"Wie war es wirklich?". Georg Markus

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      »Was sagte denn Ihre Frau zu diesem Lotterleben?«

      »Meine Frau? Ich bitte Sie, die ging das überhaupt nichts an! Stephanie war eine unattraktive Prinzessin aus Belgien, um deren Hand ich fünf Minuten nach dem Kennenlernen anhalten musste. Ich wurde zu der Heirat gezwungen. In Abwandlung eines alten Spruchs kann ich nur sagen: ›Du unglückliches Österreich heirate!‹«

      »Die Baronesse Vetsera haben Sie auch nicht geliebt?«

      »Was, die Kleine? Ich hatte neben ihr ein Dutzend anderer Affären, noch in der Nacht vor Mayerling war ich bei der Edelhure Mizzy Caspar. Die Vetsera war eine Zufallsbekanntschaft, ein unschuldiges Geschöpf, das das Pech hatte, gerade in dieser Nacht bei mir zu sein.«

      »Was Sie mir da erzählen, Hoheit, mag die Tragödie Ihres Lebens erklären. Nicht aber Ihren Tod.«

      »Die Sinnlosigkeit meines Daseins erlaubte mir als Aristokrat und Offizier nichts anderes zu tun als zu sterben. Es war eine Frage der Ehre.« Rudolf aß ein paar Bissen von seinem Käsebrot und trank einen Schluck Wein.

      »Aber Mary Vetseras Tod war keine Frage der Ehre«, entgegnete ich. »Sie sind ein ganz gewöhnlicher Mörder, der sich – so drückte es Ihr Vater aus – wie ein Schneider aus der Verantwortung gestohlen hat. Sie raubten einem 17-jährigen Kind das Leben, nur weil Sie im Augenblick des Todes nicht allein sein konnten.«

      »Sie haben vollkommen Recht«, nickte er und sprach jetzt um vieles leiser weiter. »Ich habe den Ruf des Hauses Habsburg in seinen Grundfesten erschüttert und meine Eltern ins Unglück gestürzt. Dem ist nichts hinzuzufügen.«

      »Oh ja«, nahm ich die einzigartige Gelegenheit wahr, Kronprinz Rudolf zur Rede zu stellen, »dem ist noch einiges hinzuzufügen. Denn die Folgen Ihrer Tat gehen viel weiter. Sie haben damit die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf den Kopf gestellt und Generationen von Menschen ins Verderben geschickt.«

      »Wieso das?«, wunderte er sich.

      »Das kann ich Ihnen erklären. Ohne Mayerling hätte das 20. Jahrhundert die Chance gehabt, ein Jahrhundert des Friedens zu werden. Mit Ihnen als künftigem Regenten hätte es keinen Franz Ferdinand, ohne Franz Ferdinand kein Sarajewo, ohne Sarajewo keinen Ersten Weltkrieg gegeben. Und ohne Ersten wohl auch keinen Zweiten. Zugegeben, das sind sehr gewagte Spekulationen, aber die müssen Sie sich schon gefallen lassen.«

      Rudolf war völlig in sich zusammengesackt. Er erhob sich langsam und ging schweigend zu der auf ihn wartenden Karosse zurück. Dort schnippte er mit dem Finger, und die dienstbaren Geister öffneten den Wagenschlag. Während er einstieg, hielt er noch kurz inne und rief mir fast tonlos zu: »Ich möchte mich für dieses Gespräch bedanken. Seit mehr als hundert Jahren warte ich auf die Gelegenheit, mich jemandem anvertrauen und über mein verpfuschtes Leben sprechen zu können. Ich bin froh, dass ich es hinter mir habe.«

      Der Wagenschlag wurde geschlossen, und die Karosse entschwand in die Richtung, aus der sie gekommen.

      »WIE NEHM’ MA’N DENN?«

      Hans Moser transportiert meinen Koffer

      Hans Moser, eigentlich Hans Julier * 6.8.1880 Wien † 19.6.1964 ebd. Volksschauspieler. Musste viele Jahre an Schmieren- und Wanderbühnen auftreten, ehe er für Theater und Film entdeckt wurde. 1910 Kabarettrollen, ab 1924 Dritter-Akt-Komiker im Theater an der Wien, 1925 von Max Reinhardt an das Theater in der Josefstadt, zu den Salzburger Festspielen und nach Berlin geholt. Rund 200 Filmrollen, darunter »Burgtheater« (1936), »Wiener Mädeln« (1944), »Hallo Dienstmann!« (1952), »Hallo Taxi« (1958), »Geschichten aus dem Wienerwald« (1961). In seinen letzten Lebensjahren auch am Burgtheater.

