Oval. Elvia Wilk
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Nachdem die sechs Monate um waren, mittlerweile war Louis bei ihr eingezogen, konnten sie zu keiner Entscheidung gelangen, was sie nun tun sollten. Sie waren sich einig, dass die Hütte immer unbewohnbarer wurde, der Zustand des Daches verschlechterte sich von Tag zu Tag, doch eine richtige Wohnung zu finden und zu bezahlen schien unmöglich. Strenggenommen noch immer nur als Praktikantin bei RANDI angestellt, verdiente Anja zu dieser Zeit lächerlich wenig Geld, und wollte weder ihren Fonds anzapfen noch zulassen, dass Louis den Großteil der Miete für eine neue Wohnung alleine zahlte. Louis war es egal, ob er dafür zahlen musste (mit seinem aufgeblasenen Gehalt bei Basquiatt hätte er leicht die Miete für eine neue Wohnung stemmen können), er wollte einfach nur raus aus dem feuchten, zerfallenden, dem Untergang geweihten Gartenhaus. Anja bestand jedoch darauf, dass ihn zahlen zu lassen eine ungesunde Abhängigkeit schaffen würde. Sie konnten sich nicht darauf einigen, wie der nächste Schritt aussehen sollte und bewegten sich am Abgrund einer Trennung entlang.
Das sechsseitige Einladungsschreiben, dem neuen sozio-ökologischen Wohnexperiment beizutreten, tauchte wie aus dem Nichts in ihrem Postschließfach auf. Es war in komplexem, bürokratischem Deutsch verfasst, das Louis, bevor Anja nach Hause kam, mittels Google zu übersetzen versucht hatte, was ihn, da er glaubte, es handele sich um einen Räumungsbescheid, in Panik versetzt hatte. Anja überflog die erste Seite und wusste sofort, wer für dieses Schreiben verantwortlich war.
(Howard war sich des maroden Zustands der Gartenhütte sehr genau bewusst, da er selbst ein paar Mal dort übernachtet hatte, in der Zeit vor Louis. Die Schäbigkeit hatte ihm gefallen, war sie doch ein handfester Beweis dafür, dass er Sex mit einer Sechsundzwanzigjährigen hatte. Mit ihr auf der Matratze am Boden zu liegen, hatte ihm das Gefühl gegeben, sehr weltoffen zu sein.)
Der Brief war eine protzige Demonstration seiner Großmut, deren Ausmaß allein die Geschichte mit Anja unbedeutend erscheinen ließ, und prahlte gleichzeitig mit seinem Einfluss – wie viele soziale und professionelle Hebel musste er in Bewegung gesetzt haben, um dieses Kunststück zu vollbringen? Sie verstand den Subtext nur zu gut. Howard war ein reifer Mann, der keinen Groll hegte. Er hatte ihr nicht nur eine kostenlose Wohnung zuteilwerden lassen, die aufgeladen war mit kulturellem und moralischem Kapital, sondern einen Ort, an dem sie beide leben konnten: Anja plus Louis, der Typ, der ihn ersetzt hatte. Hatte Anja etwa kleingeistige Eifersucht und Rachsucht von ihm erwartet?
Sie hatte gezögert, das Angebot anzunehmen, aber Louis hatte sich entschlossen gezeigt. Die Ökosiedlung war zu gut, als dass sie hätten Nein sagen können, ganz egal, wie die Sache zustande gekommen war. Eifersucht war kein Thema für ihn, und alles in allem, hatte Anja entschieden, war sie dankbar dafür.
3
Louis hatte die Kunst des Telefonierens noch nie beherrscht. Er klang distanziert und abgelenkt, als würde er von einem Zimmer aus anrufen, in dem ihm niemand zuhören sollte. Das war typisch männlich und nicht weiter schlimm. Anja störte sich nur noch daran, weil es sie indirekt an die Unfähigkeit ihrer Eltern erinnerte, per Telefon zu kommunizieren. Wochenlang meldeten sie sich gar nicht, waren in einem Wirrwarr aus Zeitzonen nicht erreichbar, und dann schickten sie plötzlich eine Reihe penetranter Sprachnachrichten: Alles in Ordnung bei dir??? Melde dich bitte??? Nur, um dann wieder genau so plötzlich in der Dunkelheit zu verschwinden.
