieder fort ist? Ich habe so große Angst. Mir ist, als stehe der General dort drüben unter den Fichten. Bedenke, er ist jeden Tag hier umhergegangen und hat uns bewacht! Und Vater hat ihn vielleicht gesehen.«

      »Ich glaube auch, dass Vater ihn gesehen hat«, sagte Ingilbert.

      Und wieder trat er an die Luke, um zu horchen. Als er zurückkam, hatte er einen andern Ausdruck in den Augen.

      »Ich habe den Ring gesehen«, sagte er. »Vater hat ihn dem Propst übergeben. Er schimmert wie eine Feuerflamme. Er war rot und golden, und er leuchtete geradezu. Der Propst betrachtete ihn und sagte, er erkenne ihn wieder; es sei der Ring des Generals. Geh an die Luke hin, da kannst du ihn sehen.«

      »Eher möchte ich eine Kreuzotter in meine Hand nehmen als diesen Ring sehen!«, rief das Mädchen. »Du meinst doch nicht im Ernst, es sei schön, ihn anzusehen?«

      Ingilbert schaute weg.

      »Ich weiß, er hat uns zugrunde gerichtet«, sagte er; »aber er gefiel mir doch recht gut.«

      Gerade als er dies sagte, ertönte die Stimme des Propstes stark und laut zu den beiden Geschwistern heraus. Bis jetzt hatte er immer den Kranken sprechen lassen. Jetzt war er an der Reihe.

      Es war klar, der Propst konnte natürlich nicht auf all die wilden Reden von der Verfolgung durch einen Toten eingehen. Er versuchte, dem Bauern zu zeigen, dass es die Strafe Gottes war, die ihn treffen musste, weil er das grässliche Verbrechen begangen hatte, einen Toten zu bestehlen. Der Propst wollte durchaus nicht einräumen, der General habe die Macht gehabt, Feuersbrünste oder Krankheit über Menschen und Vieh zu verhängen. Nein, die Unglücksfälle, die Bård getroffen hätten, seien von Gott verhängt worden, um Bård noch bei Lebzeiten zur Reue und zur Rückgabe des gestohlenen Guts zu zwingen, damit seine Sünde ihm vergeben werde und er eines seligen Todes sterben könnte.

      Der alte Bård Bårdsson lag ruhig da und hörte die Worte des Propstes an, ohne eine Einwendung zu machen. Zu überzeugen vermochten sie ihn aber wohl nicht. Er hatte zu viel Schreckliches erlebt, als dass er hätte glauben können, dies alles

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