      Das soll a Koffer sein? Na hörn S’, des is ja a Schubladkasten!« Der Text kam mir irgendwie bekannt vor. Dabei wollte ich nichts anderes als einen Dienstmann, der mein Gepäck vom Taxi zum Schlafwagen bringt, um mit meiner Frau eine seit langem geplante Venedig-Reise antreten zu können.

      »Der hat aber a G’wicht«, nörgelte der Dienstmann weiter und inspizierte den Koffer von allen Seiten. »Einen Koffer so anstopfen, is a Bledsinn! Und nach’n neuen Tarif kommt er Ihna sehr hoch, wenn i den tragen tu.«

      Der Mann, der uns am Wiener Südbahnhof gegenüberstand, war nicht gerade groß, er war nicht jung – und kräftig wirkte er schon gar nicht. Vor allem aber gab er ständig neue Kommentare von sich. »Der Kilo kommt Ihna auf drei Euro. Die Frage is nur: Wie nehm’ ma’n denn? Weil, allein bring i’n net rauf, da miassn Sie a bissl nachhelfen, und das Fräulein aa.«

      Während meine Gemahlin die Worte des Dienstmannes bisher emotionslos hingenommen hatte, fühlte sie sich jetzt persönlich betroffen: »Ich soll einen Koffer tragen?«, fragte sie gereizt.

      »Koffer tragen«, äffte sie der Mann nach. »I brauch ihn ja nur aufg’legt. In dem Moment, wo ich ihn aufg’legt hab, renn ich ja eh damit wie a Wiesel.«

      Es dauerte eine Viertelstunde, bis der Mann den Koffer geschultert hatte, freilich entglitt ihm das teure Gepäcksstück nach wenigen Schritten wieder, und es krachte zu Boden. Das Malheur kostete so viel Zeit, dass der Zug nach Venedig, als wir endlich am Perron einlangten, abgefahren war. »Wunder is kein’s«, gab uns der Dienstmann noch die Schuld, »wann ma mit so an Koffer reist.«

      Meine Frau kochte vor Wut, und doch war sie es, die den entscheidenden Hinweis gab. »Das ist nicht irgendein Dienstmann«, flüsterte sie mir zu, »das ist der berühmte, du weißt schon.«

      Nun bestand auch für mich kein Zweifel mehr. Hans Moser war nach Jahrzehnten wieder in die Rolle seines Lebens geschlüpft. Und da uns bis zur Abfahrt des nächsten Zuges eine halbe Stunde blieb, wollte ich mir die einmalige Chance nicht entgehen lassen, aus erster Hand zu erfahren, wie er zum größten Volksschauspieler seiner Zeit geworden war. Ich lud ihn auf ein Glas Bier in die anheimelnd gemütliche Atmosphäre der Bahnhofsrestauration ein, wo er die Verantwortung für das eben Geschehene neuerlich auf uns schob: »I hab Ihna glei g’sagt, dass es mit dem Koffer net gehen wird.«

      »Sie haben vollkommen Recht«, bemühte ich mich um Deeskalation und erklärte, während wir einem freien Tisch zustrebten: »Vergessen wir den versäumten Zug, vergessen wir den Koffer, erzählen Sie uns lieber aus Ihrem Leben.«

      »Aus mein’ Leben? Ich bitte Sie! Geboren, gestorben, das genügt! I bin ja net der Kaiser von China!«

      »Aber der Kaiser vom Kino«, zeigte ich mich ob des gelungenen Wortspiels beglückt, doch Hans Moser blickte mich nur skeptisch an.

      »Bitteschön, wenn S’ wirklich wollen, erzähl i Ihnen was.« Er deponierte seine Dienstmann-Utensilien am Fuß unseres Tisches und schien sich, während er Platz nahm, kunstvoll um die eigene Achse zu drehen. »Also, begonnen hat alles auf der Wienzeile«, legte er los, »dort bin i aufgewachsen. Mein Vater hat Franz Julier geheißen, er war von Ungarn nach Wien gekommen und hat hier als Maler und Bildhauer gearbeitet. Meine Mutter Serafina hatte ein Milchgeschäft am Naschmarkt, und wir lebten in großer Armut.«

      »Wann erkannten Sie Ihre Berufung?«

      »Berufung? Hören S’ ma auf! Wie i mit der Handelsschule fertig war, hab ich zu meinem Vater g’sagt, dass ich zum Theater will. Der hat mich ang’schaut, als sei ich verrückt geworden. ›Schauspieler willst werden?‹, hat er gemeint. ›Mit der Stimm und der Figur?‹ Aber niemand auf der Welt konnte mich davon abhalten.«

      »Drei Krügel Bier«,

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