Nachdem sie Howards Wohnung verlassen hatte, beschloss sie, Louis eine SMS zu schreiben, anstatt ihn anzurufen. Die Unterhaltung wollte sie sich für später aufheben, wenn er körperlich anwesend und ganz er selbst war. Aber nachdem sie ihm eine Nachricht mit einem kurzen Update geschickt hatte, klingelte sofort ihr Handy. Sie war gerade auf ihr Fahrrad gestiegen und musste den Ständer wieder herunterklappen, und als sie seine Stimme plötzlich so nah hörte, erinnerte sie sich auch daran, die Ohrstöpsel herauszunehmen.
»Das ist großartig!« Er klang, als würde er ins Telefon grinsen. »Endlich würdigen sie dich!«
Sie runzelte die Stirn. »Ist ja nicht so, dass ich herumgesessen und auf Anerkennung gewartet habe.«
»Sei nicht so bescheiden.«
»Ich bin nicht bescheiden. Ich habe nur nicht das Gefühl, dass ich schon in der Position bin, um …«
»Früher oder später wäre das ohnehin passiert. Nun ist es also früher geschehen als erwartet.«
»Aber ich habe nichts erwartet – Beraterin zu werden, war nie mein Ziel.«
»Du musst das annehmen! Das ist dein Schicksal«, sagte er lachend. »Wir werden eine Familie von Beratern sein.«
»Ich wollte eigentlich weiter forschen.«
»Du kannst weiter forschen.«
»Ich weiß nicht. Das ist richtiges Consulting. Du weißt, was ich meine. Ich bin kein Künstler wie du. Ich werde Effizienzstudien machen müssen und Revisionen und all das.«
»In jedem Job gibt es Papierkram. Du weißt doch, dass ich die Hälfte meiner Zeit mit E-Mails verbringe. Aber in der restlichen Zeit kannst du tun, was du willst. Du kannst gucken, was verbesserungswürdig ist und es einfach verbessern. Wie viele Berater hat RANDI momentan? Nur zwanzig, oder so? Das ist doch ein Riesending!«
Als er sie weiterhin ermunterte, schien sein Enthusiasmus immer weniger mit ihr zu tun zu haben. Ihr war das peinlich. Sie wiegelte die Komplimente ab und erkundigte sich, wie sein erster Arbeitstag lief. Er versprach, einen der Blumensträuße, die er geschenkt bekommen hatte, mit nach Hause zu bringen. Sein Postfacheingang war sagenhaft voll, der Rückstau scheinbar unüberwindbar; er hatte einige Praktikanten wie ein Rudel Hunde darauf angesetzt.
»Prinz lässt dich übrigens grüßen.« Prinz war also bei ihm. Oberflächlich betrachtet war das nicht ungewöhnlich; Prinz hing immer in seiner Nähe herum.
»Was macht ihr so?«
»Er hat mir gerade dieses Buch über Psychotropika gekauft, von dem er mir erzählt hatte.«
Es folgte ein Exkurs über psychotrope Substanzen, die die menschliche Erinnerung umstrukturieren konnten, wobei die Struktur des Gehirns modifiziert wurde, um durch negative Ereignisse entstandene Schäden zu heilen. Anja hätte das vielleicht interessant finden können, war aber zu beschäftigt damit, Louis gedanklich mit dieser Person in Einklang zu bringen, die ihr da freiwillig so viel am Telefon erzählte. »Prinz sagt, in dem Buch steht, dass die Leute mitunter zwanzig Jahre jünger aussehen, nachdem ihre Erinnerungen neu verdrahtet wurden. Die Geschichten sind total abgefahren.«
»Bleibt er den ganzen Tag, oder was?«
»Er wollte nur mal nach mir schauen.«
»Das ist nett von ihm.«
»Jep.«
Sie zögerte. »Arbeitest du heute länger?«
»Ich weiß nicht. Kommt darauf an, wie viel ich für dieses Projekt erledigen kann, das jetzt endlich in Gang kommt.«
»Cool.« Die Frage hing in der Luft; Anja atmete ins Handy, und übergab sie damit dem Gerät. Sie würde nicht fragen. Sie ging auf Nummer sicher. »Dann sprechen wir wohl später.«
»Prinz und ich wollten vielleicht abends was essen gehen.«
»Na